Interview mit Avril Lavigne "Ich bin kein Plastikprodukt wie Britney"
SPIEGEL ONLINE:
Für Ihr Debütalbum hat Ihre Plattenfirma jede Menge honorige Songschreiber engagiert, mit denen Sie jedoch nicht zusammen arbeiten wollten. Warum nicht?
Avril Lavigne: Weil es fürchterlich war! Die haben süßliche Balladen mit widerlichen, pseudo-pubertären Texten für mich geschrieben. Das konnte ich beim besten Willen nicht singen. Außerdem haben sie sich einen Dreck um meine Wünsche geschert. Da ging nur eins: Ich musste es selber machen.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt sehr einfach. Haben Sie vorher schon Songs geschrieben?
Avril Lavigne: Nein, habe ich nicht, aber Lieder schreiben ist auch sehr einfach. Man kann sich eine Menge bei anderen Songschreibern abgucken. Im Grunde ist Songtexte schreiben nichts anderes als ein Tagebucheintrag. Nur dass er nicht geheim ist.
SPIEGEL ONLINE: In vielen Ihrer Lieder geht es um Ihre Ex-Freunde. Sind Ihre Songs eine Art Abrechnung?
Avril Lavigne: Abrechnung ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Ich schreibe gern über Dinge, die passiert sind, das tut schließlich jeder, der Lieder schreibt. Die Jungs müssen damit leben, dass ich unsere ehemaligen Beziehungen in Songs auseinandernehme und aufarbeite. Für mich ist das der beste Weg, meine Emotionen rauszulassen. Über verflossene Beziehungen reden mag ich nicht, darüber schreiben und singen schon.
SPIEGEL ONLINE: Wo ist der Unterschied zwischen Ihrem Album und einem Tagebuch?
Avril Lavigne: Eigentlich gibt es gar keinen Unterschied. Das ist echt austauschbar geworden, der Songtext des Liedes "Complicated" könnte beispielsweise auch so in meinem Tagebuch stehen. Viele sagen, dass meine Texte sogar manchmal etwas schmutzig klingen.
SPIEGEL ONLINE: Und, sind Sie schmutzig?
Avril Lavigne: Nein, ich bin ja erst siebzehn. Das spar ich mir für später auf. Schmutzig kann ich auch noch sein, wenn ich dreißig bin.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie vor einem weißen Blatt Papier sitzen und einen Song schreiben wollen, sind Sie dann manchmal über das Ergebnis erstaunt?
Avril Lavigne: Oh ja, besonders nachts. Da gehen oft die Gedanken mit mir durch. Wenn ich das am nächsten Tag noch mal lese, ist mir das manchmal ein bißchen peinlich vor mir selbst. Aber andere finden das wiederum brillant, das stimmt mich dann meistens um.
SPIEGEL ONLINE: In Amerika werden Sie bereits mit Songwriter-Größen wie Alanis Morissette oder Amanda Marshall verglichen. Ist Ihnen das auch peinlich?
Avril Lavigne: Ich mag dieses Schubladendenken nicht. Ich bin ein siebzehnjähriges Mädchen aus Napanee, Ontario. Alanis ist eine andere Person von ganz woanders her. Ich mag Alanis, von daher stören mich die Vergleiche mit ihr nicht. Bei Céline Dion wäre das was anderes. Und unter Druck gesetzt fühle ich mich durch diese Vergleiche auch nicht. Allerdings möchte ich nicht unbedingt gleich 29 Millionen Platten meines Debütalbums absetzen wie Alanis damals. Danach wäre der Druck auf mich wohl gewaltig. Ob ich damit umgehen könnte, wüsste ich im Moment nicht.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt für jemand, der siebzehn ist, ganz schön erwachsen. Haben Sie nicht manchmal Angst vor dem, was noch auf Sie zukommt?
Avril Lavigne: Ich hatte damals Angst, als ich vor zwei Jahren, mit fünfzehn, nach New York gezogen bin. Aber mein Bruder war bei mir und hat auf mich aufgepasst. Er war so etwas wie eine Stütze in einer großen, fremden Stadt und gleichzeitig das Bindeglied nach Hause. Wir hatten tolle Abende zusammen in New York. Ich wollte schon mit zwölf, dreizehn Jahren nur eines: berühmt werden - je eher desto besser. Die Leute sollten mich bereits kennen, wenn ich noch jung bin, das war immer mein Wunsch. Mit meinen siebzehn Jahren liege ich da nicht schlecht im Rennen.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie noch mehr Träume, die Sie umsetzen wollen?
