Rock-Musical "The War of the Worlds" Die Mars-Toaster greifen an

Alien-Angriff! Hitzestrahlen! Gitarrensoli! Der Science-Fiction-Klassiker "The War of the Worlds" feierte auch als Rock-Musical Welterfolge. Jetzt kommt eine neue Version der musikalischen Mars-Invasion nach Deutschland - als Retro-Spektakel mit Steampunk-Flair und Stars wie Liam Neeson.
Rock-Musical "The War of the Worlds": Die Mars-Toaster greifen an

Rock-Musical "The War of the Worlds": Die Mars-Toaster greifen an

Foto: Roy Smiljanic/ Jeff Wayne Music

Irgendwann im Verlauf der knapp zweistündigen Show raunte mir ein Kollege verächtlich ins Ohr: "Ich weiß ja nicht, wie du das siehst, aber früher nannten wir so etwas einfach Projektion." Zugegeben, man hatte uns mehr versprochen. Liam Neeson zum Beispiel. Der Hollywood-Star sollte als Hologramm zu bewundern sein und dort auf der Bühne mit echten Darstellern interagieren - das verhieß die Einladung zur Vorpremiere dieses Musical-Spektakels. Und dann? Plexiglas.

Ja, richtig. Am Ende wurde Neeson in der Londoner Wembley-Arena nur auf eine - leider allzu gut als solche identifizierbare - Plexiglasscheibe projiziert. Dass die bei Bedarf in der Bühne versenkt werden konnte, passte immerhin zum charmanten Trash-Charakter der Show, die nun für ein paar Termine nach Deutschland kommt.

Zwei der ursprünglich geplanten fünf Aufführungen von "The War of the Worlds" mussten allerdings bereits abgesagt werden, weil zu wenige Karten verkauft wurden. Warum? Vielleicht fehlt den Deutschen in Zeiten von Syrien- und Euro-Krise ja der Sinn für nostalgische Science-Fiction über eine Invasion vom Mars. Vielleicht ist die 1898 vom Romancier H.G. Wells erdachte "Krieg der Welten"-Saga  auch schlicht zu britisch-viktorianisch fürs teutonische Gemüt - also zu wenig im kulturellen Gedächtnis verankert.

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"The War of the Worlds"-Musical: Zurück in die Zukunft

Foto: Roy Smiljanic/ Jeff Wayne Music

Dabei war Steven Spielbergs jüngste Verfilmung mit Tom Cruise vor vier Jahren auch hier ein Erfolg. Und das Original-Musical, 1978 zunächst als Doppelalbum veröffentlicht, gilt auch im Heimatland des Krautrocks als Kult-Klassiker. Der amerikanische Komponist Jeff Wayne hatte sich damals einen Traum verwirklicht, indem er Orson Welles' berühmte Hörspielversion des H.G.-Wells-Stoffs als Basis für eine - knapp am Kitsch vorbeischrammende - Prog-Rock-Oper nahm.

Hollywood-Star Richard Burton gab damals mit sonorer Stimme den erzählenden Reporter, Curd Jürgens sprach wenig später die deutsche Fassung. Siebziger-Jahre-Stars wie David Essex, Moody-Blues-Sänger Justin Hayward sowie Thin-Lizzy-Frontmann Phil Lynott sorgten für einen zeitgemäß opulenten Sound. Das Album rangierte noch 2009 unter den 40 bestverkauften Platten in Großbritannien, bis heute wurden mehr als 14 Millionen Exemplare verkauft. Sogar ein Playstation-Spiel erschien 1999.

Seit 2006 gab es auch eine erfolgreiche, weltweit tourende Bühnenversion von "The War of the Worlds". Doch Komponist Wayne, 69, befand, es sei Zeit für eine Generalüberholung seines großen - und einzigen - Erfolgs. "Inspiriert durch die Live-Shows, sichtete ich zum ersten Mal seit Jahren die Originalaufnahmen und stellte fest, dass wir massenweise ungenutztes Material hatten", erzählt Wayne im Interview. Aus weit über 90 Minuten, von denen nur rund 70 für das Original genutzt worden waren, bastelte er eine erweiterte Version - und betraute seinen Sohn Zeb, einen bekannten Londoner DJ, mit der musikalischen Modernisierung. Den verstorbenen Burton ersetzte der irische Schauspieler Liam Neeson, der sich als Fan entpuppte und sofort zusagte, als Wayne anfragte. Für mehr als 90 Dialog-Sequenzen ließ sich der Schauspieler im Studio filmen. Seiner Erzählerfigur zur Seite stehen Brit-Promis wie Marti Pellow, ehemals Sänger der Popband Wet Wet Wet, Ex-Popstar Jason Donovan sowie Ricky Wilson, Sänger und Kopf der Rockband The Kaiser Chiefs.

