
Echo Klassik: Business as usual?
Echo Klassik Mehr Wagnis, bitte!
Ein veritables Aufsichtsratsmitglied der Oper Los Angeles als Gastgeber, das sorgt für Kompetenz: Thomas Gottschalk pflegt sein klassisches Hobby auch in der kalifornischen Wahlheimat. Als langjähriger Wagner-Fan und Bayreuth-gestählter Held des Crossover sowie ernst zu nehmender Anwalt der Hochkultur war er genau der Richtige, um auch in diesem Jahr durch die Echo-Klassik-Verleihung zu führen.
Gleich zu Beginn drückte Gottschalk dem Tenor Jonas Kaufmann die Echo-Trophäe in der Kategorie "Bestseller des Jahres" augenzwinkernd in die Hände: Es ist Kaufmanns Achte sozusagen, denn so viele Echos hat der international gefeierte Tenor aus München mittlerweile angesammelt. Der nächste dürfte mit seiner just erschienenen CD voller französischer Preziosen schon angepeilt sein. Die Kostprobe "Pourquoi me réveiller" aus Massenets "Werther" trug er gleich vor. Business as usual.
Pure Freude mit Joyce DiDonato
Wenig überraschend ebenfalls, dass Schmusegeiger und Musikbotschafter Daniel Hope zum wiederholten Male einen wohlbekannten Drops aus Vivaldis "Vier Jahreszeiten" lutschte, immerhin war es ein Satz des "Winters", und der steht bekanntlich vor der Tür. Da hätte man sich in der Kategorie "Klassik ohne Grenzen" als Beispiel eher die jungen Nachwuchsmusiker des "Tonali"-Förderprogramms gewünscht, die auch einen Echo bekamen, aber nur als kurzer Einspielfilm präsent waren. Schade auch um den famosen Klarinettisten Sebastian Manz, dessen rasante Kompletteinspielung der Klarinettenwerke von Carl Maria von Weber ebenfalls nur kurz erwähnt wurden.

Echo Klassik: Business as usual?
Mit leisen Tönen betörte dafür die Mezzo-Queen Joyce DiDonato, deren Darbietung von Henry Purcells Arie "When I Am Laid in Earth" aus "Dido and Aeneas" zum Gipfel von Understatement und Klarheit wurde und von so überlegener Künstlerschaft zeugte, dass man nur eines rufen mochte: pure Freude, viel zu kurz! Vor allem, weil danach Maurizio Pollini eine Chopin-Nocturne aus op. 62 spielte, die leider mehr wie eine Pflichtübung klang. Seinen Lebenswerk-Echo hatte der Maestro schon 2002 erhalten, da wirkte diesmal wohl der Einfluss der Deutschen Grammophon, um den in Ehren Gealterten noch einmal auf den Thron zu heben.
Luther-Choral mit Ragtime
Umso schöner, dass die hoch verdiente und vielseitige Sängerin, Intendantin und Regisseurin Brigitte Fassbaender für ihr Lebenswerk geehrt wurde. Strauss, Wagner, Massenet, Mozart: Die Mezzosopranistin kann alles, nicht nur stimmlich, auch darstellerisch. Ganz Grande Dame, bedankte sich Brigitte Fassbaender knapp, sachlich und bescheiden, aber selbstbewusst. Eine perfekte Wahl.
Ja, es hätte ein quirliger Abend werden können, wenn man nur den wirklich explosiven und eigenwilligen Künstlern ein wenig weiteren Raum geboten hätte. Dem Pianisten Lucas Debargue etwa, der einst als Autodidakt begann und jetzt nach später Ausbildung Weltkarriere macht. Seine Variationen des Luther-Chorals "Ein feste Burg ist unser Gott" waren nicht nur virtuos, sondern auch witzig. Von Innigkeit bis zu Ragtime reichte Debargues Palette, und man glaubte beim Finale seines kleinen Finger-Feuerwerks beinahe Sprengsel des Pop-Hits "Girls, Girls, Girls" der Gruppe Sailor zu vernehmen.
"Die beste Fußgängerzonen-Band!"
Gern hätte man auch anderes von der talentierter Cellistin Camille Thomas gehört (Preisträgerin in der Kategorie "Kammermusik-Einspielung"), nicht nur die platte "Carmen"-Bearbeitung von Joachim Schmeisser, die sie zusammen mit der ebenfalls ausgezeichneten Akkordeonistin Ksenija Sidorowa vortrug. Der Preis für den giftigsten Kommentar ging hier an Laudator Till Brönner: "Die beste Fußgängerzonen-Band!" Das war natürlich nur Spaß, aber saß trotzdem.
Überhaupt, die Laudatoren: Ex-Bundestagschef Norbert Lammert würdigte mit Würze und Esprit die "12 Cellisten" der Berliner Philharmoniker, und den Vogel an beredter Kennerschaft schoss Schauspieler Tobias Moretti ab, der den grandiosen Bariton Matthias Goerne zu Recht pries, seine Vielseitigkeit und ernsthafte Künstlerschaft.
Auch deshalb war es unverständlich, dass Kent Nagano (Echo-"Dirigent des Jahres") Goerne bei den beiden Mahler-Orchesterliedern so rabiat mit Lautstärke zudeckte. Wahrscheinlich trug ihn die Begeisterung über Luciano Berios Bearbeitungen der Lieder davon - bei mehr Ausgewogenheit hätte es ein weiterer künstlerischer Höhepunkt werden können.
Was man eigentlich mit dem Abend, der Akustik der Elbphilharmonie und überhaupt dem Anlass hätte anstellen sollen, zeigte dafür aber Naganos orchestraler "Rausschmeißer" am Ende der Verleihung: György Ligetis "Concerto Romanesc" lieferte mit seinem vierten Satz eine wundersame Mixtur aus Folklore und sanfter Avantgarde, Witz und Wagemut in kurzer Form - eine wirkliche Überraschung.
Ein Stück Wanderung zu den Höhen darf man dem Publikum durchaus zumuten, wie die Reaktionen auf das spärlich Ungewohnte an diesem Abend zeigten. Mehr Wagnis also! Dann wird der Echo Klassik künftig auch mehr Widerhall finden.