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Judith Holofernes: Kreuzbergerin im Chaos

Foto: Marco Sensche

Sängerin Judith Holofernes "Immer diese Doomsday-Rhetorik!"

"Ich bin das Chaos", brüstet sich die Sängerin Judith Holofernes auf ihrem neuen Album. Ein Gespräch über mediale Untergangsszenarien und darüber, mit welchen Werten sie sich dagegen schützt.
Zur Person
Foto: Jens Kalaene/ dpa

Judith Holofernes, 1976 in Berlin geboren, wurde zu Beginn der Nullerjahre als Sängerin und Songschreiberin der erfolgreichen Band Wir sind Helden bekannt, die fröhlichen Gitarrenpop mit Konsum- und Medienkritik vermengte. 2014 veröffentlichte sie ihr erstes Solo-Album. Wenn sie nicht auf ihrem Blog über ihre Kreuzberger Nachbarschaft schreibt oder Tiergedichte verfasst, die 2015 auch als Buch gesammelt wurden, ist Holofernes als bekennender Internet-Junkie auf Twitter zu finden. Die meisten Songs für ihr aktuelles Album "Ich bin das Chaos" schrieb Holofernes zusammen mit dem Sänger und Komponisten Teitur auf den Faröer Inseln. Es erscheint auf ihrem eigenen Label.

SPIEGEL ONLINE: Frau Holofernes, man hat das Gefühl, es könnte gerade kaum noch schlimmer werden: Donald Trump, der Brexit, Rechtspopulismus, islamistischer Terror... und jetzt kommen Sie ganz fröhlich daher und umarmen das Chaos?

Holofernes: Ich habe immer schon eine Faszination dafür gehabt, wie man sich die Welt erzählt und was es für Narrative gibt: Was bewirken die in Bezug darauf, wie man sich in der Welt bewegt? Und was bringt es eigentlich oder wem nützt es, wenn alle die ganze Zeit Angst haben? Das hat mich auch bei Wir sind Helden schon interessiert, aber jetzt spitzt sich das so schön zu: Ich habe selten so eine Sehnsucht in Richtung Abgrund wahrgenommen in der Gesellschaft. Man braucht sich ja nur mal die Überschriften am Kiosk anzusehen, immer diese Doomsday-Rhetorik! Ständig geht die Welt unter, jeden Tag doller als gestern.

SPIEGEL ONLINE: Was tun Sie, um sich dagegen zu immunisieren?

Holofernes: Ich finde es schwierig, wenn man zu viel liest. Aber wenn man eher gezielt und wenig liest, dann kann man versuchen, in eine Art Vogelperspektive zu gehen, um sich auch mal andere Zahlen vor Augen zu führen: dass zum Beispiel Gewalt weltweit zurückgeht, genau wie Kindersterblichkeit. Oder sich überlegen, ob es aufkeimende Demokratien in Westafrika auch so sehen, dass die Welt immer schlechter wird.

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Judith Holofernes: Kreuzbergerin im Chaos

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SPIEGEL ONLINE: Man kann sich die Realität selbst gestalten, je nachdem, welche Informationen man sich zuführt?

Holofernes: Ja, irgendwie schon. Aber es geht nicht darum, sich die Welt schönzureden. Man muss andererseits auch damit leben, dass es das Chaos in der Welt gibt und dass es bedrohlich ist. Ich weiß nur nicht, ob sich das Kräfteverhältnis gerade so relevant dreht oder ob wir diese Untergangsstimmung gerade auch durch mediale Erzählungen nicht nur verstärken, sondern auch erzeugen.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie mit Ihrer Musik etwas dagegensetzen, ein ausgewogeneres Bewusstsein gestalten?

Holofernes: Ich glaube, was man mit Songs sehr gut kann, ist, unterschwellig Dinge fühlbar zu machen. Man kann, nicht nur als Songwriter, auch als Schriftsteller oder Poet, Dinge, die nicht rein vom Kopf her zugänglich sind, verdichten. Mir geht es oft so mit Musik: Ich höre etwas und es spricht etwas an, was mich vielleicht seit Jahren beschäftigt - und plötzlich ist es da. Das Schöne, Magische an Musik ist ja auch, dass man Dissonanzen erzeugen kann, indem man im Prinzip zwei Sachen gleichzeitig sagt: Es ist eben nicht nur die Sprache, die Musik kann parallel dazu ein ganz anderes Gefühl erzeugen.

SPIEGEL ONLINE: So ist es auch auf Ihrem Album: Die Musik ist sehr beschwingt, aber in den Texten beißend, zum Beispiel in "Das Ende", wenn Sie singen: "Die Geschichte der Welt ist ein ödes Buch/ Aber jeder muss es lesen/ Aber immerhin weiß man immer, wer gewinnt/ Wer die Guten und die Bösen sind". Das meinen Sie schon ironisch, oder?

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Holofernes: Ich bin ja total gerne auf Twitter, da verändern sich Dinge in einem wahnsinnigen Tempo. Es passiert irgendetwas, kein Mensch weiß, was genau passiert ist, noch nicht einmal die Polizei, die dabei war. Aber wie schnell dann plötzlich jeder zu wissen meint, wer der Böse ist! Ich finde es faszinierend, wie man zugucken kann, wie sich binnen Stunden auf ein Narrativ eingeschossen wird. Am Anfang ist ganz kurz alles offen, dann macht's Schwupp und alle wissen genau, was war. Und nach 24 Stunden kommt dann die Irritation, dass etwas doch nicht ins Bild passt - und alle gehen betreten mit den Füßen scharrend aus dem Raum.

SPIEGEL ONLINE: Wie schaffen Sie es, sich nicht von solchen Dynamiken davontragen zu lassen?

Holofernes: Also erstens: Ich schaffe es nicht. Ich bin auch total anfällig für Abgrundszenarien, wahrscheinlich muss ich mich genau deshalb so viel damit auseinandersetzen. Am Ende glaube ich nicht so sehr an Meinungen als Wert.

SPIEGEL ONLINE: Woran glauben Sie denn?

Holofernes: Ich habe ein paar sehr feste Werte, die mir wichtig sind. Sie sind meine Zuflucht, aber auch mein Koordinatensystem, das mir erlaubt, meine Welt zu gestalten: Im Zweifel weiß ich, was ich zu tun habe, auch wenn ich noch keine Meinung zu etwas entwickelt habe. Bei manchen Dingen weiß man einfach, dass sie richtig sind - bevor man weiß, wer schuld ist, wer gut ist oder böse, wer Freund ist oder Feind.

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SPIEGEL ONLINE: Welche Werte meinen Sie genau?

Holofernes: Mitgefühl zum Beispiel. In der Flüchtlingsdebatte kann man monatelang diskutieren. Man kann aber auch einfach sagen: Das eine, was ich weiß ist, dass wenn die Menschen jetzt hier sind, ich folgendes zu tun habe.

SPIEGEL ONLINE: Nämlich?

Holofernes: Helfen. Helfen, wenn ich kann. Völlig fraglos. Das hat dann nichts damit zu tun, was Angela Merkel hätte machen müssen, was irgendjemand in Zukunft machen müsste oder wem die Geschichte recht gibt: Wenn jemand da ist, der Hilfe braucht, und ich kann helfen, dann helfe ich.

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