3D? Unsinn!

Besonders Wilson, der in dem Jahr geboren wurde, als Waynes "War of the Worlds"-Album erschien, entpuppt sich auf der Bühne als Musical-Talent. Beherzt gibt er den daueralkoholisierten "Artilleryman", der die Menschheit als reine Untergrund-Elite erhalten will. Sein Auftritt ist das Gesangshighlight der Show. "Als ich Ricky traf, wusste ich gar nicht, wer die Kaiser Chiefs sind", so Wayne. "Ich fragte ihn, ob er überhaupt das Original kenne. Da sagte der: 'Ich kenne das Album nicht nur, ich könnte wahrscheinlich jede einzelne Rolle singen!' Wann immer Rickys Eltern mit ihm in den Urlaub gefahren seien, lief im Auto 'The War of the Worlds'", erzählt Wayne sichtlich stolz.

Ob sich der Komponist einen Gefallen damit getan hat, seine aus heutiger Sicht als camp geltende Originalmusik zugunsten eines eher aseptischen Pop-Sounds zu opfern, muss wohl jeder Fan für sich beantworten. Bereits im vergangenen Sommer erschien eine liebevoll ausgestattete CD-Version der Neufassung auch in Deutschland. Die Songs, darunter der mächtige Opener "The Eve of the War" und die einst hitparadentaugliche Ballade "Forever Autumn", haben zum Glück auch als neuzeitliche Pophymnen nichts von ihrer Wucht verloren. Doch erst auf der Bühne entfalten die Kompositionen ihren wahren Reiz.

Wobei auf der Bühne selbst gar nicht viel passiert: Wayne thront dirigierend in einer futuristischen Kanzel zwischen einer Rockband (unter anderem mit Session-Legende Chris Spedding) und einem klassischen Orchester, während im Vordergrund hin und wieder Sänger und Sängerinnen Einzelperformances abliefern. Darunter auch Neesons virtueller Reporter, der ansonsten als eine Art Bühnen-Big-Brother-Gesicht auf das Publikum herabschaut und vom Weltenbrand berichtet. Die eigentliche Handlung erzählt jedoch ein Comic-Film auf Cinemascope-Leinwand. Ganz zeitgeistig in 3D? Von wegen!

Visueller Höhepunkt ist der von viel Pyrotechnik und Kunstnebel begleitete Aufmarsch eines rund zehn Meter hohen Alien-"Tripods". Das insektenartige Kampfgerät stakst auf drei langen Stelzen auf die Bühne und schießt - parallel zur Leinwand-Action - rotglühende Hitzestrahlen ins Publikum. Nicht immer bekamen die Lichttechniker bei der Probeshow in Wembley das wirklich synchron hin. Doch das altersmäßig gemischte Publikum in der gut gefüllten Halle klatschte am Ende geradezu frenetisch Beifall, und die Premiere wenige Tage später in der weitaus größeren O2-Arena war ohnehin seit Wochen ausverkauft. "The War of the Worlds" ist ein guilty pleasure, das, zumindest unter Briten, wie ein guter alter Bekannter gefeiert wird. Selbst der ansonsten kühl-kritische "Guardian" ließ in seiner Premierenkritik  Milde walten und bescheinigte der Show eine "liebenswerte Unschuld".

Tatsächlich besticht die Marsianer-Revue trotz multimedialer Aufmöbelung und musikalischer Frischekur vor allem durch Skurrilität und altmodisches Flair. Clever spielt Wayne mit der vor allem in England populären Steampunk-Science-Fiction, die viktorianischen Mummenschanz und prädigitale Technikwunder verknüpft - und so auch Guy Ritchies "Sherlock Holmes"-Filme zu Kassenschlagern machte.

So mag sich vielleicht sogar ein junges, hippes Publikum für Wells' dystopische Parabel auf die Übermacht des britischen Empires interessieren, die so gar nichts mit der aktuellen Weltlage zu tun zu haben scheint. Als Soundtrack empfiehlt sich dazu dann aber doch Waynes Bombast-Rock von 1978. Wenn schon retro, dann richtig.


"The War of the Worlds" in Deutschland: 4. Januar Oberhausen, König-Pilsener-Arena; 5. Januar Berlin, O2 World; 7. Januar Nürnberg, Arena Nürnberger Versicherung

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