Abgehört - neue Musik Heimat als Gefängnis
Ebow - "K4L"
(Problembär Records/Rough Trade, seit 29. März)
"Ihr fetischisiert uns, aber ihr respektiert uns nicht", sagt die deutsch-iranische Journalistin Hengameh Yaghoobifarah in einem Skit auf dem dritten Album der deutsch-türkischen Rapperin Ebow - und bringt damit auf den Punkt, worum es bei "K4L" geht: Kanak for life, so der ausgeschriebene Titel, ist eine Bestandaufnahme der Beziehungen zwischen den sogenannten Deutschen mit Migrationshintergrund und den sogenannten Biodeutschen. Ist ja schön, dass die "Kanak"-Kultur mitsamt Ayran, Hummus und "Wallah"-Alltagssprache ihren Weg in den Hipster-Lifestyle gefunden habe, aber was war vor 20, 30, 40 Jahren? Was ist mit dem institutionellen "Ausländer"-Misstrauen und Rassismus, der zuletzt während der von populistischen Medien und Parteien verbreiteten Flüchtlings-Panik seine Hass-Fratze zeigte?
Gerade die letzten drei Jahre waren für viele Deutsche mit Migrationshintergrund eine bittere Lehre: Auch wenn sie in dritter Generation deutsch sind, wenn sie, wie die 29-jährige Ebow, einen Uni-Abschluss haben und vom linksintellektuellen weißen Milieu hofiert werden - sie fühlen sich exotisiert und wie Fremde behandelt. Oder werden mit Clans und Kriminellen in einen Klischee- und Bedrohungszusammenhang gesetzt, der dann gleichzeitig - in Serien wie "4Blocks" wieder als Thrill ausgeschlachtet wird. "In mir drin stecken 1000 Leben/ Hab Flure geputzt, Häuser gebaut/ Wurde ausgenutzt/ Wurde ausgesaugt/ Ihr habt nie an mich geglaubt/ Ich war immer was ihr braucht", rappt sie im Titelstück über den Gastarbeiter-Frust von Generationen - "willkommen in meiner Kanak-World"
Damit schließt Ebow, die in München aufwuchs und heute zwischen Wien und Berlin pendelt, an frühere, provokante Tracks wie "Waffenhymne" (2012) oder "Asyl" (2017) an. Gleichzeitig ergänzt sie mit popmusikalischer Wucht einen Diskurs über kritische Heimat-Auseinandersetzungen jüngerer Immigranten-Kinder, der aktuell in Büchern wie "Desintegriert Euch!" oder "Eure Heimat ist unser Albtraum" geführt wird. Als so gut wie einzige deutschsprachige Musikerin korrespondiert Ebow mit der identitätspolitischen Ermächtigungslyrik von "K4L" aber auch mit internationalen Rap- und R&B-Stars wie Solange oder Dave, die ihre afroamerikanische oder afrobritische Kultur gegen Vereinnahmungen verteidigen, je mehr sich Integrationsversprechen als Illusion entlarven. Sie will nicht "euer fucking entertainment" sein - und eröffnet ihr Album mit einem traditionell orientalischen, auf Kurdisch gesungenen Intro.
Wer, aus Profitgier oder für Instagram-Fame, das zynische Spiel des "Kanak"-Maskottchens mit Gangsta-Pose und Protz-BMW mitspielt, also viele vor allem männliche Genre-Kollegen von Ebow, die zurzeit die Charts dominieren, kriegt im Battle-Track "amk" eine deutliche, auch feministisch grundierte Abfuhr: "Geh runter, küss die Klitoris!" ätzt sie gegen "zu viele weiße, reiche Jungs im Rap". Noch expliziter wird sie gleich danach in ihrem Vagina-Monolog "Schmeck mein Blut".
Nicht alles in Kampfansage auf "K4L", viele Tracks beschäftigen sich auch mit intimeren Beziehungsdingen, durchaus sinnlich zum Beispiel in "High", einem der besten Stücke des Albums. In "Butterflies", "Neon Licht" oder "Blau" geht es um Liebe, aber auch um Zweifel, an tradierten Geschlechterregeln ebenso wie an Freundschaft, Solidarität und kapitalistischen Märchen: "Glaubst du immer noch daran, dass jeder alles sein kann", fragt sie in einen Himmel hinein, dessen Sterne für sie nicht nur außer Reichweite sind, sondern von toxischen Nebeln und Wolkenbarrieren verhangen.
