
DJ Fetischs Projekt Terranova: Berlins "heimlicher Bürgermeister"
Clubmusik von Terranova Ein Fetisch für uns alle
Das ständige Neudenken, das Häuten, Feinjustieren, Zitieren, die ewige Neugeburt des Bestehenden - also all das, was wir Pop nennen -, findet im Moment, so sagt es Fetisch an diesem Vormittag in seiner Zweitwohnung in Berlin, eher in den Clubs statt.
Die Clubs waren immer wichtig, sicher. Sie waren immer da in den letzten 30 Jahren, auch wenn es selten eine so massive Clubkultur gab wie im Moment. Doch die Clubmusik bestand immer aus ihrer eigenen Welt, sie schrieb eine Parallelgeschichte. Nur ab und zu hat sie dem Pop einen kleinen Wink gegeben.
Pop aber interessierte sich vor allem für den Künstler, seine Inszenierung, sein Konzept und die Geschichte, die er den Menschen erzählte: Madonna also oder Lady Gaga. In der Clubmusik aber ging es um den Track, das einzelne Stück. Der, der diese Tracks geschaffen hat, blieb in den meisten Fällen unbekannt.
Der Mann, der schon immer Fetisch hieß, und an dessen echten Namen sich selbst engste Freunde nur mit Mühe erinnern, bespricht all diese Dinge auf und ab laufend auf dem Linoleumboden seiner "Punkrock-Wohnung", wie er sein Zweitdomizil ob ihrer unsanierten alt-ostberliner Kargheit nennt. Es ist ein hektischer Vormittag Mitte März, Fetisch ist am Telefon mit Nicolette Krebitz, die zusammen mit Udo Kier für Fetisch eine düstere Elektroballade eingesungen hat, am Telefon mit Michael Mayer, dem Chef von Kompakt Records in Köln, dann sitzend vor dem Rechner und anderen Maschinen. Auf einer Couch döst sein inzwischen schon als kongenialer Partner zu bezeichnender Labrador Rokko.
Das Pop-Urversprechen: Eltern ausschließen
Fetisch beginnt in diesen Tagen an Remixen zu arbeiten, Remixe von den Stücken seines neuen Albums "Hotel Amour", das er zusammen mit dem Berliner Produzenten &Me unter seinem Projektnamen Terranova im Berliner Club "Cookies" vorgestellt hat. Das war ein paar Tage vor seinem 50. Geburtstag. Man kann jetzt schon sagen, dass das Album, beim legendären Kölner Label Kompakt erschienen, ein sensationeller Erfolg ist. Viele nennen es das Beste, das Fetisch in seiner über 25-jährigen Geschichte als Musiker gelungen ist, ein Meisterwerk schrieben andere, und das Merkwürdige ist, auf der Platte ist eigentlich nur reine Clubmusik versammelt, House im weitesten Sinne.
Doch es klingt wie reinster Pop. Die Stücke heißen "Make Me Feel" oder "Paris Is for Lovers", es geht um die großen Gefühle und damit, wie immer im Pop, um große Melodien. Das Cover zeigt die Finger einer Hand, wie sie sich einer Kerze nähern und langsam schwarz und rußig werden. Es ist von der Künstlerin Oda Jaune.
Das Album ist deswegen grandios, weil es zeigt, wie Clubmusik außerhalb eines Clubs klingen kann: dass das geht. Und Clubmusik ist die Musik der Stunde, nicht nur in Berlin. Die Amerikaner haben ein neues, ganz wunderbar altmodisch klingendes Wort für sie gefunden: Electronic Dance Music sagen sie, und können nicht genug bekommen von ihren neuen Vertretern, die Deadmau5 heißen oder Skrillex. Sogar das das Upper-East-Side-Intellektuellenblatt "The New Yorker" berichtet über diese neue Bewegung, die gute 25 Jahre nach der Erfindung von Techno in die Lücke springt, die der Niedergang des Rock, die andauernde Krise des HipHop und die Bedeutungslosigkeit des R&B hinterlassen haben.
"Der heimliche Bürgermeister von Berlin"
Elektronische Tanzmusik, wie es Fetisch ausspricht, ist heute die letzte Richtung des Pop, die sein Urversprechen, das aus den fünfziger Jahren, noch einzulösen vermag. Das lautete: die Eltern ausschließen. Doch die Eltern von heute, sie hören Madonna und die Ramones, sie schwärmen von Bob Dylan und wissen, dass Punk ungeheuer wichtig war. Aber eins können sie zum Glück nicht: Eltern können meist nicht morgens um fünf Uhr im Club stehen.
Und so interessieren sich nun sogar die amerikanischen Rapper, die sich in den letzten Jahren in ihrer Verzweiflung Gitarren umgehängt und sich in der Rockmusik versucht hatten (Jay Z, Kanye West), für Elektronische Dance Music.
In Deutschland hat all das, wie eigentlich immer in den letzten 35 Jahren, Fetisch als einer der Eersten erkannt. Während in diesen Tagen junge amerikanische Starautoren wie Mark Greif, der Herausgeber des Hipstermagazins "n+1", langwierige Aufsätze darüber verfassen, wer oder was der Hipster jetzt noch mal war, bräuchten sie sich nur das Leben des Fetisch ansehen.
