Exklusiver Jimi-Hendrix-Download Rock-Revolution mit links
"Different strokes for different folks" war ein Sprichwort, das James Marshall "Jimi" Hendrix gerne benutzte: Jeder nach seiner Façon. Diese entspannte Haltung pflegte er auch, wenn er in Interviews auf die brennenden politischen Fragen seiner Zeit angesprochen wurde: Rassenkonflikte, Anti-Vietnam-Protest? Hey, meinte Jimi, warum können sich die Leute denn nicht einfach vertragen? Selbst, als ihn ein Fernsehmoderator einmal etwas verkrampft auf seine "unorthodoxe" Version der amerikanischen Nationalhymne ansprach, eine verstörende Verquickung aus "Star Spangled Banner" und Bombenlärm, die Hendrix auch vor Tausenden Zuschauern beim Woodstock-Festival dargeboten hatte, legte er sich nicht auf den ganz offensichtlichen Bezug zum Vietnam-Krieg fest, sondern entgegnete: "Unorthodox? Ich fand es einfach nur beautiful!"
Die Musik war das einzige Thema, bei dem Jimi Hendrix seinen Gleichmut aufgab. In der Musik konnte sich der Science-Fiction-Fan davonträumen, mit ihr konnte er schaffen, was ihm von früher Jugend an ein dringendes Anliegen war: komplett neue Klänge zu schaffen, einen völlig neuen, nie dagewesenen Sound. Wie nah er diesem Ziel trotz seines kurzen Lebens gekommen ist, zeigt die nachhaltige Beschäftigung der Popkultur und -kritik mit dem Phänomen Hendrix. Zum 40. Todestag des amerikanischen Gitarristen und Sängers am 18. September erschienen erneut Dutzende Feuilleton-Artikel, die auch im Abstand der Jahrzehnte noch immer ein Staunen eint - über die große Einfühlsamkeit und atemberaubende Fingerfertigkeit, mit der Hendrix die elektrische Gitarre bediente. Es ist auch ein nachhaltiges Staunen über die bis heute visionäre Kraft seiner Musik.
Wahrhaft unerhörte Musik
Die von seiner Familie geführte Stiftung Experience Hendrix hat nun erneut die Archive geöffnet und einen großen Schwung unveröffentlichtes Material zusammengestellt, das in einem Jubiläums-Boxset erscheint: Die Anthologie "West Coast Seattle Boy" versucht auf vier CDs und einer DVD mit dem 90-minütigen Dokumentarfilm "Voodoo Child", noch einmal die ganze Geschichte zu erzählen: Von den Anfängen als Tourgitarrist für die Isley Brothers, Don Covay oder Little Richard über die wilden Londoner Jahre mit der Jimi Hendrix Experience bis hin zu seinen Bemühungen, mit der Band of Gypsys aus drogeninduzierten Phantastereien, Blues und viel Verstärker-Feedback wahrhaft unerhörte Musik zu erschaffen. Vor allem die frühen Dokumente, darunter die Songs "Testify" (Isley Brothers), "Mercy, Mercy" (Don Covay) oder "(My Girl) She's A Fox" (The Icemen), in denen der distinktive Gittarensound von Hendrix bereits erkennbar, aber noch dem Kontext anderer Bands untergeordnet bleiben musste, sind hier erstmals nicht mehr nur auf obskuren Vinyl-Veröffentlichungen der siebziger und achtziger Jahre erhältlich, sondern in brillanter Qualität auf CD zu hören.

Jimi Hendrix: Träume vom Zukunftsblues
Nachdem Hendrix 1966 vom Animals-Bassist Chas Chandler in einem New Yorker Village-Club entdeckt wurde, wo er mit seiner ersten Solo-Band Jimmy James & The Blue Flames auftrat, ging es steil bergauf mit der Karriere des Blues-Fans aus Seattle, der sich das Gitarrenspiel als Kind selbst beigebracht hatte - mit Platten von Muddy Waters, Howlin' Wolf und Chuck Berry. "Different strokes", das hieß für Hendrix auch ganz schlicht eine ungewöhnliche Handhabung seines Instruments, denn für Linkshänder wie ihn wurden in den frühen Sechzigern noch keine Geräte angefertigt. Hendrix zog daher kurzerhand die Saiten verkehrt herum auf und hängte sich die Gitarre so um, dass er die Bünde am Hals mit der Rechten bedienen konnte - eine optische Kuriosität, die mit seinem radikalen Spiel umso mehr harmonierte.
