Justin Timberlake Aber tanzen kann er gut

Justin Timberlake beim Super Bowl in Minneapolis
Foto: Matt Slocum/ APDie Halbzeitshow des 52. Super Bowl wird in die Geschichte eingehen - als der Moment, in dem wir alle erkannten, was Justin Timberlake ist. Oder besser: was er nicht ist, nämlich ein bedeutender Popkünstler des 21. Jahrhunderts.
Mit seinem Auftritt beim Football-Fest hätte Timberlake die flaue Stimmung drehen können, die sich vergangene Woche in den ersten Kritiken zu seinem neuen Album "Man of the Woods" verbreitet hatte, wäre er am Sonntagabend, in den knapp 15 Minuten nationaler Aufmerksamkeit, nur ein klein wenig mutiger und charismatischer gewesen. Man hätte ihm ein mieses Album verziehen, wenn er Janet Jackson auf die Bühne gebeten hätte, seine Duett-Partnerin vom Super Bowl 2004, der er eine spektakuläre "Wardrobe Malfunction" bescherte, für die sich die Afroamerikanerin am Ende entschuldigte. Timberlake duckte sich weg und kam mit blütenweißer Weste durch.
Jackson als Überraschungsgast zu präsentieren, hätte all jenen den Wind aus den Segeln genommen, die im Vorwege seines Auftritts unter dem Hashtag #JanetJacksonAppreciationDay ihren Unmut ventiliert hatten. Doch Jackson selbst war es, die am Samstag mit einem Instagram-Post alle Hoffnungen auf ein versöhnliches Ende dieser unrühmlichen "Nipplegate"-Episode begrub: Entgegen aller Spekulationen und Gerüchte werde sie am Sonntag nicht auftreten.
Und Timberlake? Negierte die ganze unangenehme Situation, indem er zwar "Rock your Body" sang, den Song, bei dem er damals Jacksons Bustier aufriss und ihre Brust entblößte - aber die verfängliche Textzeile am Ende ("Bet I'll have you naked/ By the end of this song") wegließ: Rassismusverdacht? Misogynievorwurf? War da was? Nö. Noch nicht mal Selbstironie.

Super-Bowl-Halbzeitshow: Timberlakes violette Hommage
Was für eine verpasste Chance, Größe und Souveränität zu zeigen. Timberlake hätte sich auch politisch äußern können, zu den Verkrampfungen im Land, zur Spaltung in Trump-Gegner und -Befürworter, zu #MeToo oder zur fortschreitenden Marginalisierung von Schwarzen, deren Musik, Hip-Hop, Funk und R&B, er nahezu seine gesamte Solokarriere verdankt. Aber im tiefsten Inneren bleibt er, das zeigte sich am Sonntag in aller hochpolierten, aber tristen Deutlichkeit, eben doch ein auf Reibungslosigkeit getrimmtes Geschöpf der Unterhaltungsindustrie, der ewig jungenhafte Mouseketeer aus Disneys "Mickey Mouse Club".
Immerhin verzichtete Timberlake bei seiner Hommage an Prince darauf, den verstorbenen Sänger aus Minneapolis, Schauplatz des Super Bowls, als Hologramm auferstehen zu lassen, wie im Vorwege befürchtet worden war. Stattdessen wurde Prince auf eine hoch hinausragende Leinwand im Stadion projiziert, unter der Timberlake am Piano saß und eine Balladenversion von "I Would Die 4 U" sang - quasi im Duett mit der überlebensgroßen Legende, die 2007 im strömenden Regen von Miami für einen der spektakulärsten und berührendsten Super-Bowl-Halbzeitauftritte aller Zeiten gesorgt hatte.
Sollte es bis zu diesem Zeitpunkt noch irgendeinen Zweifel gegeben haben, welche Position Timberlake im Koordinatensystem der Pop-Gottheiten innehat, waren nach dieser stimmlich angestrengten Anmaßung keine Fragen mehr offen. Aber Bodennähe hat ja auch Vorteile: Justin Timberlake ist ein hervorragender Tänzer, das muss man ihm lassen. Das zu beweisen war dann am Sonntagabend anscheinend auch wichtiger als durchgängiger Live-Gesang.
Output und Aura klaffen auseinander
So wenig greifbar wie bei seiner Super-Bowl-Show ist Timberlake auch als Musiker auf seinem neuen Album, dem ersten seit dem überblasenen Doppelschlag "The 20/20 Experience" von 2013. Lange Pausen zwischen Alben sind bei dem Entertainer, der mal als Sidekick von Jimmy Fallon auftritt, mal als Schauspieler agiert, keine Seltenheit. Daher ist "Man of the Woods" auch erst sein viertes Album seit 2002. Umso höher schrauben sich stets die Erwartungen an jede neue Veröffentlichung, denn Output und öffentliche Aura als wichtige Pop-Persönlichkeit klaffen bei "JT" schon immer auseinander.
