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Xatar und Haftbefehl: Zwei Gangsta, ein Coup

Foto: Ralph Orlowski/ Getty Images

Gangster-Rapper Haftbefehl und Xatar "Deutschland den Stock aus dem Arsch ziehen"

Wie bewirbt man ein Album voller Gewalt-Rhetorik in Zeiten des Terrors? Das erklären die Rapper Xatar und Haftbefehl.

Die Lobby eines Luxushotels im Berliner Westen: Weltgewandte Exklusivität von der Stange, gedeckte Farben, Frauen in Bleistiftröcken und Männer in teuren Anzügen tragen Aktentaschen spazieren. Nur eine Kleinigkeit ist heute anders: Alle bleiben an der Bar hängen.

Im dort aufgehängten Fernseher werden gerade die Toten der vergangenen Nacht gezählt. Eine Ansprache von François Hollande läuft in Dauerschleife, der Staatspräsident spricht von Krieg. Es ist der Morgen nach Nizza, der Morgen nach dem Anschlag, bei dem ein junger Mann offenbar islamistisch motiviert mit einem Lastwagen 84 Menschen niedermähte. Ein weiterer Treffer ins Herz des westlichen Selbstverständnisses. Ein diffuses Gefühl der Verwirrung liegt in der Luft, eine bleierne Unschlüssigkeit zwischen Fassungslosigkeit und Gewöhnung an eine neue Realität.

Zwischen Zuschauern und Fernseher sitzt der Rapper Xatar in einem Sessel, der für seine Statur bedenklich zu klein ist. "Ich bin selbst Muslim und kann das alles einfach nicht fassen", sagt er. Er lässt sich kurz darüber aus, dass der Westen eine Mitschuld an solchen Ereignissen trage, durch Waffenlieferungen und zweifelhafte Interventionen im Nahen Osten. Seufzt. Konzentriert sich auf sein abgenutztes Handy und versucht, seinen Kumpel Haftbefehl zu erreichen. Der sucht auf seinem Zimmer angeblich noch nach seinen bevorzugten Rasierklingen. "Mailbox", sagt Xatar knapp und lehnt sich zurück.

Es ist keine einfache Situation für den 35-jährigen gebürtigen Iraner aus Frankfurt. Er ist nach Berlin gekommen, um Gangsterklamauk mit Bruce-Willis-Schießereien zu promoten. Unter dem Namen The Coup bringen er und Haftbefehl ein gemeinsames Album mitsamt halbstündigem Begleitfilm heraus.  Das Rezept von "Der Holland Job" ist einfach: Zu großspurigen Beats drehen die beiden Rapper ein fiktives Ding in Rotterdam, zeigen dabei allen, wer der Chef im Ring ist und fahren am Ende mit einer großen Stange Geld nach Hause.

Ein paar melancholische Brechungen gibt es zwar auch, aber gerade in dem in drei Teilen online veröffentlichten, sündhaft teuren Film wird deutlich, um was es geht: Action mit Waffengewalt, dreistellige PS-Zahlen, ein bisschen Slapstick-Humor und jede Menge Explosionen. Kurz gesagt: Coup trichtern dem Deutschrap etwas ein, was schon seit Generationen als patenter Männerspaß gilt: Outlaw-Romantik, ein paar auf die Zwölf und schnelle Autos zu breitbeiniger Musik.

Weitermachen, trotz der Scheiße

Doch dann überdrehte die Welt plötzlich. Und Xatar weiß, dass eine Party mit Waffen gerade so gar nicht in die Stimmungslage passen will. Er zuckt mit den breiten Schultern: "Was sollen wir tun?", fragt er. Und fügt fast entschuldigend hinzu: "Wir müssen weitermachen, trotz der Scheiße."

Weitermachen trotz der Scheiße. So könnte man Xatars Leben in vier Worte packen. Er ist Deutschlands einziger Gangster-Rapper, der den Titel wirklich verdient. Ende 2009 war der Sohn gebildeter iranischer Revolutionsflüchtlinge an einem Raubüberfall in der Nähe von Ludwigsburg beteiligt, mit einigen Komplizen erbeutete er Gold im Gegenwert von rund 1,7 Millionen Euro. Nach einer spektakulären Flucht über Moskau strandete er im nordirakischen Kurdengebiet.

Der lokale Geheimdienst bot an, ihn für tot erklären zu lassen. Er müsse nur verraten, wo das Gold steckt. Xatar lehnte ab. Damit begann die Folter: "Ich wurde täglich verprügelt, meine Fingerkuppen auf Herdplatten gehalten, bis sie aussahen wie verbranntes Plastik", erzählt er. Das Gold ist bis heute verschollen.

Nach drei Monaten spürten deutsche Fahnder ihn in seinem Versteck auf. Xatar gab ein umfassendes Geständnis ab und wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Es muss sich angefühlt haben wie Urlaub.

Aus dem Knast über Handy rappte Xatar seine Texte

Heute ist Zeit im Knast so etwas wie der Gründungsmythos von The Coup: "Damals reifte die Idee für ein gemeinsames Album", sagt Haftbefehl. Der Offenbacher Rapper sitzt jetzt neben Xatar in der Lobby. Seine Klingen scheint der 30-Jährige nicht gefunden zu haben, er kommt mit Dreitagebart, Gucci-Sonnenbrille und schwarz-orangefarbenem Jogginganzug aus dem Aufzug geschlurft, im Schlepptau eine Parfümwolke. "Xatar hatte sich irgendwie ein altes Nokia 7210 in die Zelle geregelt. Darüber telefonierten wir regelmäßig."

