Großer Eurovision-Soundcheck Wer wird die neue Lena?

Die doppelte Meyer-Landrut: Verteidigt Lena den Titel? Oder folgt ihr jemand anderer nach?
Foto: dapdDer Countdown zum großen Finale in Düsseldorf läuft, die ersten Entscheidungen sind bereits in dieser Woche gefallen: 20 Länder haben sich in den beiden Halbfinals für die Endrunde des 56. Eurovision Song Contests qualifiziert. Vervollständigt wird das Kandidatenfeld von den "Big Five", den Zahlmeistern der European Broadcasting Union, unter deren Dach der ESC veranstaltet wird: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien.
Aber wie klingen eigentlich die 25 Lieder, die in Düsseldorf um die "Musik-EM" kämpfen? Wer hat mit seinem Song ernsthaft Chancen, die deutsche Titelverteidigerin Lena Meyer-Landrut vom Thron zu stoßen? Wessen Bühnenshow verspricht reiche Punkteernte bei Jury und Publikum? Lesen Sie es nach im großen Soundcheck - und zwar in der Reihenfolge des Auftritts beim Finale.
Startnummer 01: Finnland - Paradise Oskar: "Da da dam"
Nicht unbedingt der beste Startplatz für Axel Ehnström, der sich Paradise Oskar nennt, nach einer Figur aus Astrid Lindgrens "Rasmus und der Landstreicher". Denn sein Beitrag lebt von den eher leisen Tugenden und käme sicher besser an als Erholung nach einem Block von osteuropäischem Krawallgetrommel.
So muss der schulbubenhafte 20-Jährige darauf hoffen, von Anfang an großen Eindruck zu machen mit seinem koketten Lächeln, der aufgehenden Erdkugel an der Videowand und seinem kleinen, hübschen Liedchen über einen Jungen, der einfach nur die Welt retten will. Paradise Oskar hat das Lied selbst geschrieben und sagt, er habe es nur aus Spaß für den finnischen Vorentscheid eingereicht. Im ersten Halbfinale verfiel Europa dann seinem zurückhaltenden, niedlichen Charme - doch nun muss er 24 weitere Titel lang vorhalten.
Siegchancen: 5/10
Sympathiepunkte: 8/10
Startnummer 02: Bosnien-Herzegowina - Dino Merlin: "Love in Rewind"
Beste Schunkelstimmung in der Halle, als Eurovision-Veteran Dino Merlin das zweite Halbfinale eröffnete. Die Mischung aus einem relativ geradlinigen Akustikgitarre-und-Klavier-Popsong mit balkanesken Melodie-Elementen klingt schlüssig, das "Oh-wooh-ho"-Thema ist nicht originell, aber wirkungsvoll. Und auf der Bühne erinnerte der Sänger zum Glück nicht so fatal an Roger Whittaker wie auf den Pressefotos.
Mit seinem vage von der Midlife-Crisis handelnden Song könnte Dino Merlin ein Olsen-Brothers-artiger Überraschungserfolg gelingen: Die dänischen Sieger von 2000 waren bei ihrem Triumph ebenso Ende vierzig wie der Bosnier diesmal. Dino Merlin ist zum dritten Mal mit einer Komposition beim Song Contest vertreten; "Putnici", sein Duett mit der Französin Béatrice, schaffte es 1999 immerhin auf den siebten Platz.
Siegchancen: 6/10
Sympathiepunkte: 6/10
Startnummer 03: Dänemark - A Friend in London: "New Tomorrow"
Man kann Gruppenreisen buchen in die Vostrup Efterskole, das Internat in Westjütland, in dem sich die vier Jungs von A Friend in London kennengelernt haben. Ob die Trips wohl ein Hit werden nach dem Finalauftritt der dänischen Band? Im zweiten Halbfinale machte jedenfalls Sänger Tim Schou großen Eindruck mit seiner Frisur, die nur knapp weniger in Richtung Hallendecke strebte als die der Jedward-Zwillinge, die für Irland an den Start gehen.
Normalerweise spielen A Friend In London gefälligen Pop-Rock mit Indie-Anklängen, so eine Band gibt es in so ziemlich jeder Stadt Mitteleuropas. Doch beim Song Contest spielen sie eine Hymne, wie sie die englischen Glam-Rocker von Mott The Hoople in den Siebzigern auch nicht bierseliger hingekriegt hätten, angemessen breitbeinig und mit einer gewissen Punk-Ausstrahlung vorgetragen - so dreist, dass sie durchaus Chancen auf einen Platz unter den ersten Fünf haben könnten.