Preisabfragezeitpunkt
23.04.2021 02.30 Uhr
Keine Gewähr
Dabei ist der gängige Cloud- oder Trap-Rap gar nicht so sehr Ebows Stilmittel. Es dominieren eher an Old-School-Hip-Hop geschulte Beats und die geisterbahnhaften Irrlichtergeräusche, mit denen Produzent walter p99 arke$tra Ebows Musik auch musikalisch vom deutschen Rap-Mainstream abhebt. Es ist ein nervöser, selbstbewusst unzufriedener Sound. Selbst wenn Ebow in "Zug" kurz auf den notorischen Tropical-Vibe aufzuspringen scheint, wird aus dem längst aus Protestsong-Konnotationen gelösten "Guantanamera" im Text ganz schnell "Guantanamo" - und das vermeintliche (Deutschland-)Paradies ist ein Gefängnis. (8.7) Andreas Borcholte
Show Me The Body - "Dog Whistle"
(Concord Loma Vista/Caroline, seit 29. März)
New York City, das kommende Kriegsgebiet. Während sich die Reichen in den Hudson Yards in Luxustürmen und Shopping-Malls verschanzen, formiert sich in Brooklyn der Widerstand. Show Me The Body, drei junge, desillusionierte Männer, die auf der Bühne eine sehr beeindruckende Energie entfachen können, sind die wohl interessanteste Hardcore-Rockband Nordamerikas zurzeit. Mit ihrer Initiative Corpus versammeln sie regelmäßig auch diverse, queere und genrefremde Acts und Künstler zu gemeinsamen Rave-Abenden.
Solidarität der Schwachen und an den Rand Gedrängten in einer für Kreative und Arme lebensfeindlichen Stadt, das ist das Thema der aus Punk, Sludge Metal, Hip-Hop-Einflüssen und, äh, Banjo generierten Wutmusik von Show Me The Body. "Dog Whistle", ihr zweites Album nach "Body War" von 2016, verdichtet den rohen Lärm zu einem hochfrequenten, 25 Minuten langen Schlachtruf. "No work will set me free", grollt Sänger Julian Cashwan Pratt in der Nazi- und KZ-Allegorie "Camp Orchestra", "Drought" schlägt den Prekariats-Bogen von New York nach L.A. ("Desert to desert") - und in "Forks And Knives" wird der kommende Aufstand angestachelt: "Who's ready to come out to show 'em, man?"
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23.04.2021 02.30 Uhr
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Inmitten dieses Sturms wird es dann plötzlich bedrohlich still: Wie Bomben fallen Distortion-Sounds in die schon blutigen Straßen. Sänger Pratt lallt paranoid im posttraumatischen Stress: "Now I know This'll be where I die". Hoffnung gibt es vorerst keine in diesem schon zerbombten und vertrockneten Wasteland, das Pratt in "USA Lullaby" zum Schluss beschwört: "Bombs will probably break this hurt/ Shake us from the earth". Aber im Bunker dröhnt noch was. (8.0) Andreas Borcholte
The Matthew Herbert Big Band - "The State Between Us"
(Caroline/Universal, seit 29. März)
Am Anfang aller Alben des britischen Musikers Matthew Herberts steht immer eine mehr oder weniger konzeptuelle Idee. Wie wäre es, wenn ich eine Platte nur aus Geräuschen mache, die ein Schwein in seinem kurzen Leben produziert? Was lässt sich aus der zehnsekündigen Aufnahme einer Bombendetonation komponieren? Am monumentalen "The State Between Us" sollen über 1000 Künstler und Künstlerinnen aus jedem EU-Land beteiligt gewesen sein. Die Idee des am ursprünglichen Brexit-Datum veröffentlichten Albums: eine Musik, die während ihrer fast dreijährigen Produktion neue Verbindungen schafft, während das politische Gebilde Europa mehr und mehr auseinanderfällt.
