Gangster-Pop aus Rumänien Für eine Hand voll Scheine

Reich sein, viele Frauen haben - und viel Sex: Rumäniens Gangsta Rap ist mal brutal, mal zuckersüß. Die türkisch beeinflusste Musik, genannt Manele, polarisiert die Gesellschaft. Ein Besuch in der Manele-Bar von Sibiu, der europäischen Kulturhauptstadt.
Von Antje Blinda und Jörg Pfeiffer

Sein ganzes Herz legt er in dieses Lied. Der Mitte 20-Jährige mit Bundfaltenhose und Gelfrisur schließt die Augen, hebt das Gesicht zur Decke, wiegt sich in den Hüften und singt mit weit offenem Mund. Lautstark. Lauter als die Musik aus den Lautsprechern über ihm, so laut, dass es seinen Freunden peinlich ist: "Jede Nacht, wenn ich alleine bin, dann denke ich an dich, dann bin ich nicht mehr alleine." Noch ist es früher Abend im Club "Ego", die roten Kunstledersofas sind spärlich besetzt. Während sich Europas Kulturhauptstadt Sibiu oberirdisch mit Klassik und dem alljährlichen Jazzfestival feiert, wird unter der Erde in den niedrigen Gewölben eines ehemaligen Gefängnisses Rumäniens Alltagsmusik abgespult: Manele.

"Vor zwei Jahren habe ich mit einer House-Bar angefangen", sagt Daniel, der 27-jährige "Ego"-Besitzer. "Seit dreieinhalb Monaten spiele ich ausschließlich Manele live, und es läuft zehnmal besser als zuvor. Ich bin sehr sehr traurig", sagt er und stößt einen langen Jammerlaut aus, "dass ich es nicht von Anfang an gemacht habe – dann wäre ich jetzt reich." Bum, tschak, bumbum, tschak, im Viervierteltakt leiern verpoppte, orientalische Klänge aus den Boxen. Für rund 50 Euro gibt es eine Flasche Jim Beam und zwei Dosen Red Bull. Teelichter flackern auf Vorsprüngen der meterdicken Wände, Laserstrahlen huschen über die wenigen Gäste. Am Türrahmen lehnt Jürgen, der 19-jährige Bodyguard des Clubs, mit verschränkten Armen: "Hier sind viele Messer unterwegs, man muss aufpassen."

Reich sein, viel Gold, viele Frauen und viel Sex, "Mertzan" – Mercedes - und Handys haben; Boss, King, Macho sein, das sind die Träume, die die Manele-Fans in ihren Liedern träumen: "Es klingeln die Handys wie Teufel. Es kommen die Millionen in Säcken, weil ich so schlau bin. Das ist Gesetz." Aber auch Neid, Gewalt und Hass auf Feinde werden besungen. Die Live-Band, die sich Abend für Abend mit Keyboard und Synthesizer auf die Bühne des größten Manele-Clubs der Stadt stellt, dreht auf. Seit der Wende 1989, dem Sturz Nicolae Ceausescus und dem Ende des Kommunismus, bedeutet Geld alles in Rumänien. Der Schein ist das Wichtigste. Ein Roma mit roter Baseballmütze hält unentwegt sein Handy ans Ohr, auch wenn es zum Telefonieren zu laut ist. Seit 1989 ist Manele – übersetzt "aus der Türkei kommend" - angesagt auf dem Balkan.

Im öffentlichen Radio verboten

Manele-Musik ist laut, penetrant und hundertfach kopiert, die Texte sind simpel und die Grammatik zweifelhaft – Manele spaltet die rumänische Gesellschaft. Die Mittelschicht ist angeekelt, während die breite Masse der einfachen Rumänen nur feiern will. "Manele ist schlecht", sagt Radu Gota, 17, der in einem Jahr Abitur auf einer deutschen Schule in Sibiu macht. "Die Musik ist billig, immer die gleichen fünf Akkorde. Aber schlimmer sind die Texte. Manele ist eine Art Propaganda für Geld, Frauen, Handys, Autos – die Leute fangen an zu glauben, was die Bands singen. Und diese Schicht kann sich das nicht leisten."

"Einfach gut" sei Manele, schreit der Mann mit Tattoo am Oberarm und schwerer Kette mit Christus am Kreuz um den Hals. "Manele kann man gut hören und tanzen, geht genau ins Herz", sagt Daniel. "Die Leute identifizieren sich mit den Texten, sie passen zu ihren Problemen und Wünschen." Im Fernsehen wird die angeblich schädliche Wirkung der Ballermannmusik auf die Jugend diskutiert, im öffentlichen Radio ist sie schon seit Jahren per Erlass verboten. Zum Image des romanischen Landes passte die orientalische Musik wohl nicht. Täglich dudelt der Manele-Sound auf privaten Sendern weiter vor sich hin. Keine Hochzeit auf dem Dorf ohne Manele-Band. Manele ist überall präsent, in Taxis, Discos, Läden.

