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Lily Allen in Hamburg: Sheezus Christus

Foto: Isa Reynold

Lily Allen in Hamburg Perfekt unperfekt

Süßliche Balladen treffen Wutchor mit ausgestrecktem Mittelfinger: Bei ihrem einzigen Deutschland-Konzert gibt sich Lily Allen hübsch chaotisch - und zeigt gerade damit, warum sie so ein toller Pop-Star ist.

Es ist ein mutiger Auftritt, das muss man ihr lassen: Um kurz nach neun betritt Lily Allen die Bühne des Mojo Clubs an der Hamburger Reeperbahn in einer Art schwarzem Catsuit und singt "Sheezus", den Titelsong von ihrem neuen Album, in dem es darum geht, dass sie nach ein paar Jahren Pause nicht einfach so weitermachen könne wie früher. Immerhin gelte es ja für die englische Sängerin, sich zwischen Rihanna und Katy Perry, zwischen Beyoncé und Lady Gaga zu behaupten.

Doch wo die vorgenannten Kolleginnen den ähnlich freizügigen Teil ihrer Bühnengarderobe mehr oder minder nonchalant tragen, will Lily Allen damit einerseits offenbar ein Statement abgeben: Ja, ich nehme den Kampf auf, ich sehe mich auf Augenhöhe mit der internationalen Konkurrenz, nach der Babypause. Und andererseits bringt offenbar ein allzu lüstern zoomender Fotograf die Britin kurz aus der Fassung: Sie schimpft kurz, verlässt die Bühne, die Fotografen gehen ab, und Lily Allen kommt wieder, nun in der Sorte Ballkleid in Apricot-Farbton, in dem sie sich dann doch wohler zu fühlen scheint.

Dass Lily Allen noch ein wenig auf der Suche nach ihrem Platz ist in der Popwelt des Jahres 2014, das ist nicht nur Songthema, sondern prägte auch die bisherige Kampagne für ihr drittes Album. Einem Twitter-Lästerer, der eine allzu leichte Vorabsingle wie "Air Balloon" als "zahmen Pop-Schrott" bezeichnete, gab Allen einfach recht  und verwies auf vermeintliche Radio-Airplay-Sachzwänge. "Mein Vertrag läuft über drei Alben, und solange muss ich das Spiel der Plattenfirma mitspielen", sagte sie im aktuellen KulturSPIEGEL-Interview.

Allzu verstörende Klänge sind bei der Live-Präsentation von "Sheezus" allerdings auch abseits der Singles nicht zu hören: Es ist ein äußerst solide von vier Musikern gespielter Popsound mit kleinen Anwandlungen an Country ("As Long as I Got You"), Township Jive ("Life for Me") oder Dubstep (in einer schönen Neufassung des alten Hits "Smile").

Sexy - zumindest beim Schreiben

Mehr Interaktion als mit den Musikern zeigt Lily Allen allerdings mit vier Tänzerinnen, die für einige Songs auf die Bühne kommen. Sie sind schwarzer und weißer Hautfarbe, was irrelevant wäre, hätte es da nicht diese Diskussionen um das Video zu Allens Single "Hard out Here" gegeben, einem Plädoyer gegen Sexismus, dem Rassismus vorgeworfen wurde, weil im Clip hauptsächlich schwarze Frauen die parodierten herabwürdigenden Rollen spielten. Eine Ansicht, der Lily Allen allerdings sehr leidenschaftlich widersprach .

Beim Hamburger Konzert, dem einzigen in Deutschland vor einer Tournee durch größere Hallen im November, vertrat Allen ihre pop-feministischen Positionen nur in der Ansage zu dem älteren Song "Fuck You", der im Publikum einen schönen Wutchor mit ausgestreckten Mittelfingern auslöste. Das ist der etwas rauere Charme, der die Londonerin aus dem Pulk der Pop-Diven heraushebt - aber zugleich ihre Showbiz-Verträglichkeit etwas einschränkt.

Mit genau diesen Widersprüchen spielt Lily Allen ganz besonders gerne. Da kündigt sie ein Lied als sexy an - Kunstpause -, "zumindest fand ich es sexy, als ich es geschrieben habe. Wie man es beim Hören findet, ist ja noch mal was anderes." Oder sie zupft im Zugabenblock ständig an dem anscheinend schlechtsitzenden Kleid herum, entschuldigt sich dafür - "Meine Güte, bin ich wieder unprofessionell!" - und singt dann, super-glatt, super-professionell, die Klavierballade "Somewhere only we Know", eine Coverversion der Weichspül-Indieband Keane, mit der zu Weihnachten ein britisches Kaufhaus warb.

So besetzt Lily Allen eine Marktlücke als die Popsängerin, die zwar mit den großen Gesten, dem sexy Styling, den R&B-Hymnen kokettiert, aber für Anglophile und Ironiker zugänglich bleibt. Sie ist die, die ihre Kostümwechsel mit einem "Bis gleich!" ankündigt. Sie ist die, die auf der Bühne E-Zigarette dampft (und dann doch noch richtig raucht). Sie ist die, die ihre Texte mal absichtsvoll verstolpert und dann wieder einfachste Kehrreime nutzt. Selbstbewusst und souverän gibt sie die Unperfekte - und wird uns gerade deshalb noch lange beschäftigen.

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