

SPIEGEL ONLINE: Herr Frahm, Herr Jessen, ihr kleiner Plattenladen "Michelle Records", versteckt gelegen im Herzen der Hamburger Innenstadt, wird mit dem Musikpreis Echo als "Handelspartner des Jahres" ausgezeichnet. Sind sie sehr überrascht?
Jessen: Ja, als wir neulich mit einem Hans-Musikpreis hier in Hamburg bedacht wurden, scherzten wir noch, dass jetzt ein Grammy fällig sei, weil wir niemals einen Echo bekommen werden.
Frahm: Wir setzen in unserem Laden sehr viele Platten ab, und das hat sich wohl so langsam herumgesprochen. Seit fünf Jahren steigern wir unseren Umsatz.
SPIEGEL ONLINE: Angeblich kauft doch keiner mehr Musik und schon gar nicht in Läden.
Jessen: Quatsch. Entgegen aller Gerüchte baut die CD nicht ab, zumindest nicht bei uns, auch Vinyl legt immer mehr zu. Wir sind ein relativ kleiner Laden, aber auch wir brauchen ein Einzugsgebiet von zwei Millionen Leuten. Aber wer von denen zu uns kommt, investiert ganz bewusst in die Infrastruktur, die ein Laden wie unserer bietet. Der bundesweite Trend mag anders aussehen.
SPIEGEL ONLINE: Aber auch sie dürften die Krise in der Musikindustrie gespürt haben. Wollten Sie schon mal dicht machen?
Frahm: Nein, nie. Aber die Jahre 2006 und 2007 waren schwierig. Da war klar, dass es nicht weiter absacken darf. Sonst hätte es sich nicht mehr gelohnt. Wir wussten aber, dass uns und unsere Kunden die Liebe zur Musik verbindet und dass es weitergehen musste. Wir haben dann Ideen wie unsere Schaufenster-Konzerte entwickelt und einen Newsletter-Verteiler eingeführt. Es war und ist hammerharte Arbeit: Es kann vorkommen, dass wir vormittags gegen 9.30 Uhr anfangen mit Buchhaltung und dann bis 2.30 Uhr nachts hier im Lager arbeiten. Zwanzig Stunden Arbeit an einem Tag sind nicht der Normalfall aber kommen schon mal vor.
SPIEGEL ONLINE: Wie alt sind ihre Kunden?
Jessen: Es kommen 68-Jährige und immer wieder erstaunlich junge Leute, die meisten unserer Kunden sind zwischen 25 und 35. Natürlich hilft es, wenn man schon Geld verdient, um sich Platten leisten zu können. Freitags, wenn die Neuerscheinungen da sind, kommen viele und fragen, was davon gut ist. Die wissen, dass wir hier keine Platten für Firmen pushen, sondern sagen, was wir tatsächlich gut finden. Im Gegenteil: Wir warnen eher, als zu empfehlen. Da sind die Leute doch dankbar.
SPIEGEL ONLINE: Wie viele von ihren Kunden kennen sie?
Jessen: Die meisten vom Sehen. Viele kommen ja immer wieder. Bei denen, die über einen längeren Zeitraum auftauchen, kennt man auch die Namen; weiß, was die machen und was die für Probleme im Leben haben. Es kommt vor, dass sich ein Stammkunde hier ausblättert, weil er gerade entlassen wurde und sagt, dass er wiederkommt, wenn er einen neuen Job hat. Auch über Krankheiten und Todesfälle wird gesprochen. Das finde ich toll, weil es belegt, dass wir ein zwischen-kommerzielles Klima haben. Natürlich verkauft man Ware, aber es findet hier doch oft sehr viel mehr statt. Wir haben schon Stammkunden zum Grab begleitet. Genauso werden hier Kinder vorgeführt. Die ganze Bandbreite des Lebens eben.
Frahm: Das macht Musik eben so interessant. Der Austausch darüber ist so wichtig wie die Musik selbst. Alles, was wir anbieten, könnte man sich auch für drei Mausklicks umsonst im Netz besorgen. Aber das Angebot hier reicht dann doch weiter.
SPIEGEL ONLINE: Dann geben Sie doch mal einen konkreten Tipp: Was sind Ihre Musikempfehlungen bei Liebeskummer?
Frahm: Bill Withers "Live", Beck "Sea Change" und für die bessere Laune danach "Das Weiße Album" von Tocotronic.
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Christof Jessen (l.) und André Frahm leiten den Hamburger Plattenladen "Michelle Records". Der wird mit einem Echo als "Handelspartner des Jahres" ausgezeichnet.
Seit fünf Jahren steigern Jessen und Frahm eigenen Angaben zufolge den Umsatz bei "Michelle Records". Dort werde mehr geboten, als bloß Musik, sagen die Männer - manche Stammkunden habe man bis zum Grab begleitet.
Platten, Platten, Platten: "Es war und ist hammerharte Arbeit", sagen Jessen und Frahm über die Arbeit im Laden. Es gebe schon mal 20-Stunden-Tage.
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