Sorge um Rap-Superstar West Der Kummer mit Kanye

Kanye West bei seiner Wahlkampf-Kundgebung in South Carolina (am 19. Juli): Am Ende Tränen
Foto:Randall Hill/ REUTERS
"Being a Kanye fan is masochism at this point", schrieb ein Twitter-Nutzer am Freitagmorgen: Dieser Tage ein Fan von Kanye West zu sein, grenze an Masochismus. Eigentlich wollte der 43-Jährige an diesem Freitag sein neues Album "Donda" veröffentlichen, zumindest hatte er es vor zwei Tagen so angekündigt.
Doch wer die Karriere des Rappers, Musikproduzenten und Turnschuh-Entrepreneurs (Yeezy) in den vergangenen Jahren verfolgt hat, war gewarnt: Nur selten erschienen Wests Alben zu dem Zeitpunkt, den er angekündigt hatte, oft trugen sie andere Titel als die, die er vorher propagiert hatte. Sein letztes Studio-Album "Jesus Is King", auf dem er sich zu Gott und neuer Frömmigkeit bekannte, sollte ursprünglich 2018 erscheinen und "Yandhi" heißen. Es kam, nach vielen Verschiebungen, über ein Jahr später heraus.
Kanye-Fans sind dieses sprunghafte Agieren gewöhnt, spätestens seit West 2018 mit der Veröffentlichung seines Albums "Ye" seine psychische Erkrankung öffentlich machte. 2016 hatte er eine Tournee abgebrochen und war in ein Krankenhaus in Los Angeles eingeliefert worden, nachdem sein Hausarzt einen Notruf abgesetzt hatte.
Entsprechend resigniert, wenn nicht sarkastisch, kommentierten viele am Freitag das Vakuum. Niemand hatte wirklich damit gerechnet, dass West Wort halten würde. Das könnte man natürlich als ein Problem für einen Popstar betrachten, der vor wenigen Wochen angekündigt hatte, als unabhängiger Kandidat bei der kommenden US-Präsidentschaftswahl anzutreten: Welchen politischen Plänen soll man vertrauen, wenn die Erfahrung zeigt, dass West sich immer wieder im eigenen Aktionismus verheddert statt zu liefern?
Andererseits: Erratisches Benehmen ist keinesfalls ein Ausschlusskriterium für das Präsidentenamt, wie nicht zuletzt die jüngere Historie zeigt. Als christlich-fundamentalistischer Afroamerikaner mit unorthodoxen Ansichten, der weder konservativ noch liberal einzuordnen ist, aber als Popstar die Mechanismen von Entertainment und Social Media kongenial beherrscht, wäre Kanye West ein zumindest interessanter Kandidat. Doch mittlerweile ist wohl klar: Hier spielt sich vor allem das persönlich-öffentliche Drama eines Popstars ab.
Spätestens mit seinem ersten Wahlkampfauftritt am vergangenen Sonntag drohte Wests politische Kampagne, wenn man sie denn überhaupt ernst nehmen wollte, zur Seifenoper zu verkümmern: Obwohl er die Anmeldefristen für die US-Wahl bereits in den meisten Bundesstaaten verpasst hatte, trat West in South Carolina zu seiner ersten Kundgebung an. Er hatte sich die Zahl "2020" in sein Haar rasiert und irritierte die zahlreichen afroamerikanischen Zuschauer mit der Aussage, die Bürgerrechtsikone Harriet Tubman habe niemals Sklaven befreit.