Exklusiver Download für SPIEGEL-ONLINE-Leser
Chandler nahm den von der aktuellen Rockszene zunehmend gelangweilten Gitarristen mit nach London, wo er mit Drummer Mitch Mitchell und Bassist Noel Redding zwei Mitstreiter fand, die seinem kompromisslosen Ansatz folgen konnten und wollten - und wo er binnen kürzester Zeit zum gefeierten und bewunderten Star wurde: "Fire", "Hey Joe", "Can You See Me", "Purple Haze" und "Foxey Lady" stammen aus dieser Zeit: Lärmende, animalische, rohe Songs, die den allgemeinen Zeitgeist der Veränderung und des Aufbruchs kongenial mit einem Soundtrack versahen. Furchterregend muss Hendrix auf die Kids der damaligen Zeit gewirkt haben, ein Derwisch, halb Afroamerikaner, halb Cherokee, mit wildem, wie elektrisiert wirkendem Haarschopf und keckem Schnurrbart.
Angesichts der Fülle des bisher unveröffentlichten Materials - so gut wie keine der Live-, Demo- oder Alternativ-Versionen bekannter Hendrix-Songs, die auf "West Coast Seattle Boy" enthalten sind, war bisher erhältlich - zeigt sich einmal mehr die rastlose Kreativität jenes Ausnahmekünstlers, der diese abgegriffene Bezeichnung tatsächlich verdient. Hendrix war stets schnell gelangweilt: Legendär ist der Live-Auftritt in einer englischen TV-Show, wo er die Band nach der Hälfte seines Hits "Hey Joe" in eine Spontan-Version von Creams "Sunshine Of Your Love" umlenkte.
Kaum ein Song wurde zweimal so gespielt, wie er auf Platte gebannt wurde, aber jedes Stück wurde immer wieder variiert, weiterentwickelt, neu aufgenommen, anders eingespielt, daher existiert auch vier Jahrzehnte nach seinem Tod noch immer ein so umfangreiches Archiv nichtveröffentlichter Improvisationen und alternativer Takes. Auch einige tatsächlich ungehörte Tracks sind dabei, darunter der "Hound Dog Blues" aus einer BBC-Session von 1967, "Lonely Avenue", das Hendrix 1969 zusammen mit Buddy Miles aufnahm - sowie das mit Miles und Mitch Mitchell eingespielte Stück "Hear My Freedom", das SPIEGEL-ONLINE-Leser hier exklusiv herunterladen können.
Nun könnte man sich nach 40 Jahren Hendrix-Exegese, die bereits tonnenweise offizielles und nichtoffzielles Archivmaterial zutage gebracht hat, natürlich fragen: Muss man sich denn die bisher unbekannte Version von "Stone Free" überhaupt noch anhören? Was gibt einem der nochmals in Nuancen variierte Blues "Red House", welche neue Erkenntnis eröffnet der hier erstmals veröffentlichte, noch unbesungene Basistrack von "Are You Experienced"? Ist das nicht nur etwas für Sammler und ewig nostalgische Hardcore-Fans?
Ja und nein: Viele nachfolgende Bands, von Thin Lizzy über die Red Hot Chili Peppers bis hin zu blutjungen Newcomern wie den Australiern Tame Impala, zehren noch heute von der Energie dieser längst zu Klassikern gewordenen Kompositionen, die Hendrix in nur sechs Jahren geschaffen hat. Sie zelebrieren auch heute noch die klanglichen Möglichkeiten, die Hendrix an seiner Gitarre aufgezeigt hat, transportieren sie in die Gegenwart und träumen sie weiter in die Zukunft. Hendrix hätte das wahrscheinlich "beautiful" gefunden.