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Techno-Kollektiv HGich.T: "Lass den Saft raus, Baby"

Foto: HGich.T

Trash-Kollektiv HGich.T Sex, Irrsinn, Satanismus

Rektor liebt Schülerin, eine Sekte zelebriert finstere Rituale: Das Hamburger Techno-Kollektiv HGich.T ignoriert die Grenzen des guten Geschmacks und brachte es zum hunderttausendfach geklickten YouTube-Phänomen. Jetzt erscheint sein neues Album "Lecko Grande" - kein harmloser Spaß.

"Lass den Saft raus, Baby! Lass ihn raus! Jaaaa! Jaaaa! Aaaaaaaaah!" Auch wenn es ganz danach klingen mag: Diese Worte stammen nicht aus dem Mund eines Pornodarstellers. Sie sind zu hören in "Ich liebe dich egal ob du 16 bist", einem Song des Kollektivs HGich.T, wo sie von einem gewissen Opa 16 vorgetragen werden.

Im Clip dazu  ist ein 70-Jähriger im schwarzen String-Tanga zu sehen, der sich mit einer deutlich jüngeren Frau in einer Holzhütte im Wald vergnügt. Die Musik ist Hochgeschwindigkeits-Ballertechno, dazu nölt eine Stimme aus dem Off in breitem Hamburger Akzent die Worte: "Ich hab dich gesehn/An der Eisdiele/Du hast Eis bestellt/Ich hab bezahlt." Erzählt wird von einer Beziehung mit Altersunterschied - zwischen einer Schülerin und ihrem Rektor. Der Song eröffnet das zweite Album von HGich.T mit dem kunstvollen Titel "Lecko Grande".

Schlüpfrig oder pubertär? Bei Opa 16 handelt es sich nicht um irgendeinen Laiendarsteller, sondern um den pensionierten Oberstaatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt, der als Schauspieler schon in mehreren Filmen Christoph Schlingensiefs mitwirkte, in "Hundert Jahre Adolf Hitler" etwa gab er den Joseph Goebbels. Als Autor veröffentlicht er Filmkritiken und Bücher.

Polizisten mit Elfenohren

Dietrich Kuhlbrodt ist der älteste Mitstreiter der Hamburger Künstlergruppe HGich.T. Im Jahr 2008 erschien auf Youtube ihr Video zum Song "Tutenchamun", mit dem sie über eine halbe Million Klicks erzielt haben: Der titelgebende Tutenchamun als mofafahrender Raver in Müllarbeiterweste, die Schöne Maike als Raver-Braut und Dr. Diamond als Polizist mit Elfenohren bieten darin eine hinreißend trashige Performance.

Für Mobilnutzer: Hier klicken , um das Video zu sehen.

Auf den ersten Blick inszenieren sich HGich.T als ein Haufen grenzdebiler Dilettanten, die aus Freude an Trance und Techno in bunten Kostümen vor der Kamera herumzappeln. Die Regieeinfälle sind jedoch zu konsequent seltsam und das Gesamtkonzept zu durchdacht, um als bloßer Freizeitquatsch durchzugehen.

HGich.T besteht aus Absolventen der Hamburger Hochschule für bildende Künste, Mathematikern, Physikern oder Buchautorinnen. Was in ihren Videos wie pure Regression wirkt, kann durchaus als Kommentar zur in letzter Zeit gern beklagten Infantilisierung der Gesellschaft verstanden werden. Sieht man HGich.T allerdings auf der Bühne, verlieren derartige theoretische Fragen schnell an Bedeutung - die Auftritte des Kollektivs sind ein großer, irrsinniger Spaß.

"Wir wollen niemandem was Böses"

"Ich würde jetzt nicht sagen, dass es tausend verschiedene Ebenen sind, aber zwei Ebenen sind es auf jeden Fall, auf denen du HGich.T begegnen kannst", sagt Karla Knyh, die bei Auftritten das Tabir, eine dem Tamburin ähnliche Trommel, spielt: Ein Teil des Publikums feiere eine Party. Ein anderer Teil mache sich Gedanken. "Aber die sehen immer ein bisschen traurig aus. Vielleicht, weil sie nicht so recht wissen, wie sie dem Ganzen begegnen sollen, damit sie hinterher nicht der Dumme sind. Aber wir wollen ja niemandem was Böses."

Das Spaß-Verständnis von HGich.T lässt sich dennoch nicht auf besinnungsloses Feiern beschränken: "Es ist kein richtig harmloser Spaß wie Zuckerwatte essen oder Karussell fahren", so Karla Knyh. Statt von Spaß spricht sie denn auch lieber von Entertainment: "Das kann ruhig mal wehtun. Es gibt viele Dinge, die als Entertainment verstanden werden, die sind nicht das, was landläufig unter 'witzig', 'spaßig' oder 'lustig' laufen würde."

Nur vordergründig kindertauglich ist denn auch der HGich.T-Song "Diddel der Mäusedetektiv", trotz der leicht veränderten Orthografie offensichtlich eine Anspielung auf eine populäre Plüschfigur. Hier kann man mitverfolgen, wie der Held der Geschichte ein entführtes Flugzeug ausfindig macht, die Insassen befreit und schließlich seinen Ermittlungserfolg feiert: "Diddel kauft sich zur Belohnung/ein großes Eis/Erdbeer, Schoko und Vanille/Diddel lässt sich's schmecken". Ein Test, bei dem der Song Kindern im Grundschulalter vorgespielt wurde, rief jedoch bloß höfliches Befremden als Reaktion hervor.

Eine Art Zungenmassage

Warum sich HGich.T gerade jetzt die Diddl-Maus vorknöpfen, kann Karla Knyh nicht so recht erklären: "Auch die Diddl-Maus war, ähnlich wie Dietrich Kuhlbrodt, plötzlich eines Tages da."

Dass ein schräger Blick auch bei einem schwierigen Thema wie Satanismus hilfreich sein kann, wird bei ihrem Video "In der Sekte wird gebumst" deutlich. Darin zelebriert die Gruppe in schwarzer Kleidung und mit schwarzweißer Gesichtsbemalung im Stile einer Black-Metal-Band ein sinnfreies Ritual im Schnee. Scheinbar geht es um finstere Dinge. Wären nicht die unpassenden Details: "Da ist meine Lieblingsszene aus allen HGich.T-Videos drin", schwärmt Karla Knyh. "Und zwar an der Stelle, wo die schöne Maike aus einer Pfütze und ein bisschen Schnee einen Caffè latte bastelt. Es sieht einfach so täuschend echt aus."

Im Abspann des Videos taucht unter den Mitwirkenden übrigens ein gewisser Johnny Meese auf. Tatsächlich sieht man in einigen Szenen einen Mann seine langen braunen Haare schütteln, der Ähnlichkeit mit dem Künstler Jonathan Meese hat - auch er ein ehemaliger Student der Hamburger Kunsthochschule. Karla Knyh möchte sich dazu nicht eindeutig äußern: "Meinst du wirklich, der würde da irgendwo auf einem verschneiten Feld stehen? Der Mann, der hat Geld, der kann sich ein Haus mit Heizung leisten. Aber das ist weder ein Ja noch ein Nein."


HGich.T: "Lecko Grande" (Tapete/Indigo)

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