Avril Lavigne: Ja. Das, was ich jetzt mache, will ich schon mein ganzes Leben lang machen. Ich will noch viele Alben aufnehmen und weltweit berühmt werden. Dafür gebe ich alles. Es ist ein geniales Gefühl, in einer Stadt zu sein, in der ich noch nie war, und dann im Hotel von einem Pagen den Koffer aufs Zimmer gebracht zu bekommen, der dreimal so alt ist wie ich. Dann weiß ich, dass ich mein Leben richtig angehe.
SPIEGEL ONLINE: Obwohl Sie für Ihre Karriere die Schule sausen ließen?
Avril Lavigne: Im Moment bin ich bloß freigestellt. Aber die Schule fehlt mir nicht. Bildung ist zwar wichtig, aber ich bin doch noch jung, und was ich jetzt erlebe, prägt mich sicher mehr als blödes Pauken über Dinge, die ich nicht leiden kann. Im Moment bin ich wie ein Schwamm, der alles aufsaugt, was ich sehe. Ich sehe Gegenden, von denen ich bislang noch nicht wusste, dass es sie gibt. Ich klopfe an die Tür zur Welt, verstehen Sie? Ein bißchen mit großen Augen umherlaufen finde ich da nicht schlimm.
SPIEGEL ONLINE: Mit Ihrer ersten Single "Complicated" haben Sie in Amerika bereits die Hitparade auf den Kopf gestellt. Durch Sie wurde der Begriff "Anti-Britney" geprägt. Gefällt Ihnen der Ausdruck?
Avril Lavigne: Nicht wirklich, es macht mich sogar wütend. Was soll das auch bedeuten, "Anti-Britney"? Jeder Musiker kann so bezeichnet werden, denn Britney Spears ist keine Musikerin. Sie und ich haben nur eine Sache gemeinsam - den Willen, es zu packen. Sie hat wie ich schon in der Kindheit den Wunsch gehabt, ein Star zu werden. Nur bin ich kein Plastikprodukt wie sie, sondern echt. Ich habe eine Gitarre um, und was soll ich sagen, ich kann sie sogar spielen. Das kann Britney Spears nicht von sich behaupten. Es gibt zwischen uns keine Gemeinsamkeiten. Doch: Wir sind beide Frauen.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es irgend etwas, das Britney Spears hat und Sie ebenfalls gerne hätten?
Avril Lavigne: Nein. Ich bin eine Frau, ich kann singen, ich habe eine tolle Band, eine klasse Familie, jede Menge Fans und sogar Groupies. Ich kann reisen, Geld ausgeben und muss nicht mehr überlegen, ob ich mir die teure Haarspülung mit Zitronengeruch von Dior leisten kann. Wenn ich denn Wert drauf legen würde. Ich freue mich darüber, noch relativ normal zu sein. Ich gehe mit den Jungs aus meiner Band skaten, das sind schließlich Kumpels, und wenn ich kein T-Shirt zum wechseln dabei habe, dann trage ich am nächsten Tag das vom Vortag. Ich wette, dass Britney so etwas nicht tut. Worum soll ich sie also beneiden? Um ihren Glamour? Ihre Brüste? Dass sie nicht mal weiß, wie die Jungs in ihrer Band heißen? Oder die absurde Komödie, die sie öffentlich mit ihrem Exfreund Justin Timberlake abzieht?
SPIEGEL ONLINE: Sie singen doch auch über Ihre Exfreunde.
Avril Lavigne: Dass ist ein Unterschied. Ich heule jedenfalls nicht allen Magazinen vor, wie schlecht es mir geht, nur weil mein Ex eine andere knutscht. Dann mache ich ihn lieber in einem Song zur Sau. Ich betrachte mich als ernsthafte Musikerin und nicht als umfassendes Kunstprodukt. Und außerdem werde ich nicht unglücklich, wenn mir Gucci nicht das neueste Abendkleid in den Schrank hängt. So etwas passt nicht zu mir.
SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie sich von Ihrem ersten, selbstverdienten Geld gekauft?
Avril Lavigne: Ein paar schicke Sneakers waren schon drin. Aber ich bin sparsam, auch wenn ich nicht so aussehe. Ich werde mir kein Haus kaufen, kein Auto und keine Yacht. Das Geld kommt auf die Bank, in der Beziehung bin ich extrem konservativ. Und das, obwohl ich erst siebzehn bin.
Das Interview führte Stéfan P. Dressel