Umstrittener Eurovision Song Contest Danke, Anke!

Jury-Mitglied Anke Engelke (links): "Aserbaidschan, Europa beobachtet Dich!"
Foto: Daniel Reinhardt/ dpaBerlin/Baku - Der Tag hatte mit der Meldung neuer Festnahmen begonnen, er endete mit einer blendenden Inszenierung: Bei einer Demonstration vor dem Finale des Eurovision Song Contest in Aserbaidschan seien nach neuen Angaben der Opposition am Freitag mehr als 60 Menschen festgenommen worden. Wie das Oppositionsbündnis Public Chamber auf seiner Facebook-Seite mitteilte, wurden zudem rund zehn Demonstranten verletzt.
Am Abend war für TV-Zuschauer, die sich im Vorfeld nicht mit der Berichterstattung über das autoritäre Regime von Aserbaidschan auseinander gesetzt hatten, von solchen unschönen Szenen nichts zu bemerken. Die ESC-Show, das wohl weltweit größte nicht-sportliche TV-Ereignis, hätte auch in jedem anderen Land stattfinden können - so sauber, so glänzend inszeniert, so technisch perfekt, wie sie war. Da wurden mehr oder weniger erträgliche Lieder mehr oder weniger richtig gesungen, es wurde artig moderiert wie jedes Jahr, keine politische Demonstration auf weiter Flur.
Mit einer einzigen Ausnahme, die deshalb besonders bemerkenswert ist, obwohl sie nur wenige Sekunden dauerte und so charmant vorgetragen wurde, dass sie die heitere Stimmung nicht zum Kippen brachte: Als die Entertainerin Anke Engelke die aus Deutschland vergebenen Punkte vortragen sollte, bedankte sie sich zunächst für die schöne Show, bedankte sich bei allen Helfern - und sprach dann folgende Sätze auf Englisch: "Heute Abend konnte niemand für sein eigenes Land abstimmen. Aber es ist gut, wählen zu können. Und es ist gut, eine Wahl zu haben. Viel Glück auf Deiner Reise, Aserbaidschan! Europa beobachtet Dich! Und hier sind die Ergebnisse der deutschen Jury…" Den Moderatoren in Aserbaidschan blieb gar nichts anderes übrig, als diese kleine politische Demonstration einfach wegzulächeln. Die Twitter-Gemeinde hat hingegen gut zugehört: In dem Echtzeit-Medium wird Engelke für ihre Äußerung gefeiert.
Pompöser Auftritt des Schwiegersohns
Wie wenig sich das Regime in Aserbaidschan darum schert, was der Rest der Welt über seine Methoden denkt, wurde insbesondere kurz vor Beginn der Punktevergabe deutlich: In einem Akt dreister Machtdemonstration jenseits jeglicher künstlerischer Erwägungen trat ausgerechnet der Schwiegersohn Ilham Aliyevs, des Machthabers von Aserbaidschan, ein Sänger namens Emin, auf die Bühne. Beziehungsweise, weil ein einfacher Auftritt wohl nicht pompös genug gewesen wäre: Er schwebte an Seilen von der Saaldecke ein. Und sang ein dürftiges Pop-Liedchen.
Aber selbst dieser seltsame Auftritt dürfte unbedarften Zuschauern kaum aufgefallen sein - ist doch der ESC auch in demokratischen Ländern oft genug eine Ansammlung seltsamer Auftritte. 26 Kandidaten konkurrierten um den ersten Platz beim ESC in der aserbaidschanischen Hauptstadt. Schätzungsweise mehr als hundert Millionen Fernsehzuschauer schalteten wieder ein. Das Publikum in allen 42 ESC-Teilnehmerländern konnte abstimmen. Über das Ergebnis entschieden zu jeweils 50 Prozent das Televoting und nationale Jurys.
Gewinner und Verlierer beim ESC in Baku
Rang | Land | Punkte |
---|---|---|
1 | Schweden | 372 |
2 | Russland | 259 |
3 | Serbien | 214 |
4 | Aserbaidschan | 150 |
5 | Albanien | 146 |
6 | Estland | 120 |
7 | Türkei | 112 |
8 | Deutschland | 110 |
9 | Italien | 101 |
10 | Spanien | 97 |
11 | Moldau | 81 |
12 | Rumänien | 71 |
13 | Mazedonien | 71 |
14 | Litauen | 70 |
15 | Ukraine | 65 |
16 | Zypern | 65 |
17 | Griechenland | 64 |
18 | Bosnien | 55 |
19 | Irland | 46 |
20 | Island | 46 |
21 | Malta | 41 |
22 | Frankreich | 21 |
23 | Dänemark | 21 |
24 | Ungarn | 19 |
25 | Großbritannien | 12 |
26 | Norwegen | 7 |
Um etwa 0.16 Uhr am frühen Sonntagmorgen, Ortszeit in Aserbaidschan nach 3 Uhr, stand dann fest, dass Schweden das nächste Ausrichterland der Mega-Show sein wird. Dort ist keine Menschenrechtsdiskussion zu erwarten.