Gorillaz-Konzert in Berlin Pottwale im Schleudergang

Gorillaz-Sänger Damon Albarn auf Bühne: Ständig in Bewegung bleiben
Foto: dapdAm Anfang ist das Wort, und das Wort hat Snoop Dogg. Er rappt die Ouvertüre des einzigen Deutschland-Konzerts der wie ein maliziöser Zirkusdirektor, der weiß, was folgen wird. Tatsächlich überschlagen sich danach die Ereignisse. Es greifen Jagdbomber an, fliegende Untertassen und sogar bösartige Pottwale. Dampfer versinken in Fluten, denen ein ferngesteuerter Leviathan entsteigt. Ein weiblicher Android zappelt unter blau blitzenden Stromstößen. Kugeln fliegen, viele Kugeln, und der Tod persönlich breitet seine schwarzen Schwingen aus. Eine fliegende Insel, angetrieben von einer brennenden Windmühle, wird von einem finsteren Hubschrauberballett zum Absturz gebracht.
Bruce Willis verfolgt auf dem Highway einen Wagen voller grotesker Gestalten, der am Ende über eine Klippe ins Wasser stürzt und sich dort in einen Fisch verwandelt. Durch die Wildnis stolpern unbeirrt zwei Männer, die sich erst als Zombies entpuppen, als sie am Ende ratlos feixend vor einem Abgrund stehen. Jetzt dreht ein Derwisch versunken seine Runden. Ein Piratenschiff sinkt aus dem Orbit auf das Meer herab, wo es bald an einer Insel aus Plastik vor Anker geht. Nebel wallen und lichten sich über grauen Wellen, während in den Grotten darunter eine Flotte maroder U-Boote unterwegs ist zu einer selbstmörderischen Mission. Einer der Kapitäne, nur kurz im Bild, ist Lou Reed.
So weit eine knappe Zusammenfassung des schrillbunten Spektakels, das sich auf der Leinwand hinter der Bühne abspielt. Und das ist nichts gegen das Schauspiel, das sich den rund 12.000 Besuchern dieses Konzerts im Berliner Velodrom auf der Bühne bietet: ein Septett aus Streichern, alles Frauen, beinfrei und mit neckischen Matrosenmützen; eine doppelte Schlagzeugbatterie; vier Background-Sängerinnen, drei Keyboarder; eine Bläsersektion aus Chicago.
Da ist Mick Jones an der Rhythmusgitarre und Paul Simonon am Bass, die halbe Besetzung also der seligen Punkband The Clash; die Sängerin Yukimi Nagano von der schwedischen Pogruppe Little Dragon; die HipHop-Crew De La Soul aus New York. Ein Ensemble traditioneller syrischer Musiker, auf der laufenden Tournee aufgegabelt in Damaskus, die lebende Soul-Legende Bobby Womack und schließlich . Kopf, Herz und Verstand dieses ebenso vielschichtigen wie vielköpfigen Ungeheuers.
Japsend, bevor er sich wieder ins Getümmel wirft
Die Gorillaz sind oberflächlich eine virtuelle Band aus zwielichtigen Comic-Figuren, erdacht vor neun Jahren von "Tank Girl"-Erfinder Jamie Hewlett. Tatsächlich aber darf man sich die Gorillaz als multimediales Molekül vorstellen, an das andocken kann, wer oder was Damon Albarn gefällt.
Bei der letzten Tournee blieben die Musiker noch im Hintergrund und überließen ihren virtuellen Avataren die Bühne. Diesmal ist die poppige Oberfläche des Projekts auf eine Leinwand verbannt, und davor präsentiert sich die Band in ihrer ganz realen, sehr körperlichen Wucht. Allen voran Damon Albarn selbst.
Sonst eher von zurückhaltender Schluffigkeit, bildet der Sänger von Blur hier ein sichtlich glückliches Gravitationszentrum des Abends. Ansprachen ans Publikum hält er fast ausschließlich auf Deutsch, was das Publikum immer goutiert. Mit 42 Jahren wirkt er unverändert jungenhaft, kaum zwei Takte lang hält es ihn an einem Platz. Eben klatscht er noch ganz vorne Hände ab, schon ist er für "On Melancholy Hill" hinter dem Piano verschwunden, jetzt spielt er auf einer kleinen roten Harmonica, schwenkt zu "White Flag" eine weiße Fahne, liefert sich ein schmachtendes Duett mit Little Dragon oder einen Battle mit De La Soul. Manchmal wirft er sich sogar in Pose für die eine oder andere ironische Freddie-Mercury-Gedenkgeste. Und wenn ihm die Puste ausgeht, verharrt er für eine Sekunde nach vorne gebeugt, mit den Händen auf den Knien, japsend, bevor er sich wieder ins Getümmel wirft. Gerne verzeiht man, dass nicht jeder Song als Song funktioniert, sondern nur Anlass für ein weiteres Bassgewitter zu sein scheint.
Es ist, als müsse der Mann stets unterwegs und auf der Hut sein, damit auf der Bühne nicht alle Ebenen ins Rutschen kommen und dem Publikum die cleveren Referenzen nur so um die Ohren fliegen. Die Gefahr des Auseinanderfallens besteht den ganzen Abend über, und sie macht seinen Reiz aus. Disco, HipHop, Funk, Soul, Psychedelia, Indie, Folk und sogar Punk - hier ist auf der Fläche von zwei Fußballfeldern zusammengesperrt, was nicht zusammengehört.
Was auf Alben wie "Demon Days" oder "Plastic Beach" spürbar ist - hier kann man es förmlich mit Händen greifen: Gorillaz, das ist eine Zeichenmaschine im durchaus bedrohlich vibrierenden Schleudergang. Dass diese rührend postmoderne Musik über fast zweieinhalb Stunden allen zentrifugalen Kräften widersteht, das ist das eigentliche Ereignis dieses Abends.