"Space Age"-Sounds Elektronik-Pionier Jean-Jacques Perrey ist tot

In Disneyland hört man seine Musik jeden Tag, das Elektronik-Duo Air nennt ihn als größtes Vorbild: Der französische Klang-Pionier Jean-Jacques Perrey ist im Alter von 87 Jahren gestorben.
Jean-Jacques Perrey im Februar 2006 beim Berliner CTM-Festival

Jean-Jacques Perrey im Februar 2006 beim Berliner CTM-Festival

Foto: Roland Owsnitzki

Generationen von Kindern sind mit den fröhlichen Klängen der wohl populärsten Komposition von Jean-Jacques Perrey aufgewachsen: "Baroque Hoedown" nennt sich das Musikstück, das Besucher von Disneyland und Disney World in den USA gleich am Eingang empfängt und die lustige Parade der Disney-Figuren entlang der Hauptstraße der Erlebnisparks begleitet, die "Mainstream Electrical Parade".

Disneys orchestrale Version dieser lebensbejahenden Hymne ist allerdings sehr untypisch für den Sound des französischen Musik-Pioniers Perrey. 1929 in Paris geboren, gehörte er zu den ersten Anwendern früher Synthesizer-Instrumente, darunter das einflussreiche Ton-Modulationsgerät seines Freundes Robert Moog oder die sogenannte Ondioline.

Das Leben des Medizinstudenten Perrey änderte sich nachhaltig, als er Anfang der Fünfzigerjahre im Radio den seltsamen und artifiziellen Klang der Ondioline hörte, die dessen Erfinder Georges Jenny in einem Programm persönlich vorführte. Begeistert rief Perrey beim Sender an und erfragte die Telefonnummer Jennys, die er, heute undenkbar, auch sofort erhielt - und sich mit dem Keyboard-Innovator traf. Eine Ondioline zu erwerben, dafür fehlte dem mittellosen Studenten das Geld, stattdessen wurde er zu Jennys Werbebotschafter in ganz Europa und reiste als "Mr. Ondioline" durch die Lande, um das neumodische Instrument zu demonstrieren. Nebenbei ließ er sich unter anderem von Pierre Schaeffer, dem Erfinder der Musique concrète, im Musizieren ausbilden. Bald trat er mit französischen Chanson-Größen wie Charles Trenet und Edith Piaf auf.

Die Beastie Boys und Air als Fans

1965 traf er in New York Gershon Kingsley, einen ehemaligen Kollegen des Avantgarde-Komponisten John Cage. Zusammen nahmen sie, unter dem Namen Perrey-Kingsley zwei Alben auf: "The In Sound From Way Out" (1965) und "Kaleidoscopic Vibrations" (1967), deren "Space-Sound" perfekt zur positivistischen Technikbegeisterung und die durch das Wettrennen zum Mond beflügelte Science-Fiction-Begeisterung passte und gleichzeitig die beginnende Psychedelic-Bewegung der Hippies inspirierte. Vom zweiten Album stammte auch das von Disney okkupierte "Baroque Hoedown", das Perrey zusammen mit Kingsley geschrieben hatte.

Perrey gehörte zu den ersten Elektronik-Musikern, die sich eine ganze Bibliothek an ungewöhnlichen und kuriosen Geräuschen anlegten: vom Maschinenlärm bis zum Insektensummen und Tiergebrüll. Die Samples ließ er durch Filter laufen, zerhackte sie elektronisch oder spielte sie mit schnellerer oder langsamerer Geschwindigkeit ab - bis sie undefinierbar wurden und sich in Perreys originelle Klänge integrieren ließen.

"The In Sound From Way Out", dessen Titel sich die Hip-Hop-Avantgardisten Beastie Boys 1996 für den Titel eines Albums mit instrumentaler Elektronik-Musik borgten, trug den Untertitel "Electronic Pop Music Of The Future". Ein späteres Album enthielt schmissige Tunes wie "E.V.A.", das als Begleitung für den ersten Spaziergang auf dem Mond gedacht war. Perrey hatte sich damals mit dem Science-Fiction-Autor Ray Bradbury angefreundet und träumte, wie viele andere zu jener Zeit, von einer besseren Zukunft. "Es war nicht einfach, kommerzielle Musik zu machen, die den Anspruch hatte, zukunftsweisend zu sein", sagte Perrey 2006 bei einem seiner seltenen Besuche in Deutschland der "taz", "aber ich versuchte es, und glücklicherweise gelang es mir auch".

Comeback in den Nullerjahren

Perreys musikalische Visionen erwiesen sich als so nachhaltig, dass sie rund 30 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, in der Zukunft also, wiederentdeckt und in einen modernen Kontext überführt wurden - als wäre die Zeit erst um das magische, aus der Sixties-Perspektive nach Utopie klingende Jahr 2000 reif gewesen für seinen visionären Sound. Hip-Hopper wie die Beastie Boys und Gang Starr sampelten Perreys Moog-Sounds bereits in den Neunzigern, in Europa waren es Bands wie Stereolab oder das Pariser Duo Air, die Perrey Respekt zollten, ihn als Inspiration und Vorbild nannten - und ihm somit zu später Popularität verhalfen.

Zusammen mit dem Komponisten Dana Countryman veröffentlichte Perrey dann auch nach langer Schaffenspause wieder Musik, unter anderem das Album "The Happy Electropop Music Machine". Beim Berliner Experimentalmusik-Festival Club Transmediale (CTM) kam es im Februar 2006 dann zu einem denkwürdigen Live-Auftritt von Perrey, als er der hochbetagte, aber lebenslustige ältere Herr seine "hochkomplexe Spaßmusik" ("taz") aus dem Space-Age an originalem Moog-Synthesizer und Ondioline vorführte. Am Samstag ist Jean-Jacques Perrey im schweizerischen Lausanne an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung gestorben. Er wurde 87 Jahre alt.

bor

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