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Conchita Wurst: Beim Barte der Interpretin!

Foto: Jörg Carstensen/ dpa

ESC-Kandidatin Conchita Wurst Küsschen, liebe Schwulenhasser

Hautenges Kleid, getuschte Rehäuglein, Highheels - und ein dichter Bart: Beim Eurovision Song Contest tritt die Mann-Lady Conchita Wurst für Österreich an. Eine billige Provokation?

"Die bärtige Frau" war ein Programmpunkt vieler sogenannter Freak Shows, die im 19. Jahrhundert über die Dörfer zogen, um die faszinierten bis angeekelten Bewohner mit der Ausstellung angeblich "abnormer" Menschen zu erschrecken.

Nun ist die "bärtige Lady" Conchita Wurst alias Tom Neuwirth laut der biologisch-normativen Definition (die viele Menschen als zu eng erachten) keine Frau mit männlichem Haarwuchsmuster. Sondern ein junger Mann, geboren 1988 in dem 13.000 Seelen-Städtchen Gmunden, Österreich, der sich gern und stark schminkt, sich in glitzernde Divenroben hüllt, zu seiner Homosexualität steht und dank seiner außergewöhnlichen Stimme und einem ebensolchen Bühnendrang für Österreich am ESC teilnehmen wird.

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Eurovision 2014: Alle Teilnehmer des zweiten Halbfinales

Foto: Mario Micallef/ PBS

Er wird dabei seinen gepflegten Vollbart tragen, und damit engstirnige Alm-Öhis und erzkonservative Stammtischbrüder zutiefst verstören. Conchita Wurst nennt sich übrigens etwas holzhammermäßig so, weil es ihrer Ansicht nach "Wurst" sei, wie man aussieht und in welchen Genderbereichen man wildere. Und damit provoziert sie fast größeres Entsetzen, als die "bearded ladys" vor 200 Jahren.

Conchita (der ihr Erfinder Neuwirth eine komplette, ausgedachte Biografie  auf seine Homepage gestellt hat) marschiert festen Schrittes und in Highheels da weiter, wo Dana International aufgehört hat. Vor 14 Jahren wirbelte der ESC-Sieg der Male-to-Female-Transidentikerin Dana einigen Medienstaub auf, bei dem glücklicherweise einiges für Toleranz und Verständnis für das Wissen um Transgender-Menschen abfiel. Conchita, die bereits vor zwei Jahren für ihr Land an der Vorauswahl zum ESC teilnahm, will einfach nur aussehen, wie sie lustig ist. Und das bedeutet in ihrem Fall: Wie eine glattgeföhnte, exotische Barbie mit getrimmtem Jack-Sparrow-Bart.

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Dass es hetero- und homosexuelle Transvestiten gibt und diese nicht selten bestimmte geschlechtlich zugeordnete Merkmale - Bart, tiefe Stimme, Brusthaare - in ihr Kostüm integrieren, ist zwischenzeitlich bis in die kleinsten Ecken der Welt vorgedrungen. Aber bislang durften Travestiekünstler nur in die Großstädte, zum Karneval oder ins "Dschungelcamp".

Auch Conchita Wurst hat einschlägige Erfahrungen: Ihr Alter Ego Tom versuchte es bereits 2007 in der österreichischen Castingshow "Starmania", als Conchita machte sie 2011 bei einer weiteren Castingshow mit und gemeinsam mit anderen Größen der unterirdischen Unterhaltung stapfte sie 2013 in der latent rassistischen RTL-Dokusoap "Wild Girls" durch die namibische Wüste. Im selben Jahr arbeitete sie zudem für die ORF eins-Sendung "Die härtesten Jobs Österreichs" in der Fischverarbeitung und ließ sich dabei filmen, wie sie Fischen den Garaus machte.

Beim ESC aber - und darum weht Conchita mit ihrem James-Bondigen, hübsch orchestral arrangierten Song "Rise Like A Phoenix" samt pathosschwangerem Video so viel Empörung und blanke Homophobie entgegen, - war bislang die Welt noch in Ordnung. Dazu gehörte, dass Frauen auf der Bühne, auch wenn sie - wie Dana - etwas warten mussten, um in ihren Körper zu passen, glattrasiert zu sein hatten und höchstens Rouge oder Glitzergel auf den Wangen tragen durften. Dass Männer in Abendkleidern und mit falschen Fliegenbeinwimpern ihre Ohrringe klimpern lassen, passierte beim ESC garantiert zuhauf vor den Fernsehgeräten - der Song Contest flimmert auch und besonders in queeren Haushalten - aber keinesfalls auf der ESC-Bühne selbst.

Es passt zur Entwicklung der letzten Monate, dass der menschenverachtendste Kommentar zu dem jungen Österreicher, der es wagt, gängigen Gendermerkmalen ins Gesicht zu lachen, aus Russland stammt: "Europaweite Schwulenparade" nannte jüngst ein russischer Lokalpolitiker den Songcontest und forderte die Verantwortlichen im eigenen Land wütend zum Boykott auf. Schwulenfeindliche Mitstreiter aus Armenien und Österreich äußerten sich kaum verhaltener, der armenische Sänger Aram MP3 verteidigte sich immerhin nun, er sei nur falsch übersetzt worden, als er Wurst als "nicht normal" bezeichnete .

Vielleicht wäre es für Conchita und den ESC andererseits gar nicht schlecht, auf die Homophoben unter den Zuschauern zu verzichten. Es blieben genau die richtigen Menschen übrig, um sie "wie ein Phoenix aus der Asche" zum Sieg zu tragen.


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Dann sind Sie auf SPIEGEL ONLINE richtig. Wir übertragen auch den Rest des Eurovision Song Contest 2014 im Livestream. Und zwar:

- das zweite Halbfinale am 8. Mai (Donnerstag) ab 20.55 Uhr und

- das Finale am 10. Mai (Samstag) ab 20.55 Uhr.

Foto: ARD
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