
Antisemitismus: Man wird ja wohl noch rappen dürfen ...
Antisemitismus Man wird ja wohl noch rappen dürfen...
Hätte Populismus einen Soundtrack, es wäre ein Rap-Album: laut, wütend, voll mit auf die Spitze getriebenen Klischees - und in den Top-Charts. Populismus ist in vielen Ausprägungen des Rap so fest zu Hause wie in der Politik.
Betonte Volksnähe, Vereinfachung, der Bruch mit den Eliten und jeglicher Political Correctness: In den richtigen Mündern kann populistischer Rap unbequeme Wahrheiten vermitteln, die sonst im mehrheitsgesellschaftlichen Grundrauschen untergehen. Er kann gesellschaftliche Abgründe offenlegen und Ausgegrenzten eine Stimme geben. In den falschen Mündern jedoch, und mit genügend naiven Ohren im Publikum, schürt er Vorurteile, verbreitet Ängste und vertieft Gräben.
Ein Bewusstsein dafür, wie Populismus als Ideologie und Strategie Teile der Rap-Landschaft durchzieht - und für die Schwierigkeiten, die auftauchen, wenn diese Paarung den musikalischen Mainstream durchdringt - hilft dabei zu verstehen, warum sich die deutsche Rap-Szene dieser Tage wieder einmal scharfer Kritik stellen muss. Im Kern der ganzen Diskussion steht die Frage: Was darf Rap? Und welche Pflichten haben seine Interpreten?
Auslöser der jüngsten Aufregungswelle ist Rapper Kollegah (Felix Blume). Kollegah, einer der erfolgreichsten Vertreter der deutschen Rap-Szene, sollte im Juni im Rahmen einer Rap-Nacht beim Hessentag auftreten, einer zehntägigen Veranstaltung mit zahlreichen Konzerten. Die Aufregung um den Auftritt, der von Beginn an umstritten war, gipfelte in einem offenen Brief, mit dem sich der Zentralrat der Juden in Deutschland und weitere jüdische Verbände an die Stadt Rüsselsheim wandten. Der Vorwurf: Kollegah propagiere in seinen Songs "Antisemitismus, Homophobie und Gewalt gegen Frauen". Die Rap-Nacht wurde abgesagt.
Kollegah wiederum reagierte auf die Anschuldigungen mit einem eigenen offenen Brief auf Facebook : Die Vorwürfe des Antisemitismus seien aus der Luft gegriffen, die zitierten Zeilen seien Jahre alt und teils nicht von ihm. Dazu ein Verweis auf neuere Lyrics: "Wir sind Brüder, wir sind Schwestern, Nachkommen von Adam. Ganz egal ob wir nun Jahwe, Gott oder Allah sagen" ("NWO" 2013). In seinem Brief lädt Kollegah seine Kritiker ausdrücklich zum Dialog ein, "im Sinne eines interkulturellen Austauschs".
Tatsächlich stammt die vom Zentralrat zitierte Zeile "Ich leih dir Geld, doch nie ohne 'nen jüdischen Zinssatz mit Zündsatz" nicht von Kollegah selbst, sondern von Favorite ("Sanduhr", 2014). Und auch der Verweis auf den Kontext der gewählten Zeilen ist angebracht. Die Passage "Hure Eins und Hure Zwei, ich vergewaltige euch brutal" ("Edelpuffkiller", 2004), entstammt einem Battlerap, der per Definition darauf abzielt, zu überspitzen und einem realen oder fiktiven Gegenüber verbale Schläge zu verpassen - oft unter die Gürtellinie. Ist die Zeile herabwürdigend und für viele schwer zu verdauen? Absolut. Belegt sie, dass Kollegah, oder vielmehr Felix Blume, die Person hinter der Kunstfigur, Gewalt an Frauen verherrlicht? Nein. Ebenso wenig belegt die provozierende Übertragung des eindeutig konnotierten Begriffs "Endlösung" auf die "Rapperfrage" eine antisemitische Grundhaltung.
Vorwürfe des Antisemitismus sind im Deutschrap nicht neu
Alles also nur Hysterie derer, die Kollegah oder Rap selbst nicht begreifen? So simpel ist es nicht. Wenn Kollegah behauptet, die Vorwürfe des Antisemitismus seien neu, dann mag das zwar für seine Person gelten, nicht jedoch für Deutschrap als solchen. Seit den frühen Nullerjahren sorgen vermeintlich antisemitische Textzeilen und Äußerungen von Rappern immer wieder für Aufsehen. Spätestens seit Gangsterrap fest im Mainstream verankert ist und die Charts dominiert, finden die Diskussionen darüber auch abseits einschlägiger Hip-Hop-Portale im Netz statt.
