
Dixieland Jazz: Oldtime trifft Avantgarde
Dixieland Jazz Bei Onkel Pö spielt 'ne Rentnerband
Die Partitur sieht eher aus wie eine Skizze für Schatzsucher als ein Arrangement für Musiker. Denn statt Noten findet man Pfeile, Punkte und Wellen auf den Blättern. Dazu gibt es Regie-Anweisungen wie für eine Theater-Inszenierung: "O.M.T. kommt langsam spielend von hinten links auf die Bühne". Und: "Fanfaren-Rufe von 2 Posaunen von rechts hinter Büschen".
Das seltsame Drehbuch wurde für den gemeinsamen Auftritt von zwei unterschiedlichen Bands geschrieben: Beim Hamburger Open Jazz musizieren die Dixieland Band Old Merry Tale und das Avantgarde-Sextett Eisenrot. Nach einem ausgeklügelten Konzept sollen beide Bands am 24. Juni auf der Freilichtbühne im "Planten un Blomen"-Park zusammenspielen - im Ruf-Antwort-Wechsel und in aufgeschriebenen Sequenzen. "Wir wollen die ideologisch ausgerichteten Stil-Schubladen überwinden", erklärt der Posaunist Heinz-Erich Gödecke. Der Eisenrot-Gründer und Kenner neuer Musik hatte die Idee vom "Klang-Abenteuer" aus Oldtime- und Avantgarde-Jazz.
Allein die Tatsache, dass eine Dixieland Band zu einem Jazz-Festival eingeladen worden ist, erregt Aufmerksamkeit. Denn der traditionelle Jazz wird heute von der Jazzgemeinde weitgehend ausgegrenzt. Warum eigentlich?
Stimmungsmusik für den Frühschoppen
"Die soziale Funktion des Dixieland Jazz heute", heißt es in Reclams Jazzlexikon von 2009, "ist die einer geselligen Unterhaltungsmusik mit geringem künstlerischen Anspruch und Verzicht auf Innovation".
Das stimmt. Denn überwiegend erklingt die aus dem New Orleans Jazz hervorgegangene Stilart als Stimmungsmusik auf Frühschoppen. Da werden Ohrwürmer wie "Ice Cream" und "When the Saints..." seit Jahrzehnten unverändert herunter genudelt. Aber wo sind der künstlerische Anspruch und die Innovation bei Pop-Sternchen wie "Katzenjammer" oder Caro Emerald? Die werden nämlich zu Jazz-Festivals eingeladen, während die Veranstalter Oldtime Jazz ausklammern.
Wissen die Macher nicht, dass der frühe Jazz viele nachhaltig beeindruckte? Klaus Doldinger begann seine Karriere als Klarinettist bei der Dixieland Band "Feetwarmers", und Siegfried Loch verfiel dem Jazz, als er als Teenager Sidney Bechet hörte. Der Act-Plattenboss gehört zu den wenigen, die bedauern, dass der traditionelle Jazz - abgesehen von der Düsseldorfer Jazz Rally - auf Festivals nicht im Programm steht. So wie die inzwischen üblichen Pop-Musiker, argumentiert Loch, würden Dixieland-Bands jazzferne Leute auf die Veranstaltungen aufmerksam machen. Er erinnert an den "Zirkus, der seine Elefanten als Werbung durch die Stadt schickt".
Oldtime Jazz auf der Freilichtbühne "Junge Garde"
Dass Dixieland-Musik viele anspricht, ist seit 1971 in Dresden zu erleben. Da kommen in der Himmelfahrt-Woche bis zu 500.000 Menschen zu den Konzerten und Straßenparaden des größten europäischen Dixieland-Festivals. Und das sind nicht nur betagte Bürger. Überwiegend Teenager strömten in diesem Jahr zum Wettbewerb von Nachwuchs-Oldtime-Kapellen in die Freilichtbühne Junge Garde. Es gewann die Dresdener Spezi-Band, eine Formation aus drei Schülerinnen und vier Schülern des Sächsischen Landesgymnasiums für Musik "Carl Maria von Weber". Alle Bandmitglieder sind hoch talentiert und werden später wahrscheinlich ihren Lebensunterhalt in Symphonie-Orchestern oder im zeitgenössischen Jazz verdienen.
"Aber die Fähigkeit zum Improvisieren lernen die Jugendlichen am besten im Dixieland", findet der Dresdener Musik-Dozent und Posaunist Micha Winkler. Der Betreuer der Spezi-Band ist vor einiger Zeit "statt nach New York nach New Orleans" gereist. Winkler genoss, wie dort junge Musiker traditionellen Jazz mit funkigen Elementen aufmischen. Nun ermuntert er bei Proben die Spezi-Band: "Es muss wie Straßenmusik klingen, nicht so akademisch." Im nächsten Jahr will Winkler mit der Kapelle nach New Orleans fliegen.
Oldtime Jazz ja oder nein? Deutschlands Jazz-Gemeinde sollte eine Dixieland-Debatte beginnen.