Doppelsingle »Scheiß Wessis« und »Scheiß Ossis« Da wippt wohl auch der Bundespräsident mit dem Fuß

Hosen-Sänger Campino, Rapper Marteria: Selbstironisches Wohlgefallen
Foto: Philipp GladsomeDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Mit 32 Jahren ist die deutsche Einheit jetzt so alt, wie Keith Moon (The Who) oder John Bonham (Led Zeppelin) waren, als sie starben. Sie könnte, würde sie nicht permanent beschworen oder in Zweifel gezogen, auch einfach als vollendet angesehen werden.
Die westdeutschen Toten Hosen (»Tage wie diese«) und der ostdeutsche Marten Laciny alias Marteria (»Lila Wolken«) haben das bemerkt. Mit ihren am Freitag parallel erscheinenden Singles »Scheiß Wessis« beziehungsweise »Scheiß Ossis« darf der leidige Gegensatz zwischen Ost und West endgültig als aufgehoben gelten.
Gemessen am PR-Aufgalopp und der Relevanz dieser Veröffentlichung hätte es eigentlich einen »ARD Brennpunkt« oder ein »ZDF Spezial« geben müssen. Allein, die Zeitläufte wollten nicht, wie die Künstler es wollten: »Mit dem Beginn von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine«, heißt es in der Pressemitteilung offiziös, »ist nichts mehr, wie es vorher war. Vielleicht ist auch unser Thema dadurch etwas in den Hintergrund gerückt.« Falls es das nicht schon vorher war.
Alles Konfrontative löst sich hier in selbstironisches Wohlgefallen auf. Die Toten Hosen klingen, wie die Toten Hosen eben klingen – inklusive eines chorverstärkten Refrains, damit man auch mit zwölf Bier in der Birne auf dem Festival noch weiß, wann man mitgrölen muss: »Scheiß Wessis, machen immer alles klar«, meint Sänger Campino: »Scheiß Wessis gehen hier allen auf den Sack«.
Der Westen wird grob als Karikatur gezeichnet, dort lebten »gute Menschen«, die »zahl’n Solidaritätszuschlag«, es ist von Reeperbahn und Autostadt die Rede, von Austern und Champagner im KaDeWe. Hauptstadt ist drolligerweise noch Bonn, und alle sehen aus wie Dieter Bohlen. Es gibt Wiesenhof und Tönnies, Kaviar in der Bahnhofsmission. Zuletzt aber hat sich auch der Wessi »mit Leipzig und Seele im Osten versteckt«, wo er merkt, dass der Sekt von Rotkäppchen gar nicht mal so schlecht schmeckt. Die Karikatur eines E-Gitarrensolos zitiert dann die DDR-Hymne »Auferstanden aus Ruinen«.
Wenn sich Handschuh auf Pankow reimt
»Scheiß Ossis« klingt, auch das ein politischer Fingerzeig, wie ein Remix von »Scheiß Wessis«. Dazu malt Marteria ein Zerrbild des Ostens. Dort zögen die Menschen angeblich »blank am FKK«, bezögen ihre Kippen aus Polen, ein Frankfurt gebe es dort angeblich auch. Was dem Westen angeblich eine Kneipe namens »Der Goldene Handschuh«, das sei dem Osten der »Sonderzug nach Pankow«, darin würde dann randaliert. Gelesen wird die »Rügenpresse«, gebadet im »Tropical Island«. Es geht um »die Rechte von Henry«, mutmaßlich Maske, die Prinzen und Rammstein: »Ihr fahrt mit dem Porsche zum Ball, doch wir war’n vor euch im All«. Und wo steht sie denn, die Tesla-Fabrik? Na?
Wo die Toten Hosen am Ende weich werden, wird Marteria ernst und verkündet die Botschaft der ganzen Doppelsause: »Dieses Land immer noch zwei Teile, lass das mal ändern, ist doch scheiße«. Wessis bestünden »nicht nur aus Schönen und Reichen, tief in euch drin seid ihr Schalke«, was dann offenbar ossiseits in Ordnung ginge.
Im Hip-Hop wird »versus« nicht als »gegen«, sondern gern als »und« oder »mit« verwendet, und so ist auch dieser kumpelige Clash of Klischees zu verstehen – als identitätspolitisch unbedenkliche Aufforderung zweier Lokalpatrioten (Düsseldorf vs. Rostock) zur patriotischen Einvernehmlichkeit. Jede Seite möge ihre angeblich eingewachsenen Schrullen feiern, ohne dabei ein noch größeres, noch diffuseres Wir aus den Augen zu verlieren.
Beide Songs klingen, als hätte die Bundeszentrale für politische Bildung sie bestellt. Natürlich werden es Hits. Und wenn es dann im Radio seiner gepanzerten Limousine läuft, wird auch Frank-Walter Steinmeier dazu mit dem Fuß wippen können.