
DJs und Jazz: Stimmen in der Nacht
Jazz-Compilations Neue Hörer dank Latte-Platte
In einer NDR-Jazzsendung lief kürzlich eine Aufnahme von Donald Byrd. Mir fiel auf, dass der Moderator nicht einfach den berühmten Trompeter ankündigte, sondern vom Album eines DJs sprach, auf dem auch Byrd zu hören ist. Warum dieser Umweg? Sind Jazzmusiker nur Nebenfiguren? Aufgebracht erinnerte ich mich an die immer wieder erscheinenden "Compilations", Alben auf denen Plattenaufleger Titel von Jazzgrößen in ihrer Urform oder als Remixe zusammengestellt haben. Dabei sind die DJs meist in Wort und Bild herausgestellt, während die Musiker sozusagen nur im Kleingedruckten vorkommen. Das empfand ich als Schmarotzerei, ja als Kulturschande.
Inzwischen habe ich meine Ansichten gemäßigt. Matthias Kolwe ("der Flaneur"), ein Kollege und ausgewiesener Jazzfan, legt zuweilen in Kneipen und Clubs Platten auf und belehrte mich: Viele junge Leute würden die DJs kennen und verehren, hätten aber nie von Freddy Hubbard oder Les McCann gehört. Der Musik solcher Jazzstars begegneten sie auf den Compilations zum ersten Mal in ihrem Leben. Und weil die DJs stets eingängige, tanzbare Stücke auswählen, würde so bei etlichen Clubbesuchern Interesse für Jazz ausgelöst. Also könnten die Compilations den Jazz sogar fördern.
Tatsächlich hat einer der ersten DJs viel für den Jazz bewirkt. Der Amerikaner Sidney Torin (1909-1984) wurde "Symphony Sid" genannt, weil er von der klassischen Musik kam, als er sich dem Jazz zuwandte und als Disc Jockey im Rundfunk und in Clubs Jazzplatten und Livemusik präsentierte. "Wegen seiner Radioübertragungen war Sid bekannter als wir", erzählt Miles Davis in seiner Autobiografie. "Er war die Stimme in der Nacht, die den Leuten diese großartige Musik ins Haus brachte." Der immer misstrauische Davis sinniert darüber, ob "die Weißen vielleicht nur zu den Konzerten kamen, weil ein Weißer wie Sid was damit zu tun hatte". Disc Jockey Torin schickte nämlich die "Symphony Sid All Stars" auf Tournee, schwarze Topjazzer, zu denen neben Miles auch der Posaunist Jay Jay Johnson gehörte. Weil Sid dabei deutlich mehr Geld kassierte als die Musiker, nennt Davis ihn schließlich einen "arroganten Arsch". Der Saxofonist Lester Young aber verewigte den DJ in seiner zum Standard gewordenen Komposition "Jumping with Symphony Sid".
Nach Sid Torin wurde Gilles Peterson der wohl bekannteste Jazz-DJ der Welt. Der Brite kombinierte im ausgehenden 20. Jahrhundert Jazz, Funk und HipHop mit elektronischen Dancefloor-Beats und nannte seinen Mix "Acid Jazz". Peterson "sampelte" Musik von Jazz-Veteranen wie dem Organisten Jimmy Smith, die daraufhin als "Väter des Acid Jazz" einen neuen Frühling erlebten. Dieser Richtung folgten in Hamburg der "Mojo Club", der mit seinen Touren auch Clubgänger in anderen Städten begeisterte. Elektronisch aufgemotzt wurde Jazz nun wieder Tanzmusik für Jüngere. Unter dem Titel "Mojo Club Presents Dancefloor Jazz" brachte Universal Records bis 2005 zwölf Alben heraus.
In diesem Sommer hat die Plattenfirma den Jazz als "musikalischen Begleiter für alle Lebenslagen" entdeckt und bietet die Serie "My Jazz" an, ein Dutzend CDs mit "griffigen Albumtiteln und lebendiger Coveroptik" (Eigenwerbung): Zum Beispiel "Jazz Macchiato - Frühstück im Bett" mit Astrud Gilberto, Stan Getz und Ella Fitzgerald, oder "After Work - Musik zum Träumen" mit Sergio Mendes, Louis Armstrong und Anita O'Day. Die Serie ist zum "schlanken Budget-Preis" zu haben. Denn das Label schöpft aus dem eigenen Archiv.
Das Gleiche gilt für "Swing Low / Fly High" die neue Compilation des Rivalen Blue Note, die der holländische DJ "Maestro" zusammengestellt hat. Zu hören sind unter vielen anderen Cannonball Adderly, Jimmy McGriff und - Donald Byrd. Vielleicht entdeckt ein Fan des DJ Maestro nun zufällig den Trompeter.
CD Maestro: "Blue Note Trip Vol. 8 - Swing Low / Fly High" (Blue Note).