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Jazz-Nachwuchs: Überangebot an Hochqualifizierten

Foto: Merlijn Doomernik

Nachwuchs-Jazzer Dann eben "König der Löwen"

Die Gigs werden deutlich weniger, die Nachfrage nach Tonträgern sinkt: Jazzmusiker haben große Sorgen. Dennoch bilden 18 deutsche Hochschulen Jahr für Jahr mehr als 100 Diplom-Jazzer aus. Müssen die bald verhungern?

Die Pianistin Julia Hülsmann kennt die Szene als aktive Musikerin, als Vorsitzende der Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ) und als Jazz-Dozentin an der Berliner Universität der Künste. Deshalb sollte sie eine Frage beantworten, die bei einer Diskussion beim Bremer Jazzahead-Event aufkam: Was machen die Absolventen der Musikhochschulen mit Jazz als Hauptstudium? Und ob es nicht absurd sei, immer mehr Jazzmusiker auszubilden, wenn es schon für die im Beruf Stehenden viel zu wenig Jobs gäbe?

Zur Überraschung vieler geriet Hülsmann nicht in die Defensive. Die Studenten würden die Situation sehr wohl kennen und sich dennoch für Jazz als Hauptfach entscheiden. "Sie wissen Bescheid", sagte die Pianistin, "sie arrangieren sich, sie sind nicht unglücklich." Kommen die Jazz-Akademiker wirklich klar? Nachfragen vor Ort schienen das zu bestätigen.

Esra Dalfidan, Tochter türkischer Migranten aus Solingen, gastierte mit ihrer Band bei Jazzahead Ende April. Die Sängerin und Komponistin erwarb einen Jazz Master Degree am Amsterdamer Konservatorium. So wie der Rheinländer Uli Genenger, Dalfidans Schlagzeuger und Ehemann. Beide sagen, sie wussten immer, dass Jazz allein sie kaum ernähren würde. Deshalb coacht Esra Sängerinnen an Musikschulen; und Uli hat sich beigebracht, wie man Webseiten gestaltet. Damit verdient er derzeit mehr als mit Jazz-Gigs, die etwa ein Drittel der Einkünfte ausmachen.

Der "König der Löwen" bringt mehr als Jazz-Konzerte

Etwa ein Drittel ihres Lebensunterhalts aus Jazz erwerben auch die Musiker des Hamburger Hammer Klavier Trios. Boris Netsvetaev (Piano), Philipp Steen (Bass) und Kai Bussenius (Drums) studierten Jazz an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater. Alle drei gewannen Stipendien, das Trio trat in New York auf und erhielt lobende Kritiken. Dennoch verdienen seine Mitglieder mehr Geld als Aushilfsmusiker bei Musicals als mit Jazz. "Beim 'König der Löwen' zu spielen, liegt mir mehr, als zu unterrichten", sagt Netsvetaev. Für viele Jazzer sind Musikstunden der wichtigste Brotjob. Sie bringen Einzelschülern bei, wie man ein Instrument spielt, oder haben einen Lehrauftrag.

So unterrichten an der Musikhochschule Mainz der Pianist und Echo-Jazz-Preisträger Sebastian Sternal (Jahrgang 1983) und der Top-Bassist Vitold Rek (Jahrgang 1955). Die beiden gehören zu 38 (!) Lehrbeauftragten, die in Mainz 67 Studenten auf das Jazz-Diplom vorbereiten. Einen solchen Abschluss bieten inzwischen 18 deutsche Hochschulen - und spülen jährlich zwischen 100 und 200 neue Jazz-Akademiker auf den Markt. Alt-Jazzer murren über die "Standardisierung und Konfektionierung" des jungen Jazz. Dabei müssen sie anerkennen, dass der Nachwuchs auf höchstem Niveau musiziert. Nichts gegen die Hochschulausbildung hat Julia Neupert. Im Studium sollte es aber auch "Impulse außerhalb des Klassenzimmers" geben, meint die Jazz-Expertin beim Südwest-Rundfunk und zweifelt, ob das in Orten wie Nürnberg, Weimar und Osnabrück der Fall sei.

Auch Bach brauchte einen Nebenjob

Jazz-Studenten in Hamburg finden Anregungen, wenn Vorbilder auf Konzerten oder den Jazz-Festivals in der Stadt gastieren. Aber eigene Auftrittsmöglichkeiten schwinden, weil mit dem Birdland-Club Ende Juni der wichtigste lokale Spielort schließt. Initiativen für einen neuen Club unterstützt Wolf Kerschek. Denn der Leiter des Jazz-Studiengangs an der Hochschule für Musik und Theater weiß, dass "Ausbildung und Spielstätten der essentielle Humus des Jazz" sind. Kerschek kann die Hamburger Symphoniker ebenso dirigieren wie die Bigband der Hochschule. Das "Abendblatt" feiert den 43-Jährigen als "rastlosen Brückenbauer zwischen den Generationen und zwischen den musikalischen Welten". 2013 erhielt Kerschek den Hamburger Jazzpreis.

Der Musiker hat erreicht, dass Hamburgs Wissenschaftsbehörde zusätzliche Stellen für Jazzstudenten finanziert. Kerschek erlebt, wie sich gerade die Jazz-Absolventen als "autonome Musiker" in der schwierigen Szene zurechtfinden. Ihre Ausbildung "lässt sie eher auf die Füße fallen" als viele Klassik-Kommilitonen. So würden hinter vielen Pop-Größen Jazzmusiker wirken, sagt Kerschek und nennt Michael Jacksons Produzenten Quincy Jones. Er selbst schreibt Arrangements für Rammstein und Helene Fischer.

Auch die Allergrößten müssten zuweilen außerhalb ihrer Berufung tätig werden, sinniert der vielseitige Jazzer: "Johann Sebastian Bach gab Latein-Unterricht, um seine Kinderschar zu ernähren."


CDs:
Esra Dalfidan's Fidan: Counter Point. Challenge Records; 20,99 Euro.
Hammer Klavier Trio: Rocket In The Pocket. JanMatthies Records; 17,99 Euro.

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