»Certified Lover Boy« Das Album klingt, wie Drake riecht

Nach dem Rap-Superstar Kanye West zieht jetzt sein Konkurrent Drake mit dem lange erwarteten Album »Certified Lover Boy« nach. Anlass für Experimente – oder die Wiederholung des immer gleichen Erfolgsrezepts?
Rapper Drake 2019

Rapper Drake 2019

Foto: Chris Delmas/ AFP

Seit 2020 weiß die Welt nicht nur, wie Drake klingt, sondern auch wie er riecht. Angeblich. Der kanadische Popmusiker bringt nämlich nicht nur Alben auf den Markt, sondern auch Duftkerzen. Eine davon, hieß es in der Produktbeschreibung, »riecht tatsächlich wie Drake«. Nach Noten von Moschus und Wildleder, aber auch von Kaschmir und Samt. Aha.

Drake, der mit vollem Namen Aubrey Drake Graham heißt und vor 34 Jahren in Toronto zur Welt kam, ist einer der erfolg- wie einflussreichsten Rap-Superstars. Neben Kanye West.

Beide singenden Rapper oder rappenden Sänger zählen zu den wohlhabendsten Musikern der Welt – und zu den besonders gefürchteten Albumverschiebern. Nachdem am Sonntag spät, plötzlich, endlich Kanye Wests »Donda« rausgekommen war, hat auch Drake nun geliefert. Seit Freitag ist sein sechstes Studioalbum draußen, »Certified Lover Boy«.

Es klingt, wie Drake riecht. Nach Moschus und Samt.

In den elf Jahren seit seinem Debütalbum »Thank Me Later« hat der Musiker zwar viele Sounds und Temperamente durchprobiert, aber er hat offenbar verstanden: Am besten steht ihm der Gestus eines Sonnenbrillenträgers, der auf den ersten Blick einfach nur cool aussieht, hinter den dunklen Gläsern aber auch seine traurigen Augen zu verstecken scheint. Drake hat diesen Gestus perfektioniert. Auf »Views«, seinem vierten Studioalbum aus dem Jahr 2016, schon auf dem Cover: Da sitzt Drake, naturgemäß allein, auf dem CN Tower in seiner Geburtsstadt. Einsame Spitze.

Koksende Supermodels und falsche Freunde

Er strengt sich auf »Certified Lover Boy« nicht groß an, von diesem Gestus abzuweichen. In den 86 Minuten – immerhin vier Minuten kompakter als sein fünftes Album »Skorpion« – staffiert er, in bewährter Drake-Manier, die Tracks mit glänzenden Hüllen voller innerlicher Leere aus. »Cashmere knits for the nighttime boat rides«, heißt es schon im Opener »Champagne Poetry«, doch dann: »Lived so much for others, don’t remember how I feel.« Um ein paar Zeilen weiter zu betonen, dass er eben einsame Spitze sei, »above me I see nobody«. Oder, bloß einen Song später: »I’m standing at the top.«

Das geht so weiter. Mit Privatjets. Edelrestaurants. Partys in Miami. Sexfantasien. Koksenden Supermodels. Sogar sein Sohn Adonis, um den sich in den vergangenen Jahren Gerüchte rankten, wirkt in den Texten mal wie Stuck, wenn er gleich nach einer Luxusuhr erwähnt wird. Das ist die eine Seite. Die, von der aus man die Augen des Sonnenbrillenträgers nicht sieht.

Ein Beat, ein Bass, viel Weißraum

»That shit you tell Chanel«, singt Drake etwa in der Mitte des Albums, »I wish that’s how you called me.« Die andere Seite: Die falschen Freunde. Die stolze Mama. Der Herzschmerz. »Try to suppress my emotions, they’re bursting like fountains, baby.« O, dieser Schmerz! »Pain is just a place that I go to get the bars from«, fasst er im Grunde sich selbst im Schlusslied »The Remorse« zusammen. »Anxiety’s a drug that I use to get the job done.« Den Job hinter sich bringen – danach klingt »Certified Lover Boy« ein paar Mal zu oft.

Das meint auch die Musik, die auf den seit Jahren erfolgreich getesteten Drake-Mix aus einem Beat, einem Bass, einem wabernden, verhuschten, plexigläsernen Sound im Hintergrund und viel Weißraum setzt. Daraus ergeben sich auf »Certified Lover Boy« nur selten fantastische Popsongs wie »Fountains« mit seinen Synkopen und dem großartigen Gesang der jungen Nigerianerin Tems.

Fast am schönsten, weil eigenartigsten, sind die zerfaserten Samples und zombiehaften Zitate auf »Certified Lover Boy«: Das Sample eines Samples des Beatles-Lieds »Michelle« im Intro, in dem Paul McCartney klingt wie ein Schnulzensänger-Android, bei dem die Platte im Kopf springt. Das von Grund auf missglückte »I’m Too Sexy« auf Trap-Art (»Way 2 Sexy«), das so kaputt klingt, dass es schon wieder (auf eine »Jetzt bin ich irgendwie auf der Flatrate-Party gelandet, also besaufe ich mich auch«-Weise) Spaß macht. Das sind Augenblicke, in denen Drakes Sound klingt, als wäre er nicht in der Wirklichkeit entstanden, sondern in einer apokalyptisch anmutenden Simulation. Augenblicke, in denen er mal vom Standard abweicht. Leider rar gesät.

Am Ende eint Drakes »Certified Lover Boy« und Kanye Wests »Donda« einiges. Vor allem Unangenehmes: Die den Kinobesuch nicht lohnende Spielfilmlänge. Die Quantität statt der Qualität.

Die Mittelmäßigkeit, die nicht nach Superstar riecht.

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