Abgehört - neue Musik Gemeine Popsongzerstörer
(Staatsakt/Bertus/Zebralution, ab 5. Juni)
Drei Minuten sind vorbei auf dem neuen Album von Friends Of Gas, da wechselt Nina Walser ins Englische. Zeitgleich mit der Sängerin schert eine Gitarre aus und zieht vorbei am verbissenen Spiel der anderen Instrumente. Der Moment verfliegt, die Gitarre schert wieder ein, und Walser singt den Rest des Albums auf Deutsch. Ganz kurz aber schien alles möglich: Kim Gordon und Thurston Moore wieder verheiratet, Patrick Wagner wieder obenauf, Noiserock als letzte gültige Weltreligion. Es ist der Glaube an solche Wunder, den Friends Of Gas freisetzen, wenn sie an vermeintlich richtigen Tönen vorbeizielen, um einen dort zu treffen, wo es richtig wehtut.
Vor vier Jahren ist das erste Album der Band aus München entstanden, live aufgenommen in einem Klub ohne Publikum. Schon damals schien kein besseres Setting denkbar für Friends Of Gas und ihre weltabweisenden Lieder. Minutenlang kreisten sie auf der Platte mit dem guten Titel "Fatal schwach" um sich selbst, wrangen die letzte Lebensfreude aus ihren Gitarrenriffs heraus und loggten sich in Grooves ein, die für Variation und andere Feinheiten nicht zu haben waren. Walser sang dazu Schlagwortzeilen mit angekratzter Stimme. So ein Album macht man nur einmal. Mit dem zweiten explodiert man dann.
"Kein Wetter" ist Friends Of Gas in größer und stärker, aufgenommen und ordentlich nachbearbeitet in einem Tonstudio, aber genauso hart zu sich selbst und zu den Gegnern wie das Debüt. Walsers Gesang klingt nicht mehr angekratzt, sondern halb erstickt, Bass und Schlagzeug fräsen sich durch bis zum inneren Erdkern, die Gitarren zerpflückt es manchmal im eigenen Feedback wie sonst nur am Ende von Konzerten der Londoner Postpunk-Band Savages. In solchen Momenten scheint sich das Zusammenspiel von Friends Of Gas zu verselbstständigen. Jedes Instrument flext für sich und doch im Auftrag eines höheren Sinns.
Dabei geht es gerade nicht darum, den Zuhörenden so etwas wie eine außerkörperliche Erfahrung unterzujubeln. Mit dieser Art von Rock’n’Roll-Romantik können Friends Of Gas nichts anfangen, dafür bleibt ihr Sound immer zu trocken und ihre Musik zu erdverbunden. Alles, was die Band auf "Kein Wetter" mit einem macht, soll man auch am eigenen Körper spüren: als Ziehen, Knirschen und Wundwerden, als wetterfühliges Kribbeln im kleinen Zeh und als Erinnerung an den eigenen schleichenden Tod. Schön!
Selbst Radiosender, die Alben wie "Kein Wetter" noch spielen, kündigen die Musik mit Warnhinweisen wie "stoisch" und "brachial" an. Wovor jedoch niemand warnt, ist der Humor in Walsers Texten. Unter ihre verknappten Beobachtungen zur Verlotterung der Menschheit mischt sich nicht nur der Leseblues "Schrumpfen" für Möchtegern-Marxisten, die schon vor dem ersten Kapitel von "Das Kapital" kapitulieren, sondern auch ein Generationenporträt aus der elterlichen Badewanne. Geistesabwesend reiht Walser in "Im Bad" Worte wie "gemächlich", "behaglich" und "geruhsam" aneinander. Das Leben erscheint ihr so wunderbar "lauwarm", dass es wirklich nicht mehr auszuhalten ist. (8.4) Daniel Gerhardt
(via Bandcamp, seit 31. Mai)
Warnung an alle Indie-DJs: Die fantastische Elektropop-Hymne "Someday (Dear ******) - World Doesn't Come Apart" könnte man zwar super auf Robyns "Dancing On My Own" folgen lassen, passt musikalisch und inhaltlich perfekt. Eigentlich. Aber einen Song der kanadischen Musikerin gibt es nicht ohne Widerhaken: Nach drei Minuten Lieblichkeit fällt diese vermeintlich harmonische Welt eben doch auseinander: Rook verfällt in einen furchterregenden Growl-Gesang, die bis dahin niedlich vor sich hin klackernden Dance-Sounds explodieren in gleißend-schrillen, zerhackten Industrial-Noise: Panik auf dem Dancefloor garantiert.
