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Zum Tod von Leonard Cohen Der ewige Gentleman

Leonard Cohen begann seine Karriere als Folkmusiker im Anzug, zwischendurch war er denkbar uncool, doch im Alter schuf er ein dunkelglänzendes Spätwerk - und wurde zu seiner Überraschung richtig populär.

Er hat es natürlich gewusst. Und er hat es auch gesagt. Weil große Dichter große Wahrheiten aussprechen müssen, wenn sie sie spüren. "Lord, I'm ready", singt, nein: spricht Leonard Cohen auf seinem letzten Album, das schon als Vermächtnis angelegt ist. In diesem Sommer schrieb er seiner alte Muse Marianne Ihlen ("So Long, Marianne") eine Mail, die ihr noch am Sterbebett vorgelesen wurde: "Nun ist es schon so weit, dass unsere Körper auseinanderfallen. Und ich denke, ich werde dir bald folgen. Wisse, dass ich so dicht hinter dir bin, dass du meine Hand berühren kannst, wenn du deine Hand ausstreckst."

Mit Rock hatte Cohen nie etwas am Hut, in die Welt des Pop geriet er in den Achtzigerjahren eher aus Versehen (hier eine Auswahl seiner wichtigsten Songs). Tatsächlich bewohnte er seit den Sechzigerjahren das höchste Plateau des Folk - gleichberechtigt neben den beiden anderen großen jüdischen Songwritern des Jahrhunderts, Bob Dylan und Paul Simon. Musikalisch wird er selten im gleichen Atemzug genannt, als Persönlichkeit aber überstrahlte er beide.

"Ich bin in einem Anzug geboren"

Geboren wird er am 21. September 1934 in Montreal, wohin seine Eltern aus Litauen emigriert waren. Seine Mutter, Masha, war die Tochter eines berühmten Rabbis und führt ihren Sohn an Klavier und Klarinette heran. Es ist das Vermögen des früh verstorbenen Vaters, Nathan, das Cohen von allen finanziellen Sorgen weitgehend entbindet. In seiner Jugend erscheint er wie eine Figur aus dem Werk von Marcel Proust. Ein kleiner Prinz, der das Kindermädchen mit Hypnose fügsam machen möchte. Und ein Träumer von 13 Jahren, der die Gedichte von Federico Garcia Lorca auswendig lernt.

In einem Brief an einen möglichen Verleger skizziert der junge Dichter sein mögliches Publikum, erfindet es sich selbst, all die "introvertierten Jugendlichen, Liebhaber in allen Stadien der Pein, enttäuschte Platoniker, Konsumenten von Pornografie, Mönche und Papsttreue, franko-kanadische Intellektuelle, unveröffentlichte Schriftsteller, neugierige Musiker".

Jahrzehnte später erzählte er bei der Verleihung des Prinz-von-Asturien-Preises, wie er zur Gitarre kam. Ein vagabundierender spanischer Musiker brachte ihm in Montreal ein paar Griffe bei, bevor er sich erhängte. Und mehr als diese paar Griffe, so Cohen, beherrsche er heute noch nicht. Sie genügten.

Zwar war er mit seinen ersten gefeierten Gedichtbänden ("Let Us Compare Mythologies", 1956) zu jung, um noch als Beat-Poet gelten zu können. Auf Künstlerpartys schlug er ein paar Akkorde zu seinen Gedichten - darunter auch, wie nebenbei, mit "One Of Us Cannot Be Wrong", das vielleicht ergreifendste Liebeslied aller Zeiten.

Die Folksängerin Judy Collins interpretierte bald darauf Cohens "Suzanne". Collins war es auch, die Cohen am 30. April 1966 zu seinem ersten Gig auf die Bühne schieben musste. Es war ein Konzert gegen den Vietnamkrieg. Die Musik passt zur Hippie-Bewegung, der Typ in seinen eleganten Anzügen eher nicht. Dafür war er schon zu alt. "Darling", informierte er später seine Biografin Sylvie Simmons: "Ich bin in einem Anzug geboren."

Als antizyklische Erscheinung folgt Cohen weiter seinem eigenen Stern. Er kauft ein Haus auf der griechischen Insel Hydra, wo er die norwegische Touristin Marianne kennenlernt. Er veröffentlicht weiter Platten und pflegt flamboyante Affären, von Joni Mitchell bis Janis Joplin. Dass er sein Techtelmechtel mit Joplin im expliziten "Chelsea Hotel#2" besingt und öffentlich macht, diese Indiskretion wird der Gentleman bis zuletzt bedauern.