Gleich am Anfang dröhnt es verhängnisvoll, ein Chor kündet vom nahenden Untergang. Der erste Sologesang (von Rahel Debebe-Dessalegne) verspricht den Geflüchteten der Welt voller Inbrunst einen sicheren Hafen: "If you're grew up together/ But you're the only one left/ You're welcome here". Es folgen Field Recordings: die Demontage einer britischen Fabrik, eine Ärmelkanaldurchquerung und ein englisches Frühstück, immer versetzt mit traditionellen Big-Band-Arrangements. Am schlüssigsten ist die Musik, wenn sie schlicht Jazz-Formen fortschreibt. Zum Beispiel mit der schönen, Miles-Davis-haften Trompete in "Run It Down" oder im von Grusel-Drones und News-Schnipseln durchdrungenen Glenn-Miller-Cover "Moonlight Serenade". In "Reisezehrung" klingt die Arbeit durch, die Herbert sich 2010 mit der Rekomposition von Mahlers letzter, unvollendeter Sinfonie gemacht hat: ein Sound, der zwischen Romantik und Moderne situiert ist, der also seinen konzepthaften Charakter so sehr ausstellt, dass Authentizität und tiefes Gefühl sich nicht einstellen können.
Preisabfragezeitpunkt
23.04.2021 02.30 Uhr
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Der Rückgriff auf den antiquierten Big-Band-Sound macht spürbar, dass "The State Between Us" als Abschiedsplatte verstanden werden will. Die Massivität des Chores und der Eigensinn des Ganzen machen wiederum klar, dass die Schlacht noch nicht vorbei sein soll. Die Spielfreude und der Spaß an den Ideen, auch den bekloppten (im Stück "Fish and Chips" wird eine Trompete frittiert), rettet zum Glück über so manche Länge dieses mit zwei Stunden nicht zu kurzen Brexit-Soundtracks. (7.5) Benjamin Moldenhauer
Connie Constance - "English Rose"
(AMF Records/Caroline, seit 22. März)
Und noch ein Album für den Brexit-Blues. Die britische Sängerin Connie Constance breitet auf ihrem Debüt-Album mit Emphase ihre Love/Hate-Beziehung zu ihrer Heimat aus. Es beginnt mit einem Cover der schönen, alten Jam-Ballade "English Rose", doch die "soft voice" der mythischen Muse Albions, die Paul Weller vor 40 Jahren besang, will Constance eher nicht sein. "I'll never be your Senorita", singt sie in "Fast Cars" an potenzielle Lover, die auf schnelle Autos und "Movie Stars" stehen; für Glamour und Glitter ist sie zu bunt und bodenständig. Im zugehörigen Videoclip lässt sie ihre ebenfalls dunkelhäutigen Freundinnen in Marie-Antoinette-Roben auftreten. Die englische Rose hat im Jahre 2019 längst keinen vornehm blassen Teint mehr.
Constance kann durchaus lieblich säuseln, noch lieber aber legt sie ein Pub-Gurgeln in ihre Stimme und schwankt bierselig und aufreizend näselnd durch urbane, Reggae-infizierte Clash-Hommagen wie "I Want Out" - oder zählt im lakonischen Sprechgesang von "Bloody British Me" die tristen Schattenseiten ihrer Englishness auf. In solchen Momenten ist die Pop- und R&B-Sängerin Constance plötzlich ganz nah an modernen Storytellern wie King Krule oder Kate Tempest - mit dem handfesten Humor einer Lily Allen.
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23.04.2021 02.30 Uhr
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Auch musikalisch geht es hier drunter und drüber, aber auf durchaus aufregende Art und Weise. Constance wuchs als einziges schwarzes Kind in einer weißen Familie in Londons Vorort Watford auf, erst spät entdeckte sie ihre afrikanischen Wurzeln. Die Grundstimmung hier ist daher blue-eyed wie im beschwingten Northern Soul von "Give & Take". Aber auch Nina Simone ("Grey Area"), der Talking-Lous-Jazz ("Let Go") und die Trip-Hop-Moods der Neunziger ("Blooming In Solitude") und dienen ihr als Folie für Szenen aus ihrem immer melancholischen, aber nie hoffnungslosen Alltag. "I'll get by and get along", singt sie einmal. Daran besteht nach diesem ersten Aufblühen kein Zweifel. (7.7) Andreas Borcholte
Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)