
Lagerhaft für Oppositionellen wegen Rammstein-Video Schade, Herr Lindemann


Sänger Till Lindemann: Fans stehen Stunden für ein Autogramm von ihm an
Foto: Christoph Soeder / picture alliance / dpaTill Lindemann ist gern in Russland, zuletzt so oft, dass manch ein Fan bereits fragte, ob er nicht schon die Staatsbürgerschaft Russlands erhalten habe. Der Sänger der deutschen Band Rammstein feierte nicht nur Anfang des Jahres seinen 58. Geburtstag in Sankt Petersburg, er ließ sich auch in der Eremitage für einen seiner Videoclips zu seinem neuen Song »Lieblingsstadt« filmen. Den alten Sowjetsong singt er komplett auf Russisch. Das Kampfpilotenlied ist der Soundtrack zu einem neuen patriotischen Streifen über den Kampfpiloten Michail Dewjataew, der im Zweiten Weltkrieg in deutsche Gefangenschaft geriet und kurz vor Kriegsende mit einem deutschen Flugzeug fliehen konnte.
Die Fans von Lindemann sind begeistert, allein das Video, das den deutschen Sänger mal am Steuerknüppel eines sowjetischen Kampffliegers zeigt, mal im schlichten schwarzen Anzug auf der Bühne, wurde über vier Millionen Mal aufgerufen. Er sei sicher, dass Musik Brücken zwischen Völkern baue, sagte Lindemann der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Es war leider das einzige, was man von ihm in den letzten Wochen in Russland zu hören bekam.
Zum Fall Andrej Borowikow schwieg Lindemann beharrlich. In dieser Woche folgte dann ein karger Satz: »Dieses Thema möchte ich nicht besprechen«, schrieb Lindemann der unabhängigen Zeitung »Nowaja Gazeta« . Das ist armselig, vor allem auch auf menschlicher Ebene.
Als Oppositioneller ein Feind des russischen Regimes
Das Urteil gegen Andrej Borowikow ist politisch motiviert und hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun – und so absurd, dass man es nicht wegschweigen kann.
Borowikow sitzt seit mehr als drei Wochen in Haft, sein angebliches Vergehen: Er soll Pornografie verbreitet haben. 2,5 Jahre Straflager hat der Richter ihm dafür gegeben.
Borowikow, seit seiner Kindheit Fan von Rammstein, hatte 2014 ein Video der Band zu dem Lied »Pussy« geteilt, darin enthalten sind auch Sexszenen. Der Clip war jahrelang auf Borowikows VKontakte-Seite zu sehen, der russischen Version von Facebook, – so wie bei vielen Hunderten anderen Anhängern der Musikgruppe auch. Später löschte er das Video sogar.
Das macht überdeutlich, wofür Borowikow eigentlich abgestraft wird: Er ist Oppositioneller – und damit Feind des russischen Regimes.

Andrej Borowikow und Alexej Nawalny
Foto: privatMenschen wie Borowikow sind inzwischen einer beispiellosen Repressionswelle des Sicherheitsapparats ausgesetzt: Sie werden verfolgt, eingeschüchtert – und wenn sie dennoch nicht klein geben oder ins Exil gehen, eingesperrt. Das zeigt der Fall des prominenten Kremlkritikers Alexej Nawalny, aber auch der Fall Borowikows. Er hatte es gewagt, in seiner Heimatstadt Archangelsk in Nordwestrussland zu protestieren: gegen eine geplante Mülldeponie in der Region, gegen die Korruption. Etwas mehr als ein Jahr leitete Borowikow das Nawalny-Büro in seiner Region.
Vier Jahre dauerte sein politischer Kampf – bis die Sicherheitsbehörden ausgerechnet ein Video von Rammstein dafür missbrauchten, den 33-Jährigen wegzusperren und damit mundtot zu machen.
Wer, wenn nicht Rammstein, hätte die Autorität, auf dieses skandalöse Urteil zu reagieren? Die Band, wie Lindemann selbst, wird seit Jahren von Hunderttausenden Fans für ihre Provokationen auf der Bühne gefeiert, inszeniert sich auch als Botschafter der Freiheit. Und sie hat sich schon längst politisch positioniert, auch in Russland. 2019 küssten sich die Gitarristen Paul Landers und Richard Kruspe im Moskauer Luschniki-Stadion – und setzten damit ein Zeichen der Solidarität für die Homosexuellen, die in Russland keine Rechte haben und immer noch angefeindet werden. Warum ist Rammstein jetzt also so leise? Geht es ums Geld, darum dass die Band Angst hat, womöglich nach kritischen Äußerungen weniger Konzerte spielen zu können, wie Borowikow selbst vermutete?
Immerhin hat eines der Bandmitglieder einige Worte zu dem inhaftierten Borowikow gefunden: Gitarrist Kruspe zeigte sich auf Instagram »schockiert« über die Härte des Richterspruchs gegen den Oppositionellen. Rammstein habe immer für die Kunstfreiheit als Grundrecht aller Menschen eingestanden, schreibt Kruspe.
Es war eine späte und vergleichsweise milde Reaktion für dieses Willkürurteil – Äußerungen, die man sich vor allem von Lindemann als Rammstein-Frontmann und Russland-Dauergast gewünscht hätte.