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Leonard Cohens Leben: We kill the flame

Foto: © Valentin Flauraud / Reuters/ REUTERS

Vom Strudel gepackt

Sieben Jahre nachdem er gegen den Vietnamkrieg auf der Bühne stand, zieht es den Dichter unversehens selbst an die Front. Während John Lennon träumt, da wäre "nothing to kill or die for", gibt Cohen als ambulanter Truppenbetreuer während des kompletten Jom-Kippur-Kriegs 1973 bis zu acht Konzerte täglich, teilweise sogar während der Gefechte. Er wird später nicht viel Aufhebens darum machen und seine Rolle im Song "Field Commander Cohen" sogar ironisieren. Trotzdem habe er "als Jude den Juden" helfen wollen, ein historisches Foto zeigt ihn im offenen Hemd unter israelischen Soldaten, gleich neben Ariel Sharon.

Künstlerisch findet er auch in den Siebzigerjahren keinen Platz, er wählt zwischen den beiden Polen jener Ära, dem radikal Ausufernden und dem radikal Reduzierten, den tödlichen Mittelweg - und gerät zuletzt auch noch an die Produzentenlegende Phil Spector, der ihm mit seiner berüchtigten "Wall of Sound" aus Bläsern und Chören nicht nur das Album "Death Of A Ladies Man" ruiniert. Cohen säuft, qualmt Kette, trinkt "ganze Swimmingpools" von Whisky, raucht Opium, nimmt Mandrax und schnupft Amphetamine. Ihn hat der Strudel gepackt, da kommt nichts mehr.

Als er sich 1984 dann doch mit "Various Positions" zurückmeldet, wird das Album zunächst nicht einmal in den USA veröffentlicht. Die Plattenfirma hat den Glauben an den abgehalfterten Barden verloren. Tatsächlich ist es eine Zeit, in der Cohen denkbar uncool ist. Wer einst bei Teelichtern und Duftkerzen seiner dunklen Empfindsamkeit erlegen war, nahm ihm diese Empfindsamkeit nun übel.

Dunkelglänzendes Spätwerk

Wider Erwarten erlebte Cohen, der seinen Sound behutsam den Achtzigerjahren anpasste, mit Songs wie "Hallelujah" oder "First We Take Manhattan" (mit Jennifer Warnes) seinen zweiten oder dritten Frühling (Sehen Sie hier eine Auswahl von berühmten "Hallelujah"-Cover-Versionen). Inhaltlich bleibt er seinen gewichtigen Themen treu, singt mit Grabesstimme über Lust, Liebe und den Tod. Nachdem ihm 1992 mit "The Future" ein Werk von prophetischer Düsternis gelingt und auch die Kritiker wieder hinhören, verschwindet er.

Noch im hohen Alter ganz der Alte

Noch im hohen Alter ganz der Alte

Foto: AARON HARRIS/ ASSOCIATED PRESS

Als einfacher Mönch verbringt er die folgenden Jahre in einem buddhistischen Kloster bei Los Angeles. Er entzieht sich einer Welt, in der seine Kunst immer wichtiger, in der er selbst immer schmerzlicher vermisst wird. Das Ende der Entrückung kommt abrupt, als Cohen 2004 erkennen muss, dass eine Managerin ihn betrogen hat. Sein Bankrott kümmert ihn wenig, Steuernachforderungen aber bedrohen ihn existenziell.

Und so steigt er von seinem Berg herab wie ein freundlicher Zarathustra, um zunächst ein paar Konzerte zu geben und dann, von Triumph zu Triumph eilend und von der eigenen Popularität überrascht, sein dunkelglänzendes Spätwerk in Angriff zu nehmen. Noch im hohen Alter ist Cohen ganz der Alte im Anzug, Auge in Auge mit den letzten Dingen und in der Lage, davon mit einer Nonchalance zu erzählen, wie nur Erleuchtete sie aufbringen.

Und dann, bei einer Pressekonferenz zur Veröffentlichung von "You Want It Darker" vor einem Monat, hat er alles wieder zurückgenommen. Da sagte er, auf seinen Stock gestützt und leise in die Runde lächelnd wie ein gütiger Großvater, der die berechtigten Sorgen seiner Kindern und Enkelkinder mit gewohntem Witz zerstreut: "Da habe ich wohl übertrieben. Ich neigte schon immer zur Selbstinszenierung. Meine Absicht ist es, ewig zu leben."

Das wird er.

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