Siegchancen: 5/10
Sympathiepunkte: 6/10
Startnummer 04: Litauen - Evelina Saenko: "C'est ma vie"
So mancher spottete vor dem ersten Halbfinale darüber, dass die zweisprachig aufgewachsene Sängerin (Litauisch und Polnisch) ihrem französischen Songtitel ansonsten fast nur englische Zeilen folgen ließ. Doch dann begann die Dame herumzufuchteln und nun wurde auch dem letzten klar: Hier geht es um universelles Verstehen! Das ist die zweite Strophe in Gebärdensprache!
Nur schade, dass der Text dieser Ballade nicht so arg Substantielles zum Verstehen anbietet: Träume werden wahr, die Liebe, ach, die Liebe. Doch der Vortrag ist dafür um so wuchtiger: Die 23-Jährige wagt sich an die großen, dramatischen Töne und wenn sie sie auch im Finale trifft, dürfte sie sich der Stimmen der Divenliebhaber und Céline-Dion-Fans sicher sein.
Siegchancen: 3/10
Sympathiepunkte: 3/10
Startnummer 05: Ungarn - Kati Wolf: "What About My Dreams?"
Das Cleverste an diesem Euro-Disco-Schlager ist der Text. Denn wenn eine 36-jährige zweifache Mutter darüber singt, dass sie immer zurückstehen musste und sich fragt, was denn aus ihrem Leben und ihren Träumen geworden ist, dann hat das schon eine gewisse emotionale Wucht.
Kati Wolf, deren Name klingt, als käme sie aus Hoyerswerda, sang schon als Kind die Titelmelodie einer Zeichentrickserie, doch ihre Karriere erreichte nie die ganz großen Höhen. Entsprechend singt sie "What About My Dreams?" als ginge es um ihre letzte Chance im Leben - und genau das hat schon oft Wirkung auf die Zuschauer des Eurovision Song Contest gehabt.
Siegchancen: 6/10
Sympathiepunkte: 5/10
Startnummern 06-10: Irland, Schweden, Estland, Griechenland, Russland
Startnummer 06: Irland - Jedward: "Lipstick"
Während der Rest Europas über diese irren Zwillinge mit den Riesentollen staunt, sind Jedward in Großbritannien und Irland als notorische Nervensägen bekannt, seit sie 2009 in der Castingshow "The X Factor" auftraten. Sie spielten sogar eine periphere Rolle im britischen Wahlkampf, als Herausforderer David Cameron bekannte, er sei fasziniert von den Fernsehauftritten der Zwillinge, während Amtsinhaber Gordon Brown sie "als nicht besonders gut" bezeichnete.
Cameron gewann die Wahl - und beim Eurovision Song Contest könnte sich zeigen, dass rumnerven ein Vorrecht des jugendlichen Pop ist. Ihr Song "Lipstick" - geschrieben von einem dänischen Songwriterteam, das schon für Hits der Sugababes oder Samantha Mumba verantwortlich war - hämmert eine hysterische Melodie auf den Hörer ein, während Jedward dazu wild dazu herumhüpfen. Kinder, die für den ESC mal länger aufbleiben dürfen, werden das Duo lieben.
Die beiden haben im Vorfeld beste PR in eigener Sache geleistet und sehr unterhaltsame Interviews gegeben. Die Pappmaske mit ihren hochtoupierten Haaren ist im Pressezentrum in Düsseldorf seit Tagen der Renner, mit dem Auftritt im Halbfinale am Donnerstag haben sie nun auch den Rest überzeugt - großer Pop, der alles gibt, um zu unterhalten.
Siegchancen: 8/10
Sympathiepunkte: 8/10
Startnummer 07: Schweden - Eric Saade: "Popular"
Großes Pech für Schweden, dass Eric Saade direkt nach Jedward antreten muss. Denn auch die Skandinavier setzen auf die Kraft der Hysterie: Gefühlte 200 mal singt der aufgekratzte Sänger den Refrain zu einem Gewitter aus hohen Synthie-Melodien und aufgekratzten Hintergrundstimmen - es ist das Schweden-typische Zuviel beim Eurovision Song Contest, das zuletzt von Resteuropa nur noch wenig goutiert wurde.
