
Pop-Ikone Del Rey: Sie ist jetzt Dichterin
Neues Album von Lana Del Rey Feminismus aus der Fabrik
Im letzten der vierzehn Lieder ihres Albums "Norman Fucking Rockwell" klingt Lana Del Rey so zeitlos wie noch nie. Nur ein Klavier begleitet sie auf "Hope Is a Dangerous Thing For a Woman like Me - But I Have It", wir hören sogar die Pedale leise knacken. Die Akkordfolge ist vertraut, Lana Del Rey benutzt sie oft. Sogar auf dem gleichen Album - auch "Mariners Apartment Complex" beginnt mit dieser Harmonie. Viele kennen sie vom dunklen Liebeslied "Wicked Game" von Chris Isaak aus dem Jahr 1989.
Del Rey macht es langsamer als Isaak. Das verstärkt den Eindruck von Gefahr. Wenig ist so widerständig im Spätkapitalismus wie Tempo rausnehmen. Und das letzte Lied erinnert noch einmal daran, dass die Künstlerin mit dem neuen Album auch ein neues Selbstbild malt: Sie ist jetzt Dichterin. Sie macht viele Worte. Vielleicht ist die Instrumentierung deshalb so spärlich und die Songs so lang: Noch nie waren bei ihr die Stücke so sehr Vehikel für die Vortragende.
Mit dem Hitproduzenten Jack Antonoff hat Del Rey lange Lieder entworfen, "Venice Bitch" erinnert gegen Ende an deutschen Krautrock und dauert fast zehn Minuten. Antonoff, der auch für Taylor Swift und Lorde produziert, instrumentiert dezent. Piano, akustische Gitarren, die elektrischen kommen ohne den feisten Verstärkerklang aus. Es gibt ein paar Streicher, sachte Bläser, etwas alte Elektronik. Der Audio-Ausbaustandard genügt höchsten Ansprüchen. Aber Del Rey ist mehr als Musik.

Pop-Ikone Del Rey: Sie ist jetzt Dichterin
Ihre Texte inszenieren eine Hinwendung zu einem hemdsärmeligen Feminismus. Für die kalifornische Sirene ist das einigermaßen überraschend - der Feminismus, nicht das Volksnahe.
Spätjugend als Alkoholikerin
Del Rey singt über ihre Spätjugend als Alkoholikerin - so weit, so bekannt. Doch sie vergleicht sich in "Hope is a Dangerous Thing..." mit der Schriftstellerin Sylvia Plath, die 1963 freiwillig aus dem Leben schied. Plath, vor allem durch ihre Lyrik berühmt, ist eine Ikone feministischer Dichtkunst, weil sie trotz des Schmerzes auch die höchsten Sinnesfreuden ausdrücken konnte. Nie nur Opfer von sexistischer Unterdrückung sein, immer Schöpferin bleiben.
Schon der Titelsong beschwört nicht nur das Mannsbild als Außenseiter und scharfen Typen. "Norman Fucking Rockwell" handelt vom Selbstmitleid eines schlechten Dichters, der - immerhin - im Bett ziemlich gut sei. Der Eigenname kommt in diesem Lied gar nicht vor, Norman Rockwell taucht erst in "Venice Bitch" auf, dem Zehnminüter, eine Ode an den Geschlechtsverkehr. Dabei kann man sich fragen, ob der Genuss der weiblichen Unterwerfung gerade selbstermächtigend oder doch rückschrittlich zu werten sei.
Norman Rockwell übrigens war ein US-amerikanischer Zeitschriftenillustrator, der die Figur des Durchschnittsamerikaners und seiner Familie idealisierte. "Paint me happy in blue / Norman Rockwell", singt Del Rey. Blue bedeutet traurig, als Paradox zu happy - aber Blau ist auch die Farbe der Arbeiterklasse im Blaumann, der blue collars. Feminismus aus der Fabrik, die es nicht mehr gibt.
Die Gangsterbraut des Pop wird politisch
Schon oft stand Del Rey im Ruf, eine Anti-Feministin zu sein. Zu viel amerikanisches Durchschnittsidyll, zu konventionelles Geschlechterbild. Eine Art weiblicher Bruce Springsteen, aber ohne dessen Sendungsbewusstsein. Ende 2011 wurde sie die Gangsterbraut des Pop, die im Polaroid-Filter von der dunklen Seite des amerikanischen Traums erzählte. Man nannte es Retro. Das neue Album zeigt, wie kurz diese Diagnose damals griff.
Es war die Zeit, als wirklich alle erstmals ein Smartphone hatten, das jeden Schritt überwacht. Und Del Rey war die erste Sängerin, die wieder von Schritten in der Dunkelheit träumte, vom Leben vor der Verdatung, das sie, so viel Glamour musste sein, schamlos romantisierte. Aber immerhin, sie träumte von etwas mehr Freiheit, und etwas weniger Kontrolle, die in der Digitalisierung rasend zunimmt.
Wer einmal mehr als Urlaub in den USA gemacht hat und nicht nur in den Küstenmetropolen war, kennt das europäische Staunen über die ausgeprägte amerikanische Sehnsucht, nicht reguliert zu werden. Es gibt sie links wie rechts von der Mitte. Lana Del Reys Nostalgie verwies mit ihrer Freiheitsnostalgie auf einen Mangel in der Gegenwart. Doch sie hielt sich stets fern von politischen Positionen. Diese Zeit ist nun vorbei.
Das Doppelvideo zu den beiden Songs "Fuck it I Love You & The Greatest" verrät, dass auch die verpeilteste Nostalgie nicht mehr an der polarisierten Gegenwart vorbeikommt. Erst geht es noch um die entgrenzten kalifornischen Gefühle im Angesicht des Ozeans und nach dem Konsum von Heroin. Doch "The Greatest" kippt danach in reine Krisendiagnostik, in die Einsicht der eigenen Ohnmacht vor dem Klimawandel. Oder vor Kanye West, der Trump unterstützt. Die Sirene singt jetzt nicht mehr für jeden.