Dieses Stilprinzip der Kontraste wendet Ada Rook auf ihrem zweiten Album immer wieder an, es ist ein beständig unter Spannung gehaltenes Wechselspiel aus zarter Verletztheit und brachialer Wut, "Tortured Bitch", der Song, der das Album eröffnet, funktioniert auch so: Im Videoclip tänzelt Rook zu gemächlichem Shoegaze-Indiepop im Blümchenkleid durch die Landschaft, als das Stück ausbricht, wandelt sie sich zum flammenumringten Brüll-Dämon. Aber keine Sorge, säuselt sie dann wieder, als sich der Sturm gelegt hat, "I'll hold it together", sie hält beide Pole zusammen, das Monster und die Muse.
Ada Rook war bis vor wenigen Wochen eine Hälfte des Duos Black Dresses, zwei Transfrauen, die sich 2018 über Twitter-Direktnachrichten die Teile ihres Debütalbums "Wasteisolation" zugeschickt hatten. Im echten Leben begegnet sind sie sich erst später, so geht die Legende. Auf dem Cover stehen die beiden als Silhouetten unter einem Jesus am Kreuz. Die Musik dazu war schroff, ein Emo-Core-Ausbruch, der seine seelenschürfende Energie bei Elektro-Industrial-Pionieren wie Throbbing Gristle und Nine Inch Nails ebenso fand wie bei Linkin Park: Peinigender, heiß glühender Noise, auf dem wenige Inseln der Ruhe trieben.
Auf dem Album befand sich auch das Stück "In My Mouth", in dem Rook und ihre Partnerin Devi McCallion den sexuellen Missbrauch thematisieren, den beide in ihrer Kindheit erlebt hatten. Nachdem vor allem McCallion immer wieder Opfer von übergriffigen Fans und Anfeindungen wurde, beschlossen die beiden jetzt die Auflösung ihrer Band, das letzte Album war erst im April erschienen.
McCallion schrieb in einem Statement, dass sie es unerträglich fand mitanzusehen, wie junge Mädchen in Cosplay auf TikTok synchrone Lippenbewegungen ausgerechnet zu "In My Mouth" machten, gleichzeitig fruchteten ihre Versuche, über den Hintergrund des Songs aufzuklären und die Videos zu stoppen, nicht viel. Wie sie schreibt, wurde sie umso harscher dafür angegangen, sexuelle Inhalte in ihrer Musik zu thematisieren, die offensichtlich auch von Minderjährigen gehört werde. Die Sache mit der Authentizität und Privatheit im Pop bleibt trotz anhaltender Nachfrage beim Publikum also kompliziert, sobald die Dinge bestimmte Szene- und Milieu-Schutzräume verlassen. Dass hier noch dazu gesellschaftlich marginalisierte und exotisierte Transmenschen als Popkünstlerinnen agieren, macht die Dinge nicht einfacher. Schon gar nicht für die Musikerinnen und ihre Sehnsucht, sich von der Welt anerkannt zu fühlen.
Darum und um ihre andauernden inneren Zerwürfnisse, geht es auch bei Ada Rook, die ihren Teil des Projekts Black Dresses vehement auf zugänglicheres Terrain lenkt: Der Noise schockiert, wenn er schreddernd einsetzt, aber er ist wohldosiert. Dominant sind eher verspielte Witch-House-Experimente mit vorsichtiger Anschmiegsamkeit, "Glass/Remain/Rust (Fade Away)" ist so ein zerbrechliches, vertrackt sirrendes und spulendes Ding voller Trevor-Horn-Sounds und Sprachsample. Populärere und professionellere KollegInnen wie Grimes und Charli XCX sind nie weit weg in diesen komplexen Gebilden. Manchmal schält sich pure Schönheit aus ihnen heraus, wie im Titelstück oder den Balladen "I Don't Want To Hurt You" und "Breathe", die sich schon im erweiterten Songtitel nach Normalität und Akzeptanz streckt: "[Psychography Experiment 24-04-19 II] - NONE OF THIS IS ABOUT TR**S SHIT".
Manchmal kippt Ada Rooks akustischer Überschwang allerdings auch in unheiligen Emo-Stampf, der an Marilyn Manson oder, schlimmer, an das kurzzeitig erfolgreiche Russinnen-Duo t.A.T.u. erinnert ("Black Cloud in the Sky? [NO SPOILERS]", "2,020 Hands"). Aber die erhebenden Pop- und Dance-Momente überwiegen. Die "Motte", zu der sich Rook noch 2018 in einem fragilen Stück auf ihrem Solodebüt stilisierte, will ans Licht. Und das macht "2,020 Knives" zu einem der mutigsten und interessantesten Alben zurzeit. (8.2) Andreas Borcholte
(Lucky Number Music/Rough Trade, ab 5. Juni)
Was sagt man Leuten, die vier Indie-Musikerinnen wahlweise ihr Talent absprechen oder (noch schlimmer!) vorgeben, Punk und DIY total prima zu finden – ihnen die Gitarren aber trotzdem gern mal selbst stimmen würden? Hinds geben die Antwort in ihrem Song "Just Like Kids (Miau)": Njanjanjanjanjanjananaaaaaa!!!!!! Mehr muss nicht.