Komponist des Songs ist Fredrik Kempe, von dem auch die Beiträge von 2009 ("La voix") und 2008 ("Hero") stammten. Letzteres war nach genau dem gleichen Muster gebaut, Sängerin Charlotte Perrelli galt vorab als große Favoritin, kam am Ende aber nur auf Platz 18. Zuhause in Schweden waren sowohl "Hero" als auch "Popular" wochenlang Nummer-eins-Hits, hoffentlich kein böses Omen für den ehemaligen Boygroup-Sänger Saade.
Dabei sind in seinem Lied durchaus hübsche Details versteckt. So erinnert die Begleitmelodie in der Strophe ein wenig an "Hung Up" von Madonna, was ein hübscher Dreh ist, weil dafür ja wiederum eine Passage aus "Gimme Gimme Gimme" von den schwedischen ESC-Legenden Abba gesampelt wurde.
Siegchancen: 4/10
Sympathiepunkte: 6/10
Startnummer 08: Estland - Getter Jaani: "Rockefeller Street"
Hier nun wird es kurios: Die 18-jährige Getter Jaani tritt mit ihrem atemlosen Liedchen in einer Pappmaché-Stadt auf, die Ältere an die Bühnenaufbauten von Neue-deutsche-Welle-Künstlern wie Der Plan und Andreas Dorau erinnern dürfte.
Doch gepaart mit signalfarbenen Kleidern und dem bemerkenswerten Enthusiasmus der Sängerin wird aus einem arg ungelenk zusammengepappten Lied eine Art Europäische-Kleinstaaten-Version von Katy Perry. Nicht ohne Reiz und auf jeden Fall ein Auftritt, den man auch am Ende der Show noch in Erinnerung haben wird.
Siegchancen: 7/10
Sympathiepunkte: 7/10
Startnummer 09: Griechenland - Loucas Yiorkas feat. Stereo Mike: "Watch My Dance"
Wirtschaftlich weiterhin abstiegsgefährdet, tritt Griechenland mit zumindest musikalisch ungetrübtem Selbstbewusstsein an. Die Idee, einen modernisierten Traditions-Sound mit einem englischsprachigen Rapper zu kombinieren, klingt gewagt.
Zumal Stereo Mike zwar in seiner griechischen Heimat ein Star ist, aber doch eine eher unvorteilhafte Sprechstimme hat und versuchen muss, einen Flow gegen einen recht widerspenstigen Beat zu entwickeln. Loucas Yiorkas singt dagegen befreit auf und spielt im Refrain an auf den mythischen Ikarus, der der Sonne zu nahe kam. Weil's nicht allzu eingängig ist, wird im Wettbewerb nicht viel dabei herauskommen.
Siegchancen: 2/10
Sympathiepunkte: 4/10
Startnummer 10: Russland - Alexej Vorobjov: "Get You"
In den Jahren, in denen es Russland beim Eurovision Song Contest wirklich wissen will, wird Geld ausgegeben für internationale Produktions-Stars. Dima Bilan schaffte seinen Sieg 2008 mit "Believe", einer Komposition des Timbaland-Kompagnons Jim Beanz. 2011 darf Alexej Vorobjov ran mit "Get You", einem Song, den der Lady-Gaga-Hitautor RedOne mitgeschrieben hat.
Wegen besonderer Subtilität hat man RedOne ganz sicher nicht geholt, sondern weil er - wie bei Gagas "Poker Face" bewiesen - weiß, wie ein knalliger Refrain geht. Dafür sind die Strophen allerdings bei "Get You" etwas mau ausgefallen, und ob Vorobjovs etwas arg kalkulierter Charme verfängt? Dima Bilan nahm ja zur Sicherheit noch einen Eiskunstläufer mit auf die Bühne...
Siegchancen: 8/10
Sympathiepunkte: 3/10
Startnummern 11-15: Frankreich, Italien, Schweiz, Großbritannien, Moldau
Startnummer 11: Frankreich - Amaury Vassili: "Sognu"
Bei den englischen Buchmachern ist der Normanne klarer Favorit, doch das muss nichts heißen. Gerade Klassik-Anklänge sind beim Eurovision Song Contest schon oft gescheitert. Amaury Vassili singt eine sich unablässig steigernde Ballade, die ganz auf den Überwältigungsmoment am Schluss setzt. Doch wehe, es kommt die falsche Szene im Schnelldurchlauf...