2014 geriet Rapper Haftbefehl in die Schlagzeilen, als sein Song "Psst!" den Weg in den Frankfurter "Tatort" fand. Darin heißt es: "Ticke Kokain an die Juden von der Börse." Juden, Banken, Macht: Das Bild von Juden als heimliche, Geld jonglierende Strippenzieher hinter den Kulissen haben sich auch andere Rapper zu eigen gemacht. Der Auszug aus "Psst!" ist nicht die einzige problematische Zeile aus Haftbefehls Repertoire. So rappt er in "Mama reich mir deine Hand" (2010): "Du nennst mich Terrorist, ich nenn Dich Hurensohn, ich geb George Bush 'n Kopfschuss und verfluche das Judentum". In einem Interview Ende 2014 zeigte Haftbefehl sich reuig: "Ich war dumm. Heute halte ich jede Religion für gleichwertig und gut."
Haftbefehl beließ es nicht bei einer Entschuldigung, sondern versuchte sich zugleich an einer Erklärung : "Ich bin unter Türken und Arabern aufgewachsen. Da werden Juden nicht gemocht. Es gibt ja auch keine dort. Ich will Ihnen verraten, wie ein 16-jähriger Offenbacher tickt: Für den ist alles, was mächtig ist und reich, aus seiner beschränkten Sicht jüdisch. Er hängt mit anderen 16-Jährigen herum. Sie hassen alles. Deutsche sind für sie Kartoffeln."
Dass Antisemitismus auch in vielen Einwandererfamilien verbreitet ist, ist nicht neu. Auch dass "Jude" sich ähnlich wie einst "schwul" als Schimpfwort in der Jugendsprache etabliert hat, hat sich in Erwachsenenkreisen bereits rumgesprochen. Wenn Rap durch die Gesellschaft und ihre Probleme informiert wird, sie in Teilen spiegelt, dann ist es unumgänglich, dass er auch ihre hässlichsten Ausprägungen aufweist.
Der Nahostkonflikt ist ein wiederkehrendes Motiv im Deutschrap
Nur logisch ist es, dass sich mit diesem Prozess auch die gesellschaftliche Diskussion über fehlende oder überzogene Political Correctness auf das Genre Rap und seine Vertreter überträgt. 2014 sprang Kollegah seinen Kollegen Fard & Snaga zur Seite. Die mussten für ihren Song "Contraband", der vor Parolen und Verschwörungstheorien nur so wimmelt, harte Kritik einstecken. Dort heißt es unter anderem: "Kontra Bilderberger, Volksverräter, Hintermänner". Kollegah konstatierte in einem Interview: "Man kann heute noch nicht einmal das Wort Jude sagen, ohne als Antisemit dargestellt zu werden, noch nicht einmal das Wort Israel". Eine Aussage, die stark an Sätze erinnert, wie: "Man wird ja wohl noch sagen dürfen..."
Die politische Komponente verkompliziert die Debatte weiter. Der Nahostkonflikt ist längst ein wiederkehrendes Motiv im Deutschrap, das viele Rapper nicht nur als Punchline nutzen, sondern auch, um sich politisch und moralisch zu positionieren. Gerade Rapper mit Migrationshintergrund rücken das Thema immer wieder in den Fokus. Massiv, der auch auf Facebook deutliche Worte gegen Israel findet, hat dem Konflikt mit "Palestine" gleich einen ganzen Song gewidmet. Aber auch deutsche Rapper machen ihre Meinung deutlich. Die Antilopen Gang zum Beispiel distanziert sich von jeglicher Israel-Kritik. Das Kleidungslabel "Hypepeace" brüstet sich damit, dass Prinz Pi seine Pullover zur Unterstützung einer palästinensischen Hilfsorganisation trägt.
Israel-Kritik ist im Umfeld des Rap ebenso wenig wie im gesellschaftlichen Diskurs mit Antisemitismus gleichzusetzen. Dass zum Beispiel Kollegah einen Film darüber dreht, wie er Palästinenser besucht und sie von ihrem Leid erzählen lässt, ohne das Ganze ausreichend in den größeren Kontext einzuordnen, heißt nicht zwingend, dass er Juden hasst. Vielmehr legt es einen naiven oder bewusst simplifizierenden und polarisierenden Umgang mit der Thematik nahe.
Die Frage, ob ein Rapper, der sich Stereotypen über Juden bedient, abseits des Mikros Antisemit ist, lässt sich von außen in den seltensten Fällen zweifelsfrei beantworten. Dasselbe gilt für die Frage, ob eine diskriminierende Zeile sich aus den Vorurteilen ihres Interpreten nährt oder der Zuhörerschaft einen Spiegel vorhalten soll. Der Einwurf, solche Zeilen gehörten nun mal zu bestimmten Formen des Rap, wird diese Diskussion aber ebenso wenig beenden wie die um Gewaltverherrlichung, Sexismus oder Homophobie.
Die wichtigere Frage ist darum: Müssen sich Rapper, die offiziell Gleichheit, Brüderlichkeit und Toleranz propagieren, die Frage gefallen lassen, warum sie zulassen, dass ihre Zeilen Spaltung und Ressentiments nicht nur spiegeln, sondern eventuell, gewollt oder ungewollt, in einer jungen Generation von Hörern verfestigen? Nicht nur Kollegah könnte der von ihm vorgeschlagene "interkulturelle Austausch" dabei helfen, diese Frage reflektierter zu beantworten, als es ein Facebook-Post oder eine Punchline leisten können.