Selbst in Rastatt bei Baden-Baden seien sie schon für eine Silvesterfeier engagiert worden, sagt Cosmin Ghera, 25. Der hagere Bandsänger mit den verschreckten Augen ist in Weiß gekleidet: weißes Hemd mit der Aufschrift "Burning Desire", helle enge Jeans, weiße Schnabelschuhe. Er schwitzt, seine schwarzen Haartollen fallen ihm ins Gesicht. Es wird voller im "Ego". Acht von zehn Besuchern sind Männer. Ein Mann mit "Lotto"-Shirt auf der Plastikcouch packt Ghera am Nacken, zieht ihn zu sich hinunter, schreit ihm ins Ohr und schwenkt 50 Lei, rund 18 Euro in der Luft. Cosmin singt weiter. "Dieses Lied ist für deinen Bruder im Ausland – alles Gute", ruft er dann ins Mikrofon, in der rechten Hand hält er einen Packen Geldnoten. Noch ein 100-Lei-Schein. "Alles Gute für Gabi - für Denisa, für Mihaela!" Je mehr Scheine, desto mehr Gefühl legt der Sänger in sein Lied.

Jeden Monat verdient jeder der drei Männer auf der Bühne 4000 Euro. Ein Lehrer in Rumänien kommt auf noch nicht einmal 200 Euro netto. "Manele-Musikautomaten" nennt Daniel, der Chef, die Musiker; für Cosmin und seine Kollegen ist Manele "reine Kommerzmusik". Die Stars der Branche wie Adi De Vito oder Nicolae Guta führen in Musikvideos ihre teuren Schlitten samt pelzbehängten Frauen und ihre riesigen Villen vor. Besitz ist Erfolg. Dagegen arbeiten viele der Manele-Fans "eine Woche lang auf dem Bau, und dann ist an einem Abend das ganze Geld weg", sagt Jürgen.

Korruption bestimmen Politik und Alltag

"Das ist nicht meine Welt", sagt der junge Clubbesitzer Daniel, "zu Hause höre ich House oder evangelische Musik, aber bloß kein Manele." Er erwartet demnächst seine erste Tochter, hat fünf Jahre lang in Hessen gelebt und würde am liebsten im "Ego" Laugenbretzeln und Brötchen servieren. Doch in Rumänien kommt das nicht an. Gegessen wird immer noch bei Mutter zu Hause, abends wird getrunken. "Wir zerbrechen Gläser, wir sind die Besten, wir trinken sehr harten Alkohol und bleiben trotzdem auf den Füßen", dudelt es von der Bühne. Daniel hebt die Arme, schunkelt mit dem Oberkörper im Takt und grüßt mit der Bierflasche einen 20-Jährigen in weißem T-Shirt und Goldkette. "Der hat eine Bar und ein Striptease, alles von seinem Vater. Sehr reich."

Rumäniens Gesellschaft hat 18 Jahre nach der Wende immer noch große Probleme: Die alten kommunistischen Seilschaften halten die Machtpositionen besetzt. Korruption bestimmt Politik und Alltag. Seit dem Beitritt zu Europäischen Union am 1. Januar droht die zerstrittene Regierung auseinanderzubrechen: Vor kurzem holte das Volk den selbsternannten Kämpfer gegen Korruption, Staatschef Traian Basescu, per Abstimmung zurück ins Amt, nachdem ihn das Parlament wegen Machtmissbrauchs entlassen hatte. Die Löhne sind gering, die Supermarktpreise so hoch wie in Deutschland.

Viele junge IT-Spezialisten und Akademiker sehen ihre Zukunft daher im Ausland. Für die Jugendlichen im vom Balkan beeinflussten Süden Rumäniens und in den Vorstädten Bukarests ist das Leben hart. Manele-Texte sprechen ihnen aus dem Herzen: "Hast du nach mir getreten, zerschlag ich dein Gesicht. Ich hau dir in die Fresse, leg dich nicht mit mir an, ich reiß dir die Lunge ab", singt Florin Minune. Im kleinbürgerlichen, europäisch geprägten Sibiu, dessen mittelalterliche Innenstadt mit deutscher Hilfe herausgeputzt wurde und nun wie ein Ufo zwischen Plattenbauten liegt, wirken solche Worte befremdlich.

Der Barkeeper wirbelt hinter seinem Tresen. Die Stimmung steigt, eine Hand fährt der Prostituierten im schwarzen Mini das Bein hinauf und tätschelt ihren Hintern. Hinten tanzen Pärchen Ringelpiez mit Anfassen oder kuscheln sich in die Sofaecken, vorne wiegen sich die Männer mit erhobenen Armen, singen lauthals, klatschen in die Hände. Das Laserlicht flackert hektisch. Cosmin kommt kaum noch zum Singen. "200 Lei für deine Mutter. Alles Gute!" "Für alle deine Freunde hier!" "Für Laura, Mirela, Claudia!" Seine linke Hand umklammert das dicke Geldbündel.

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