"Sognu" ist auf Korsisch gesungen, klarer kann man gegen den Trend zum Englischen beim Song Contest nicht angehen: Statt einer Sprache, die fast jeder versteht, nun also eine, die fast allen fremd ist. Grand-Prix-Nostalgiker würde ein Erfolg deshalb wohl freuen.
Siegchancen: 7/10
Sympathiepunkte: 3/10
Startnummer 12: Italien - Raphael Gualazzi: "Madness Of Love"
Italien tritt nach 14-jähriger Pause wieder an und schickt einen 29-jährigen Jazzmusiker. Raphael Gualazzi setzt auf die Kombination seiner durchaus bubenhaften Ausstrahlung mit eher altbackener Musik. Doch kann das gelingen?
Nicht, wenn die Musik so klischeebeladen ist wie diese Swing-Nummer, die nicht einmal das Solo mit der gestopften Trompete auslässt.
Siegchancen: 2/10
Sympathiepunkte: 4/10
Startnummer 13: Schweiz - Anna Rossinelli: "In Love for a While"
Wie man es besser macht, zeigt die Baslerin Anna Rossinelli: Auch bei ihr klingt einiges nach Jazz, vom Standbassisten über den Komponisten ihres Songs, dem Jazzkomponisten David Klein, bis hin zu ihren eigenen Stimmmodulationen. Doch bei Rossinelli fehlt alles Angestrengte, Konservatoriumhafte.
Das liegt zum einen an der Ukulele, die einer ihrer beiden Begleitmusiker spielt. Man kann keine Ukulele hören, ohne erst einmal zu lächeln, das ist ein Naturgesetz. Die Leichtigkeit ihres Klangs setzt sich fort im anfangs ausdrücklich unkomplizierten Gesang der Schweizerin. Doch um wirklich ganz nach oben zu kommen, müsste der Song mehr als nur eine angenehme Stimmung haben, nämlich einen durchschlagenden Refrain.
Siegchancen: 7/10
Sympathiepunkte: 6/10
Startnummer 14: Großbritannien - Blue: "I Can"
Perfekter Startplatz für Großbritannien: Nach so vielen Jazz-Anklängen wird ein purer Popsong erfrischend wirken. Und für puren Boygroup-Pop stehen Blue. Oder soll man sagen: standen? Denn Blue lösten sich 2004 auf - nach großen Hits wie "Sorry Seems to Be the Hardest Word", ihrem Duett mit Elton John. Und nachdem keinem der Sänger solo viel gelungen war, haben sie sich nach einigen Konzerten nun für den Song Contest so richtig wiedervereinigt.
Man kann nicht anders, als bei diesem Szenario an Take That zu denken, denen das Comeback als gereifte Boyband ja so erstaunlich gut gelungen ist. Doch Take That haben mit Gary Barlow einen Songwriter, der die gelasseneren, erwachseneren Stücke zu schreiben vermag. Blue haben sich für diesen Comeback-Titel auf großer Bühne an das norwegische Produzententeam Dsign Music gewendet, das erstaunlich oft für deutsche Castingshow-Gewinner gearbeitet hat (Edita Abdieski, Stefanie Heinzmann, Monrose, Room 2012). Das Ergebnis ist eher zweitklassig.
Siegchancen: 4/10
Sympathiepunkte: 6/10
Startnummer 15: Moldau - Zdob si Zdub: "So Lucky"
Ja, das sind die, die 2005 mit der trommelnden Großmutter auftraten und immerhin den sechsten Platz erreichten. Auf ein solches Gimmick wollten sie auch diesmal nicht verzichten: So traten Zdob si Zdub im Halbfinale mit riesigen Spitzhüten auf und ließen eine Einradfahrerin in ihrer Mitte kreisen. Warum? Ach, ist doch egal.
Immerhin klingt ihr Russendisko-trifft-Red-Hot-Chili-Peppers-Crossover recht schmissig. Produziert wurde der Song übrigens vom Berliner Marc Elsner, der auch schon mit Fanfare Ciocarlia gearbeitet hat, der Gypsy-Blaskapelle, die auch im Film "Borat" vorkam.
