Einflussreicher Underdog Rockmusiker Alex Chilton ist tot

Als 16-Jähriger hatte er mit den Box Tops und "The Letter" einen Nummer-eins-Hit; er sang bei Big Star, einer der berühmtesten unbekannten Bands der Welt. Zu seinen Bewunderern zählen R.E.M. und Wilco. Nun ist Alex Chilton im Alter von 59 Jahren gestorben.
Alex Chilton im Jahre 2004: Drei Alben unter den besten aller Zeiten

Alex Chilton im Jahre 2004: Drei Alben unter den besten aller Zeiten

Foto: JACK PLUNKETT/ AP

New Orleans/Hamburg - Über das erste Album von The Velvet Underground heißt es, es hätten bloß 10.000 Leute gekauft, aber sie alle gründeten danach eine Band. Das Zitat, das oft Brian Eno zugeschrieben wird, könnte auch für Big Star gelten. Big Star war eine jener zur Zeit ihres ursprünglichen Bestehens (von 1971 bis 1975) unbekannt gebliebenen Bands, die aber von späteren Generationen immer wieder als prägender Einfluss genannt wurden. Alle drei Alben der Band wurden 2003 vom amerikanischen Magazin "Rolling Stone" unter die 500 besten aller Zeiten gewählt.

Sänger und Songwriter auf den drei Big-Star-Alben war Alex Chilton, der nun im Alter von 59 Jahren in einem Krankenhaus in New Orleans gestorben ist. Sein langjähriger Freund, der Studiobesitzer John Fry, sagte der Zeitung "The Commercial Appeal" aus Memphis, Chilton habe am Mittwoch über Schmerzen geklagt und wurde mit dem Notarztwagen in ein Hospital gebracht, wo er starb. Wahrscheinliche Todesursache ist ein Herzinfarkt.

Alex Chilton hätte am kommenden Samstag bei dem großen Musikfestival South By Southwest in Austin (Texas) mit Big Star auftreten sollen. Dort war auch eine Podiumsdiskussion über die Band geplant, deren Musik im vergangenen November in einem aufwendigen Boxset ("Keep An Eye On The Sky", Warner Music) wiederveröffentlicht worden war. "Alex Chilton konnte einem immer den Kopf verdrehen", sagte Brent Gulke, der Kreativdirektor des Festivals: "Wie kein Zweiter hatte er ein Gespür für Melodien - auch wenn er es manchmal selbst zu verachten schien."

Seine Karriere begann Alex Chilton ganz oben. Mit 16 Jahren nahm er in Memphis (Tennessee) mit seiner aus Schulfreunden zusammengestellten Band The Box Tops den Song "The Letter" auf, der 1967 vier Wochen lang die amerikanischen Single-Charts anführte. Nach neun weiteren Hits in den Billboard Hot 100 lösten sich die Box Tops auf und Chilton zog, frustriert vom Musikgeschäft, nach New York.

Doch nur ein Jahr später war Alex Chilton wieder in Memphis und gründete zusammen mit Chris Bell, Andy Hummel und Jody Stephens die Band Big Star. Das Debütalbum trug den unbescheidenen Titel "#1 Record" und paarte die leicht klingenden Gitarrensounds britischer Beatbands mit der Emotionalität des Südstaaten-Soul. 1971, als Rock allenthalben immer komplexer wurde, wurden die geradlinigen und doch ergreifenden Songs wie "The Ballad Of El Goodo" oder "In The Street" weitgehend ignoriert; ein Schicksal, das auch das zweite Big-Star-Album "Radio City" mit dem längst zum Klassiker gewordenen "September Gurls" ereilte.

"Die Kritiker halten zum Underdog"

"Wir waren schon gelegentlich beinahe großartig", sagte Jahre später Peter Buck, der Gitarrist von R.E.M., über seine eigene Band, "aber uns ist noch nichts gelungen, das so gut ist wie das dritte Album von Big Star." Als "Third/Sisters Lovers" erschien, hatten sich Big Star bereits aufgelöst; das von dramatischen Balladen und zerklüfteten Rocksongs geprägte Album nahm Chilton zusammen mit dem Schlagzeuger Jody Stephens auf; es erschien erst 1978 in den USA.

Neben R.E.M. haben auch Bands und Musiker wie Wilco, Teenage Fanclub, Cheap Trick, Jeff Buckley oder Elliott Smith den Einfluss von Big Star auf ihre Musik anerkannt. Die amerikanische Rockband The Replacements nannte sogar ein Lied "Alex Chilton" ("Children by the million / sing for Alex Chilton / When he comes 'round / They sing, 'I'm in love / What's that song? / I'm in love with that song.")

Nach etlichen, eher erratischen Soloalben trat Chilton seit Anfang der neunziger Jahre wieder mit einer neuformierten Besetzung von Big Star auf, in der er unter anderem von zwei Musikern der kanadischen Band The Posies unterstützt wurde, die zu den offensichtlichsten Big-Star-Fans der neuen Generation zählten.

Alex Chilton bedauerte nicht, nicht berühmter geworden zu sein. "Ich würde nicht wie Bruce Springsteen sein wollen. Ich brauche nicht so viel Geld und will keine 20 Bodyguards", sagte er 1987 in einem Interview: "Wenn ich viel populärer wäre, würden mich die Kritiker nicht mehr so mögen. Die Kritiker halten gern zum Underdog."

Nun ist ein Underdog gestorben, dessen Einfluss in Power-Pop und Indie-Rock noch lange zu hören sein wird.

feb/AP

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