Legendäre Klassik Genie zum Schleuderpreis

Es muss nicht immer taufrisch sein. Zahlreiche Top-Aufnahmen des klassischen Repertoires entstanden vor vielen Jahren. Doch sie klingen immer noch grandios. Der Vorteil: Die meisten gibt zu einem niedrigen Preis – selbst epochale Einspielungen.

Was für ein Angebot: Jedes Jahr starten in der umkämpften Sektion Klassik neue Musikerkarrieren, oft von den verbliebenen Plattenfirmen mehr oder minder professionell unterstützt. Gut aussehende, brillant fotografierte junge Pianisten, wunderschöne Geigerinnen, temperamentvolle Dirigenten streiten um den Erfolg bei einem inzwischen wieder wachsendem, klassisch interessierten Publikum.

Dennoch ist das Geschäft über die Jahre härter geworden: Die Newcomer müssen sich stets mit dem besten messen, das bereits sorgfältig dokumentiert und ausgestattet in den Regalen des Handels liegt.

Fluch der Mediengesellschaft, Stichwort Backkatalog: Das Perfekte ist stets omnipräsent und leicht verfügbar. Leicht heißt auch: preiswert. Wobei einst große Namen dennoch oft in Vergessenheit geraten.

Der seinerzeit hochgeschätzte, bereits 1976 verstorbene Dirigent Rudolf Kempe, wohl einer der besten Richard-Strauß-Interpreten, hat einige der schönsten und berührendsten Aufnahmen von Werken der Romantik und Klassik abgeliefert.

Der 1910 nahe Dresden geborene Kempe begann als Orchestermusiker (Oboist) und dirigierte seit 1935 in London, Zürich, Dresden und immer wieder in München. Schallplattenaufnahmen von ihm gibt es noch reichlich, etliche aber nur als Importe, und vieles ist nach seinem Tode erschienen.

Manches davon ist überwältigend, wie seine Referenzklassen-Version von Strauß' Tondichtung "Don Juan", die er 1970 mit der Staatskapelle Dresden einspielte. Perfekte Klangdichte, größte rhythmische Spannung und glühend sinnliche Streicher: Besser, werkgetreuer kann man diesen Strauß-Rausch kaum darbieten.

Den anschließenden, populären "Till Eulenspiegel" sowie die "Metamorphosen" für Streicher gelingen ihm hier ebenfalls maßgeblich. Für die Walzerfolge aus dem "Rosenkavalier" schrieb Kempe sogar selbst das Arrangement.

Diesen kompakten musikalischen Glücksfall gibt es immer noch als CD (EMI), meist für ganze zehn Euro oder weniger: Genie zum Schleuderpreis. Nun stand Kempe zwar mit der Sächsischen Staatskapelle eines der kompetentesten Strauß-Orchester zur Verfügung, doch der Pult-Grande konnte "es" auch andernorts, wo der Glanz noch nicht ganz so hell strahlte.

1967 hatte er den Chefposten bei den Münchner Philharmonikern übernommen, einem damals achtbaren Orchester, das unter Kempe dann förmlich aufblühte. Wäre er nicht mit knapp 66 Jahren mitten in der Münchner Arbeit gestorben, er hätte das Orchester zu Weltgeltung trainiert.

Den fabelhaften Kempe konnte man in seinen Münchner Jahren noch mit dem "Don Juan" und Ravels "Bolero" erleben, bei Proben und im Konzert. Da wurde deutlich, wie intensiv das Orchester seinem Meister folgte und sich von ihm mitreißen ließ.

Beim "Bolero" stand Kempe auf den Zehenspitzen, tanzte den hypnotisch stereotypen Rhythmus und erzeugte mit seiner Präsenz einen Sog, wie der "Bolero" in braucht (musikalisch passiert ja nicht viel). Kempes noble Aura, sein distinguiertes Wesen kontrastierte wunderbar mit erotischen Musik Ravels: Kontrolle über die Ekstase – das konnte er wie wenige andere.


CD Rudolf Kempe, Staatskapelle Dresden: "Don Juan & Till Eulenspiegel" (EMI).

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