Seit ihrem Debüt "Leave Me Alone" wabert um die vier Frauen aus Madrid die Debatte, ob man ihre Garage-Surfrock-Nummern, stammten sie von einer Männerband, für genial dilettantisch statt niedlich stümperhaft hielte – oder ob diese Musik ohnehin keinen jucken würden, wenn vier dünne weiße Jungs sie spielten. "Just Like Kids (Miau)", Vorbote des dritten Hinds-Albums "The Prettiest Curse", ist nun also ein Gruß an die Kritiker der Band. In einem Video, das aussieht, als hätten die Cardigans und Courtney Love ein Familienfotoshooting veranstaltet, nörgelschreien Hinds tatsächlich wie Kiddies, Girlies oder Kätzchen.
Schade eigentlich, denkt man dann, dass der Kindervergleich so unangebracht für eine weiblich besetzte Band ist. Schließlich sind Kinder furchtlos, sie fahren freihändig Fahrrad und pulen sich, wenn sie dann doch auf die Nase geflogen sind, tapfer den Kies aus den aufgeschürften Knien, wenn man ihnen nur ein Eis verspricht. Bei Hinds ist der Kies immer etwas gröber und das Eis noch süßer als bei anderen furchtlosen Bands. Drei-Akkorde-Rock mit schönen Melodien spielen viele – wenige aber mit dieser lasterhaften Leidenschaft, die Hinds angreifbar, aber auch unbesiegbar macht. Ihre Schludrigkeit klang nie ausgedacht, ihr Slackertum nicht abgeklärt. Zwei Alben lang taten Hinds eigentlich nichts, aber das sehr doll. Und ziemlich gut.
Zeit wird es, die öde, alte Talent-Frage endlich ruhen lassen. Denn "The Prettiest Curse" ist ein großes Popalbum geworden, für Hinds-Verhältnisse opulent produziert und schillernd wie jene psychedelischen Lollipops, die sonst Bands wie MGMT darbieten. Zu den älteren Songs verhält sich "The Prettiest Curse" wie das Analogfoto-Artwork der Vorgängeralben zum knallbunt-artifiziellen Cover der Fotografin Ouka Leele, auf dem Hinds in einem Alice-im-Wunderland-haften Jugendzimmer lümmeln: In seinen schönsten Momenten klingt das Album tatsächlich wie eine Comicversion ihres Sounds.
Jede Eigenheit der Band scheint intensiviert: Die Vocals von Carlotta Cosials, die in Sachen Quäkigkeit höchstens von Andreya Casablanca (Gurr) erreicht wird, die glühenden Refrains, mit denen sich Hinds selbst anzufeuern scheinen, die spanischen Einflüsse. In "Come Back And Love Me <3" (Ehrlich, mit Herzchen!) singen sie zu einer schüchtern dahinperlenden Gitarre eine großäugige Liebeserklärung in Englisch und ihrer Muttersprache. "Riding Solo" klingt wie ein halluzinogenes Remake von M.I.A.s "Paper Planes", vieles nach den späten Strokes, alles nach dem richtigen Mischungsverhältnis aus Unbedarftheit und Street-Smartheit.
Dass es durchaus auch groß in die Hose gehen kann, wenn Schluffikünstler die "großen Ambitionen" aus dem Pop-Handbuch umtreiben, zeigten kürzlich die US-Indie-Kollegen von Car Seat Headrest: Vielleicht sollten sie sich mal von Hinds die Gitarren stimmen lassen. (8.0) Julia Lorenz
(Drag City/Rough Trade, ab 5. Juni)
No Age ist die Punkband, die genauso gut ein Foodblog sein könnte. So haben es Randy Randall und Dean Spunt einmal in einem "Spex"-Interview erzählt, und so halten es die Männer aus Los Angeles seit mittlerweile 15 Jahren miteinander. Nicht die Gitarre (Randall), das Schlagzeug (Spunt) oder der hühnerbrüstige Überzeugungsgesang (auch Spunt) definiert No Age, die Bandmitglieder verstehen ihr Projekt als fortlaufenden Dialog über geteilte und manchmal auch gegensätzliche Werte, über Freundschaft, Punkszenenpolitik, Skateboarding und die besten veganen Cafés vor ihren jeweiligen Haustüren. Laute Rockmusik ist nur die Sprache, in die sie diesen Dialog für die Außenwelt übersetzen.