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Komponist Hans Rott: Frühvollendet in später Romantik

Komponist Hans Rott Genie zwischen Mahler und Wahnsinn

Der Komponist Hans Rott war jahrzehntelang kaum bekannt, doch einige Kenner pflegen das musikalische Erbe des genialen Österreichers. Jetzt hat Hansjörg Albrecht ein CD-Paket mit Rott-Werken geschnürt, das überrascht und begeistert.

Ein Weggefährte von Hugo Wolf und Gustav Mahler, ein Riesentalent nach Meinung zeitgenössischer Kritiker und doch um ein Haar vergessen: Der Komponist Hans Rott (1858-1884) setzte zu einer großen Karriere an, starb aber früh an einer tückischen Krankheit. Sein Werk fasziniert auch heute noch, obwohl der frühreife Tonsetzer nur 26 Jahre alt wurde. Jetzt gibt es seine hochklassige E-Dur-Symphonie zusammen mit für Orchester neu gefassten Liedern auf einer CD, vom Bach-Spezialisten Hansjörg Albrecht dirigiert: ein Entdecker-Fest, das überwältigt.

Anmutung von Orgelklang im Orchester und volksliedhafte Schlichtheit - man spürt sofort, dass Hans Rott mit Gustav Mahler studierte und Schüler von Anton Bruckner war. Bruckner, selbst Organist, hat seinem Meisterschüler wohl vor allem das Orgelspiel und den filigranen Breitwand-Sound beigebracht, während sich Hans Rott vom Kommilitonen Mahler den Mix der Stile und die Verwendung populärer Musikmittel abgeschaut hat.

Wie viel Eigenes der im österreichischen Braunhirschen geborene Rott stilistisch zu bieten hat, hört man besonders in den langsamen Sätzen seiner E-Dur-Symphonie (1880), die sich aber nicht mehr Zeit als notwendig nehmen, um Klangwelt und Melodienfülle des Rott-Universums auszubreiten. Vergleichbar sind frühe Werke Gustav Mahlers, die Hansjörg Albrecht ebenfalls einstudiert hat. "Die Symphonie lernte ich vor ein paar Jahren kennen, als ich mich mit Mahlers sinfonischer Kantate 'Das klagende Lied' op. 1 beschäftigte", sagt Albrecht. "Über Mahlers erstes großes Soli-Chor-Orchesterwerk sehr erstaunt, packte mich die Neugier, in welchem Umfeld dieses Werk entstanden war - und so lernte ich Hans Rotts Symphonie kennen."

Organist Albrecht, Jahrgang 1972, leitet das ehemals von Karl Richter gegründete Münchner Bach-Orchester und ist ein Spezialist für das Werk Johann Sebastians Bachs. Daneben gilt sein Interesse zeitgenössischer Musik und Raritäten wie die Musik Hans Rotts. Albrecht sieht viele Verbindungen zwischen Rott und Mahler: "Beide können kontrapunktisch schreiben, doch beide brechen aus den vorgefertigten und scheinbar engen Bahnen aus", sagt Albrecht. "Beethoven und vor allem Wagner waren für beide große Idole. Doch die klassisch-romantische sinfonische Schreibweise von Brahms und Bruckner scheint für die 'Jungen Wilden' nicht mehr ihrem Potenzial und Ausdrucksbedürfnis entsprochen zu haben."

Mit den Münchner Symphonikern fand Hansjörg Albrecht entdeckungsfreudige Partner für sein Vorhaben. "Etliche schöne und interessante Projekte habe ich mit dem Orchester in den letzten Jahren realisiert", sagt Albrecht, "zum Beispiel eine CD mit Ersteinspielungen von Werken des von den Nazis verbotenen, davor hoch geschätzten Komponisten Walter Braunfels, einem Strauss-Zeitgenossen." Diese als sehr fruchtbar empfundene Zusammenarbeit wolle er fortsetzen. Wie gut dies gelang, zeigt auch der zweite Komplex der CD.

Gewagtes mit Goethe

Hans Rotts reiches Werk (Kammer- und Orchestermusik, Chor- und Klavierstücke) ist wesentlich geprägt von seinem umfangreichen Liedschaffen. Zu Liedern, die ursprünglich für Stimme und Klavier geschrieben wurden, hat der deutsche Komponist Enjott Schneider (geboren 1950) Orchesterarrangements komponiert, ergänzt durch kurze Kompositionen als Prolog und Intermezzi, die die Klangwelt Rotts aufgreifen und mit stilistischen Mitteln zeitgenössischer Musik weiterspinnen - behutsam entlang am Ausgangsmaterial, mit gewagten Klangschichtungen und sanften Atonalitäten. So ist herauszuhören, dass Schneider hier nicht nur als Tonsetzer brilliert. Er profitiert auch davon, dass er Hunderte Filmmusiken für das Arthaus-Genre ("Herbstmilch", "Stalingrad") komponiert hat.

Den Bariton-Part dieser Lieder übernahm der bei den Bayreuther Festspielen gestählte Michael Volle, dessen voluminöse Stimme die Texte von Goethe und Vinzenz Zusner selbstbewusst gestaltet - und so aus jedem der kurzen Lieder ein Drama eigenen Zuschnitts erstehen lässt. Man verstand sich bei dieser Ersteinspielung bestens: "Wir kennen uns seit einigen Jahren und haben mehrere Konzerte zusammen bestritten, unter anderem das Verdi-Requiem", sagt Albrecht.

Selbstmordversuche im Wahn

Dramatisch waren auch die Umstände, unter denen Hans Rott die letzten Lebensjahre verbringen musste: Eine fortschreitende psychische Krankheit (später als "halluzinatorischer Irrsinn und Verfolgungswahn" diagnostiziert) brachte ihn in eine Wiener psychiatrische Klinik, in der er 1884 an Tuberkulose verstarb. In den Jahren zuvor hatte er bereits mehrere Selbstmordversuche unternommen.

"Die dramaturgische Idee der CD war das Reflektieren Rotts vor der weißen Wand seiner Zelle in der Wiener Irrenanstalt", sagt Albrecht. "Die Stationen seines Lebens - vor allem das ewig wiederkehrende Thema der unerfüllten Liebe - sollten wie in einem Film schattenhaft an ihm vorüberziehen."


CD-Angaben:
Hans Rott: Balde ruhest du auch / Symphonie in E-Dur. Michael Volle, Bariton, Münchner Symphoniker, Dirigent: Hansjörg Albrecht. Oehms Classics / Deutschlandradio Kultur; 16,99 Euro.

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