Das Problem dabei ist, dass Timberlake diese Erwartungen immer seltener einlöst, im Grunde schon seit seinem exzellenten Album "FutureSex/LoveSounds" nicht mehr, das mit "What Goes Around Comes Around" und "Sexy Back" seine musikalisch avanciertesten Hits enthielt. Es erschien 2006.
12 Jahre später standen Timberlake erneut alle Möglichkeiten offen, sich als Pop-Innovator neu zu positionieren. Sein großer Vorteil ist, dass er sich dafür musikalisch noch nicht einmal groß anstrengen müsste, denn hinter ihm stehen seit Anbeginn seiner Karriere die Produzenten Timbaland und Neptunes, die in den Nullerjahren mit zahlreichen Hits für eine Neudefinition des R&B-Genres sorgten - und in "JT" einen dankbaren Interpreten fanden. Inzwischen hat sich deren Erneuerungswillen jedoch hörbar abgeschliffen, wie man zuletzt unter anderem auf revisionistischen bis schlappen Veröffentlichungen von Neptunes-Mitglied Pharrell Williams hören konnte. Schon auf "The 20/20 Experience" vermisste man im gediegenen und saturierten Wohlklang ein futuristisches Funkeln.
Die Chance also für den gereiften Performer Timberlake, sich endlich selbst als Künstler zu installieren. Als vor einigen Wochen ein Teaser-Trailer zu "Man of the Woods" erschien, der den Sänger als naturverbundenen, bärtigen Trapper zeigte, schöpfte man Hoffnung, dass sich hinter der griffigen Tagline "Modern Americana with 808s" etwas Interessantes verbergen könnte: Timberlakes Wurzeln im Country, Rock und Soul seiner Heimat Tennessee, verknüpft mit Hip-Hop- und Post-R&B-Sounds.
Timberlake bleibt Tourist
So etwas in der Art findet sich tatsächlich auf dem wie immer blendend produzierten "Man of the Woods", es ist nur leider trotz 66 Minuten Spielzeit nicht sehr aufregend. Durch "Filthy" blubbert ein Disco-Groove, der jedoch keinerlei schwitziges Swamp-Feeling aufkommen lässt, "dreckig" ist hier so wenig wie der seelenlose Avatar, den Timberlake im zugehörigen Video für sich tanzen lässt. Auch "Sauce", "Midnight Summer Jam" oder "Higher Higher", die mit warmen Gitarren und Streichern in saftigste Südstaaten-Schwüle hineintasten, schrecken davor zurück, sich wirklich schmutzig zu machen.
Anders als Country-Funk und -Soul-Vorbilder wie Tony Joe White oder Jim Ford, die sich mit sinisterer Lust tief in die deep Grooves und Abgründe des Southern Gothic warfen, bleibt Timberlake Tourist - seine behauptete Sexyness und Authentizität wirkt so fake wie die aufwändig auf White Trash designten Hobo-Klamotten von Stella McCartney, die er beim Super Bowl zur Schau trug.
Americana und Roots, das sind nur Labels, die Timberlake sich anheftet wie den Country-Star Chris Stapleton, der auf "Say Something" mitsingt. Vom "Living off the Land", wie ein besonders beherzt in den Staub und die Erdigkeit der Tabak- und Cotten-Felder komponierter Song suggeriert, hat das "rich kid" Timberlake offensichtlich keine Ahnung, und die Phrasenhaftigkeit seiner Lyrics ("Losers can be winners, lalalala") zeigt, dass er sich wenig für das Leben der armen Landbevölkerung interessiert. Zur kulturellen Aneignung afroamerikanischer Musikstile, die ihm vorgeworfen wird, kommt nun also auch noch die Hillbilly-Ausbeutung.
Denn statt sich wirklich in die soziale Wildnis zu begeben und Klischees zu durchdringen, inszeniert er die warmen Töne der Country-und Folk-Musik als wohlige Hygge-Tapete für sein persönliches Familienglück: Sowohl Ehefrau Jessica Biel als auch sein kleines Söhnchen ("Young Man") kommen auf dem Album zu Wort. Aber auch ihnen hat der Oberflächenreiniger Justin Timberlake kaum mehr zu bieten als windelweiche Kalenderweisheiten. "Gimme the hard stuff" fordert er über klimpernden Gitarren gegen Ende. Ja, das wäre mal was gewesen.
Justin Timberlake: "Man of the Woods" ist am 2. Februar bei RCA/Sony erschienen.