Siegchancen: 3/10
Sympathiepunkte: 6/10
Startnummern 16-20, Deutschland, Rumänien, Österreich, Aserbaidschan, Slowenien
Startnummer 16: Deutschland - Lena: "Taken by a Stranger"
Dieser Titel kann als bekannt vorausgesetzt werden für jeden, der in den letzten Monaten wenigstens ein paar Stunden lang einen Mainstream-Radiosender eingeschaltet hatte. Doch die große Frage ist, wie sich "Taken by a Stranger" im Kontext der Finalkonkurrenz anhört.
Sicher ist, dass 2011 mehr moderne, ansatzweise zeitgemäße Popmusik zur Auswahl steht als in Lena Meyer-Landruts Siegesjahrgang. Doch meistens kommt diese fröhlich bis hysterisch daher, während der Song von Gus Seyffert und seinen Mitautorinnen düstere, etwas verrätselte Anklänge hat. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal - aber ist es auch das, was Europas Fernsehzuschauer hören wollen?
Siegchancen: 5/10
Sympathiepunkte: Enthaltung, weil nicht stimmberechtigt
Startnummer 17: Rumänien - Hotel FM: "Change"
Ein Lächeln könne die Welt verändern, so heißt es im Text dieses rumänischen Mitklatschsongs - wenn das keine klassische Eurovision-Aussage ist, dann gibt es keine. Vorgetragen wird sie in akzentfreiem Englisch, da der Sänger David Bryan ursprünglich aus Nordengland stammt. Sein Geld verdient er als Frontmann einer rumänischen Pink-Floyd-Tribute-Band.
Doch so pompös wie Pink Floyd ist hier nichts. "Change" beruht auf einem simplen, fröhlichen Klavierthema und einem geradlinigen Beat; ein äußerst klassischer Popsong, der niemandem weh tut - aber womöglich auch in der Flut der Eindrücke am Abend vergessen werden könnte.
Siegchancen: 5/10
Sympathiepunkte: 7/10
Startnummer 18: Österreich - Nadine Beiler: "The Secret is Love"
In Erinnerung bleiben wird hingegen der Auftritt von Nadine Beiler, die aus dem letztjährigen Lena-Erfolg gelernt hat, dass bei der Show manchmal weniger mehr ist. Also bleibt die 20-jährige mit der Mireille-Mathieu-Gedächtnisfrisur auf einem kleinen schwarzen Podest stehen und verlässt sich auf ihre Stimme.
Die war im zweiten Halbfinale durchaus eindrucksvoll, trotz aller musicalhaften Schnörkel. Ein Gospelchor begleitet die Tirolerin, was ein wenig streberhaft klingt. Doch man muss Nadine Beiler zugestehen, dass sie aus der eher gewöhnlichen Balladen-Komposition des Falco-Keyboarders (was man nicht hört) Thomas Rabitsch viel herausholt.
Siegchancen: 6/10
Sympathiepunkte: 5/10
Startnummer 19: Aserbaidschan - Ell/Nikki: "Running Scared"
Natürlich werden Traditionalisten fragen, was dieser Titel denn mit Aserbaidschan zu tun hat. Doch hat Aserbaidschan bei seinen bisher drei Teilnahmen am Wettbewerb selbst schon eine Tradition entwickelt: Nämlich die, mit sehr internationalen Popsongs teilzunehmen - und das mit Erfolg. Bisher landeten die Songs stets in den Top Ten.
Diesmal könnte der ganz große Wurf gelingen. Die Ballade, die ein schwedisches Songwriterduo geschrieben hat, klingt federleicht, könnte jederzeit im Radio laufen und wurde beim ersten Halbfinale von der Sängerin Nigar Jamal und ihrem Duettpartner Eldar Qasimov sehr geschmackvoll aufgeführt.
Siegchancen: 9/10
Sympathiepunkte: 6/10
Startnummer 20: Slowenien - Maja Keuc: "No One"
Slowenien kommt mit einer Bombast-Rockballade, die von der 19-jährigen Talentshow-Teilnehmerin Maja Keuc vorgetragen wird. Zur Geschichte der Rockröhren von Alannah Myles bis Anastacia kann sie wenig Substantielles beisteuern.