Haftbefehl

Haftbefehl

Foto: Gian Ehrenzeller/ picture alliance / dpa

Zuerst machte sich Xatar jedoch in der JVA daran, an seinem Image als "guter" Krimineller zu feilen. Weil bei seinem Überfall niemand verletzt wurde, verklärte ein Teil der Öffentlichkeit ihn über Nacht zu so etwas wie der deutschen Version des Postkutschenräubers Ronald Biggs. Zu jemandem, der das getan hatte, was sich viele insgeheim wünschen: sich einfach zu nehmen, was einem gefühlt zusteht. Ein Soloalbum musste her.

Im Knast schrieb er unablässig Songs. Über das geschmuggelte Handy spielte ihm sein Produzent nachts Beats vor, Xatar rappte seine Texte in die Leitung. "Baba aller Babas" kam ein Jahr nach seiner frühzeitigen Entlassung heraus, und der Plan ging auf: Das Album kletterte auf Anhieb an die Spitze der deutschen Charts. "Der Flüchtling war wieder am Start", sagt Haftbefehl heute süffisant. "Und alle freuten sich mit ihm."

Er lacht trocken. Genau das finde er in Deutschland zum Kotzen: "Man liebt Gangster, so lange sie in sicherer Entfernung Mist bauen." Diese Haltung zeige sich auch im Umgang mit den Asylsuchenden: "Man klatscht am Bahnhof, aber wenn sie in der Nachbarschaft auftauchen, sind sie lästig."

"In der deutschen Geschichte kommen jetzt auch Kanaken vor"

Wie erbittert sich Deutschland zurzeit über seine Identität streitet, haben Haftbefehl und Xatar kürzlich auf YouTube gelernt. Dort haben sie "AFD" hochgeladen,  die erste Auskopplung aus "Der Holland Job". Schamlos rechnen Haftbefehl und Xatar darauf den Rechtspopulisten ihre Bigotterie vor: Der Flüchtling sei an allem schuld, es sei denn man brauche ihn für die Drecksarbeit.

Fünf Tage nach Veröffentlichung des halbgar dahinstolpernden Tracks lesen sich sie Reaktionen wie die Aufzeichnung eines Seismographen. Von blankem Hass bis zu Liebesbekundungen decken die Kommentare das ganze Spektrum gesellschaftlicher Meinung ab. 4287 Nutzer hatten den "Gefällt-mir"-Button unter dem Song gedrückt, 4348 sein negatives Pendant. Ein Riss, wie mit dem Lineal gezogen.

The Coup

The Coup

Foto: Mo Gaff

Für Haftbefehl ist das jedoch zu viel Interpretation: "Ich glaube nicht, dass irgendwelche Rechten den Dislike-Button drücken, um uns zu dissen", sagt er. "Und wenn, sollen sie sich ficken." Beiden liegt die Situation von Flüchtlingen am Herzen, sie können sich durch ihre jeweils eigene Lebensgeschichte mit dem Wunsch nach einem besseren Leben identifizieren - und halten andere Positionen für nicht akzeptabel. Warum auch? Der Umgang mit Bedürftigen sei eine Frage des Anstands.

"Jeder kann in diese Lage kommen. Fragt euch mal, wie ihr dann behandelt werden möchtet", sagt Xatar. "Was die Idioten von der AfD oder der CSU denken, ist doch ohnehin egal", meint Haftbefehl. "Deutschland ändert sich, das können diese Leute nicht aufhalten. In der deutschen Geschichte kommen jetzt eben auch Kanaken vor." Das könne man annehmen und ein buntes Land erleben, oder eben nicht - und sich ewig ärgern.

Eine andere Art der Integration

"Ich persönlich freue mich über die Entwicklung", sagt Haftbefehl. Es sei wichtig, dass Ausländer in Deutschland eine eigene Identität entwickelten, ihren eigenen Slang - auch mithilfe von Musik. Das sei lange überfällig, das Land habe darunter gelitten, dass es so etwas wie deutschen Gangster-Rap eigentlich nicht gab: "Aber die Deutschen verstehen diese Musik einfach noch nicht", sagt Haftbefehl. "Sie sehen die positive Botschaft dahinter nicht, die Integrationskraft." Klar gehe es um Gewalt und Protzerei, aber darunter gebe es auch "eine Ebene der Hilflosigkeit, mit der sich viele Kids identifizieren können."

Zwar habe es schon in den Neunzigern Gangster-Rap gegeben, sagt Xatar, aber damals sei es nicht wie andernorts der Sound der Minderheiten gewesen. Schuld sei die Sprache: "In den Neunzigern verstanden die Kanaken fast kein Deutsch, wie hätte sich da so etwas wie eine multikulturelle Mischsprache entwickeln sollen?", erklärt er. "Unsere Generation ist die erste, die mit der Sprache spielen kann." Das liege daran, dass die meisten Einwanderer in Deutschland nicht aus ehemaligen Kolonien gekommen seien: "In Frankreich, England und Amerika war die Entwicklung einfacher, die Migranten konnten die Sprache schon und sich sofort ausdrücken", sagt Xatar.

"Wichtiger ist, dass diese Mischsprache Einfluss über soziale Grenzen hinweg ausübt", sagt Haftbefehl. Dass hippe Kids in Berliner WG-Küchen heute "Babo" und "Chabo" sagen, sieht er als Teil einer positiven Entwicklung: "Es ist mir egal, ob das ein Thomas aus Bad Homburg sagt, um ein bisschen street cred zu bekommen. Was zählt, ist, dass die Identitäten der Minderheiten in der Mitte der Gesellschaft ankommen", sagt er. "Und sie Deutschland den Stock aus dem Arsch ziehen."

"Vielleicht", meint Xatar, "hilft diese Art der Integration bei noch mehr. Zum Beispiel dabei, so eine Scheiße wie in Nizza zu verhindern."

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