Ehepaar Kardashian, West im Herbst 2019 in New York: Die TV-Persönlichkeit und der Rap-Superstar sind seit 2014 verheiratet und haben vier gemeinsame Kinder
Foto: Gotham/ GC Images/ Getty ImagesAls er beschrieb, wie seine Ehefrau Kardashian und er beinahe ihr erstes Kind abgetrieben hätten, brach er in Tränen aus. Wests Aussagen zum Thema Abtreibung sind widersprüchlich - wie so vieles in seinen politischen Aussagen. In South Carolina bezeichnete er sich nun als Befürworter des Abtreibungsrechts. Allerdings würde er als Präsident gerne jeder Frau eine Million Dollar geben, damit sie es zumindest aus wirtschaftlichen Gründen nicht nötig habe abzutreiben. Die Finanzierung dafür? Habe er nicht. Aber die Plattform, um die Idee zu verbreiten, so West. Dann wiederum versäumte er es auch in South Carolina, die nötigen 10.000 Unterschriften für eine Kandidatur zu sammeln.
Umfragen von Anfang Juli kalkulierten Wests Chancen bei der Wahl im November bei rund zwei Prozent. Keine Gefahr für Amtsinhaber Donald Trump , mit dem West zwischenzeitlich zur Empörung vieler Fans sympathisiert hatte, und dem Kandidaten der Demokaten, Joe Biden, den West in einem Interview mit "Forbes" dafür kritisierte, die Stimmen der Schwarzen für selbstverständlich zu halten.
Inzwischen scheint sich West selbst nicht mehr so sicher zu sein, ob er tatsächlich antreten will. Am Dienstag, am Ende einer inzwischen komplett gelöschten Twitter-Tirade, fragte er seine rund 30 Millionen Follower, ob er vielleicht doch eher für die Wahl im Jahre 2024 kandidieren solle. Aber bevor es zur Abstimmung kam, entfernte er auch diesen Tweet wieder. Er werde sich jetzt auf die Musik konzentrieren, war eine der letzten Botschaften dieses Tages.
"Ein brillanter, aber komplizierter Mann"
Zuvor hatte er einige wirre Behauptungen aufgestellt: Dass die TV- und Internet-Persönlichkeit Kim Kardashian, mit der West seit 2014 verheiratet ist und vier gemeinsame Kinder hat, ihn mutmaßlich mit dem Rapper Meek Mill betrogen habe und die beiden seit Jahren über Scheidung redeten.
Seine Schwiegermutter Kris Jenner, die er in einem Tweet "Kris Jong-un" nannte, analog zum nordkoreanischen Diktator, habe zudem gemeinsam mit Kim versucht, ihn gegen seinen Willen in eine geschlossene psychiatrische Anstalt einzuweisen. West lebt seit Ausbruch der Corona-Pandemie weitgehend isoliert auf seiner Farm in Wyoming, angeblich in einem "sicheren Bunker", seine Frau mit den Kindern in New York.

Fan-Kissen mit West und US-Präsident Trump, den der Rapper einst als "Bruder" bezeichnete: Inzwischen habe er seine "Maga"-Kappe aber abgelegt, so West.
Foto: Shannon Stapleton/ REUTERSKardashian war es dann, die sich am Mittwoch an ihre rund 180 Millionen Instagram-Follower wandte und um Nachsicht und Mitgefühl für West bat: "Viele von Euch wissen, dass Kanye eine bipolare Störung hat", schrieb sie. Noch 2016 hatte sie sich vehement gegen Mutmaßungen über seine Gesundheit verwehrt, jetzt schien sie aufrichtig besorgt. "Jeder, der es hat oder einen Liebsten in seinem Leben hat, der daran leidet, weiß, wie unglaublich kompliziert und schmerzhaft es ist, das zu verstehen." Wer West nahestehe, wisse, dass seine Worte nicht gleichbedeutend mit seinen wahren Absichten seien.
West, so Kardashian, sei "ein brillanter, aber komplizierter Mann", der nicht nur unter der Corona-Isolation und dem Druck, ein schwarzer Künstler zu sein leide, sondern auch den Verlust seiner 2007 verstorbenen Mutter verkraften müsse. Nach ihr, Donda, sei auch das neue Album benannt.
Menschen, die eine bipolare Störung haben, erleben oft extreme Stimmungsschwankungen. Auf Zeiträume relativer Normalität können Ausbrüche von Euphorie, Hyperaktivität und Selbstüberschätzung folgen, das andere Extrem sind Phasen tiefer Depressionen.
Natürlich ist jegliche Ferndiagnose unmöglich. Von Kanye West ist bekannt, dass er sich oft tagelang im Studio verschanzt, um an neuer Musik und seinen diversen Projekten zu arbeiten. West hatte sich in den vergangenen Jahren mehrfach dazu bekannt, auf Medikamente zu verzichten, um seinen kreativen Prozess nicht zu beeinträchtigen. Auf tagelange, atemlose Twitter-Aktivitäten mit großspurigen Ankündigungen, Wests, die sowohl Fans, als auch Medien auf Trab hielten, folgte in der Vergangenheit oft lähmende Funkstille. So wie jetzt auch.
Die Vermutung liegt daher nahe, und so impliziert es auch Kim Kardashian mit ihrem Instagram-Post, dass der Musiker zurzeit eine sogenannte manische Episode seiner Krankheit durchlebt. Der Betroffene müsse sich jedoch selbst um Hilfe bemühen, so Kardashian, als Familie sei man machtlos, wenn es sich nicht um ein minderjähriges Mitglied handele.
Was aus Wests Präsidentschaftskandidatur wird, bleibt bis auf Weiteres ebenso unklar wie die Frage, ob und wann "Donda" erscheint. Die Idee, Präsident zu werden, sagte West in dem Interview mit "Forbes", sei ihm bereits 2015 unter der Dusche gekommen. Er habe damals hysterisch lachen müssen. Mehrfach hatte West in den Jahren danach mit seinen politischen Ambitionen kokettiert. Doch erst jetzt, so West in dem Interview, habe ihm Gott die Klarheit gegeben und gesagt: "Es ist so weit!". Vielleicht sollte er lieber mehr auf seine Ehefrau hören.