Geschrieben wurde der Song von Matjaz und Ursa Vlasic, die als Team oder einzeln schon viermal für slowenische Eurovision-Titel verantwortlich waren, darunter auch der bisher erfolgreichste, "Energy", 2001 auf Platz sieben. Der Finaleinzug kann bereits als Erfolg gewertet werden.
Siegchancen: 1/10
Sympathiepunkte:2/10
Startnummern 21-25: Island, Spanien, Ukraine, Serbien, Georgien
Startnummer 21: Island - Sjonni's Friends: "Coming Home"
Ganz klar: Hier zählt die Hintergrundgeschichte! Keiner der Kommentatoren in den verschiedenen Ländern wird zu erzählen versäumen, wie der Komponist Sjonni Brink selbst mit diesem Lied antreten wollte, dann aber 36-jährig an einer Hirnblutung starb - und dafür seine Musikerfreunde nach Düsseldorf gereist sind.
Das Lied ist fröhlicher Folk-Pop, zu dem Sjonni Brinks Witwe einen anrührenden Text geschrieben hat. So wirkt die ganze Show der ausgesprochen gemütlich wirkenden Musiker wie ein Leichenschmaus, bei dem die Trauergäste sich daran freuen, noch am Leben zu sein - und dabei beteuern, dass es der Verstorbene so am liebsten gehabt hätte.
Siegchancen: 7/10
Sympathiepunkte: 9/10
Startnummer 22: Spanien - Lucía Pérez: "Que me quiten lo bailao"
Wie so oft bei spanischen Beiträgen in den vergangenen Jahren wirkt die Fröhlichkeit hier etwas erzwungen - doch diesmal heißt der Titel immerhin übersetzt: Niemand kann mir meinen Spaß nehmen.
Vorgetragen wird das Lied von einer 25-jährigen Sängerin, die bereits fünf Alben veröffentlicht hat, darunter eines in der Sprache ihrer Heimat Galiziens. Man hört in Spurenelementen der Gitarre den Einfluss galizischer Folklore. Was nett ist, aber auch wenig mehr.
Siegchancen: 3/10
Sympathiepunkte: 5/10
Startnummer 23: Ukraine - Mika Newton: "Angel"
Ein Spitzengag gelang NDR-Kommentator Peter Urban beim zweiten Halbfinale, als er dem ukrainischen Beitrag mindestens den Sieg bei "Eurovision Sand Contest" zuschrieb. Denn Mika Newtons Auftritt wurde begleitet von einer Sandanimateurin, die auf einer Leuchtplatte Bilder streute und wischte.
Darüber geriet der Song etwas in den Hintergrund, der aber auch einen inzwischen bestens eingeführten Stil bediente: Die von einer Frau mit großer Stimme und schwerem Akzent gesungene Rockballade, in der es immer und unbedingt um ganz große Themen geht.
Siegchancen: 4/10
Sympathiepunkte: 1/10
Startnummer 24: Serbien - Nina: "Caroban"
Sehr fröhlich und sehr retro-lastig kommt der serbische Beitrag daher: Die 21-jährige Nina Radojicic singt mit Sixties-Haarschnitt einen von Bläsersätzen angetriebenen, flotten Popsong. "Flott" hätte man in der Ära gesagt, aus der auch die Tapeten-Designs stammen, die im ersten Halbfinale an die große Videowand geworfen wurden.
All das ist nicht sehr originell, aber doch stimmig inszeniert - deswegen wird zwar nicht der Sieg herausspringen, aber eine gute Plazierung scheint möglich.
Siegchancen: 3/10
Sympathiepunkte: 7/10
Startnummer 25: Georgien - Eldrine: "One More Day"
Während Island das Rührstück der Hintergrundberichterstattung zu bieten hat, kommt die Bösewicht-Geschichte aus Georgien: Nachdem die Band Eldrine den nationalen Vorentscheid gewonnen hatten, kamen Zweifel an den stimmlichen Fähigkeiten der Sängerin auf - die daraufhin kurzerhand ausgetauscht wurde.
Die neue Sängerin, Sophio Toroshelidze, war 2010 schon als Hintergrundsängerin dabei und trifft locker die Töne dieses Rock-Rap-Crossover-Stückes, das besonders findigen Trendforschern bereits als Bote des Neunziger-Revivals erscheinen mag. Oder ist man in Georgien eher etwas hinterher?
Siegchancen: 4/10 Sympathiepunkte: 2/10
Mitarbeit: Hannah Pilarczyk