Schauen Sie sich dieses Leben an!
Seit dieser, 14-jährig, 1976 in ein Konzert der Sex Pistols in einem Club in West Kensington hineingestolpert ist, war er abwechselnd in London, New York oder Berlin immer dabei, wenn sich irgendwo im Pop wieder etwas neu durchschüttelte. Fetisch wurde in Westberlin geboren, da war die Mauer gerade erst gebaut, als Jugendlicher zog er mit seinen Eltern nach London. Morgens vor der Schule trug er Zeitungen aus, damit er sich samstags im Geschäft von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood auf der King's Road Bondage-Hosen kaufen konnte. In seine Klasse auf der Deutschen Schule ging auch Ariane Forster, später berühmt geworden als Ari Up, die Sängerin der Slits, der ersten weiblichen Punkband.
Nach der Schule wartete manchmal ein VW-Bus, da saßen die Sex Pistols drin und holten Ari ab. So lernte Fetisch die Sex Pistols kennen.
Ende der Siebziger zog er zurück nach Westberlin, es war das Berlin von David Bowie und Iggy Pop und des Heroin, alles schien Fetisch düsterer, ernster als in London. Er schmiss die Schule, legte stattdessen auf den ersten Disco-Parties auf, und fing in einem Plattenladen an, in den irgendwann der Engländer Jon Baker hereinkam. Mit ihm ging Fetisch nach New York, wo sie die legendären "Berlin Nights" organisierten, Fetisch legte jetzt immer häufiger selber auf, im berühmten Tunnel oder in der Danceteria.
Was im London der Siebziger der Punk war, war im New York der frühen Achtziger die Explosion von Elektro, Rap und der aufkommenden Sampling-Kultur. Dies sind bis heute die Wurzeln von Fetischs Schaffen.
Jon Baker ging Ende der Achtziger zurück nach London und wurde Manager der Stereo MCs, Fetisch folgte ihm, und 1989 erschien seine erste Platte, damals noch zusammen mit den Stereo MCs. Seither hat Fetisch ungefähr ein Dutzend Platten gemacht, unter verschiedenen Namen, bei unterschiedlichen Labels, mit unterschiedlichen Partnern; Ari Up, die alte Schulfreundin war darunter, aber auch die TripHop-Ikone Tricky.
Zurück in der "Punkrock-Bude"
Die Platten liefen immer ein bisschen versetzt zu dem herrschenden Zeitgeist, man könnte auch sagen, sie waren ihm voraus. Als in den frühen Neunzigern in Berlin der geradlinige harte Technosound regierte, operierte Fetisch schon mit gebrocheneren, HipHop-lastigeren Rhythmen, stellte also jene Musik her, die ein paar Jahre später TripHop hieß. Dass Fetisch heute mit 50 als ein Visionär gilt, hat ihn damals natürlich nicht trösten können. "Den Techno-Leuten war unser Sound nicht hart genug, den HipHoppern war es irgendwie zu elektronisch", sagt Fetisch. Heute schreibt selbst die "New York Times" über ihn und nennt ihn den "heimlichen Bürgermeister von Berlin."
"Hotel Amour" ist nun vielleicht Fetischs erste Platte, deren Songs jedem, selbst einem Clubmusik-Unerfahrenen, auf der Stelle einleuchten. Die heisere, schmelzige Stimme von Thomas Høffding, eigentlich Sänger von WhoMadeWho, auf "Question Mark" zum Beispiel, dem Eingangssong, sorgt für unmittelbares Verständnis, selbst bei demjenigen, der die Deep-House-Beats des Stückes nicht sogleich einordnen kann. Der Pop, der Club, der Untergrund - Fetisch führt es anstrengungslos zusammen.
Er hat sich "Hotel Amour" zusammen mit dem aus Ghana stammenden Produzenten &Me in Paris ausgedacht, wo er inzwischen hauptsächlich lebt, er hat seine sonst eher gebrochenen Rhythmen ein bisschen begradigt, hat sich an Acid-House-Bässe erinnert, ist zum Aufnehmen wieder nach Berlin gegangen, hat seine "Punkrock-Bude" gefunden und wunderbare Sänger - neben Thomas Høffding, Khan und Snax, ursprünglich aus New York, und Billie Ray Martin, die momentan vielleicht beste House-Stimme.
All diese Menschen leben heute zumindest zeitweise in Berlin, und deshalb hat Fetisch auch eine Berliner Platte gemacht, wie er sagt, es ist Musik aus Deutschland, die gar nicht danach klingt. Die teilweise elegischen Tracks, das für Clubmusik eher langsame Tempo, die Acid-Bässe, es ist eine Pop-Platte für die Nacht geworden.
Das Remix-Album, das im Sommer auch bei Kompakt erscheint, wird "Nightporter" heißen, der Nachtportier.
Terranova: "Hotel Amour", Kompakt Records, Köln. Als CD erhältlich und als Luxusedition auf Vinyl mit beigelegter CD.