
Madonna: Madame Leerstelle
Madonna-Niedergang Liebe Kinder, es war einmal eine Pop-Königin...
Es war einmal eine Pop-Königin, die lange unangefochten über ihr Reich herrschte. Wenn sie sich ihrem Volk zeigte, gab es stets Erstaunen: Die Königin hatte sich etwas Neues angezogen, hatte sich anders geschmückt. Einmal kam sie sogar nackt. Berichterstatter lobten ihre Idiosynkrasie, ihre Radikalität, sie schrieben nach jeder Audienz: Die Königin hat sich schon wieder neu erfunden! Über ihren Gesang wurde nicht so viel geschrieben, der taugte nie viel. Aber sie war eben Königin, und es war egal, ob sie singen konnte. Das Volk überhäufte sie mit Gold und Liebe.
So ging es lange, lange Jahre. Doch dann begann eine Revolution im Pop-Reich: Junge Frauen, die sich von ihrer Königin vieles abgeguckt hatten und sich von ihr inspiriert oder provoziert fühlten, gründeten eigene Herzogtümer. Einige von ihnen konnten sogar besser singen als die Königin! So wurden sie beliebter und mächtiger - und vor allem das jüngere Volk fing an, die Königin zu vergessen. Aber auch die Älteren wurden ihrer Mühen, interessant zu bleiben, immer müder. Sogar die Hofpresse begann zu spotten. Ein Gastauftritt bei einem großen Völkerfest der Popmusik, für den sie sich gut gerüstet geglaubt hatte, geriet gar zum Debakel. Man lachte sie aus, man rüttelte an ihrem Thron. Man machte sie klein.
Wäre die Geschichte von Madonna ein Märchen, man könnte es so erzählen. Die als "Queen of Pop" gefeierte Sängerin bringt Ende kommender Woche ihr 14. Album "Madame X" heraus, die erste Veröffentlichung der 60-Jährigen mit neuer Musik seit 2015. Natürlich ist das immer noch ein Ereignis. Die Frage ist nur: Wie lange noch?

Madonna: Madame Leerstelle
Früher waren Madonnas Comeback-Inszenierungen fast immer makellos, ob als Sex-Vamp zu "Erotica"-Zeiten, als Kabbala-Mystikerin zu "Ray Of Light" oder Cowgirl-Emanze zu "Music". Ihre Neuerfindung als verruchte Fado-Geheimagentin "Madame X" jedoch lief aus dem Ruder: Die Bilder ihres als missglückt bis peinlich empfundenen Auftritts beim Eurovision Song Contest kontrastieren hart mit dem Image der SM-Latina mit sinistrer Augenklappe, die sie im Videoclip zur ersten Single "Medellín" gab. Plötzlich war die Königin nicht nackt, das wäre ja nichts Neues, sondern entblößt: als Pop-Leistungsträgerin, die mit den Anforderungen von Branche und Publikum nicht mehr Schritt halten kann. Und dieser traurige Eindruck verstetigt sich leider auch beim Hören ihres neuen Albums.
Irre? Und wie
Zumindest eine Überraschung hat Madonna parat. Die Plattenfirma nennt es spitzzüngig "das moderne Stück", es heißt "Dark Ballet" und lässt erahnen, wie viel Resilienz noch in der Sängerin stecken könnte. Der Song beginnt spannungsvoll mit einem basslastigen R&B-Sound, der Bond-Film-Bombast verheißt. Madonna raunt darüber mit sinnlicher Stimme Kryptisches: "It's a beautiful life, but I'm not concerned", "Pain" reimt sich auf "Shame" und auf "Fame", die drei Grundpfeiler der Madonna-Lyrik, wenn man so will - sie war ja mal Katholikin.
So weit, so normal, doch dann bricht das Stück in ein überbordend schnelles Piano-Arpeggio aus, gefolgt von einem unfreiwillig komischen Humpty-Dumpty-Part, den man am besten als Kirmesmusik bezeichnen könnte, wenn es hier nicht um Ballett ginge, eigentlich. Madonna gibt zu dieser seltsamen, schwirrenden "Zauberer von Oz"-Musik die wicked witch und erzählt schwer atmend von einem Sturm, der nicht nur in der Luft liege, sondern in uns allen wüte. Und am Ende pustet dieser Sturm dann auch tatsächlich den Hörer aus diesem eigenartigen Song heraus wie der böse Wolf die drei kleinen Schweinchen. Huffin' and puffin'.
Irre? Und wie. Aber irgendwie auch cool. Oder übergeschnappt, wie Madonna selbst in auffällig vielen weiteren Songs zugibt: "People think that I'm insane" rappt sie in "God Control" und ermahnt ihr Publikum zu heiligen "Like A Prayer"-Chören, aufzuwachen. Aber woraus? Aus dem Irrglauben, hier könnten sich apokalyptische Textzeilen zu einem tieferen Sinn verdichten?
"Bitch, I'm Loca" giftet sie im gleichnamigen Stück mit Reggaeton-Star Maluma, das sich ebenso schamlos wie zuvor "Medellín" dem aktuellen Tropical/Latin-Trend in den Charts anbiedert. Wobei man fairerweise sagen muss, dass Madonna tatsächlich auch Latin-Sound-Pionierin ist, man denke an "La Isla Bonita" und "Evita".
Souverän nur im Selbstzitat
Aber die Zeiten, in denen Madonna musikalische Untergrund- oder Szenetrends mit ihrer Pop-Allmacht in den Mainstream katapultierte, sind vorbei. Jeder Mikrotrend, jede Nische ist dank Internet und demokratisierter Mediennutzung sofort voll ausgeleuchtet, es braucht keine Superstars wie Madonna mehr, die als weltmusikalische Empfänger und Verstärker fungieren. Wenn Madonna sich also auf einigen Stücken von "Madame X" einen kurios vernuschelten Trap-Rap-Singsang mit Autotune-Effekt aneignet, wie es im aktuellen afroamerikanischen Pop gerade üblich ist, dann entlarvt sich diese altgediente Methode des kulturellen Samplings als anmaßend und überholt, wenn nicht gar lächerlich.
Schon die Madonna-Alben der vergangenen 15 Jahre, von "American Life" bis "Rebel Heart", wirkten zunehmend bemüht, aber noch nicht so verzweifelt disparat wie jetzt: Das Latin-Setting passt nicht zu den afrikanischen Chants und "Hallelujah"-Chören von "Batuka", die altmodischen Disco-Streicher und Talkbox-Effekte von "God Control" nicht zum überbetont jugendlichen R&B-Pop von "Crazy", die Milf-Anzüglichkeiten von "Bitch, I'm Loca" ("You can put it inside") nicht zu den gesellschaftspolitischen Anwandlungen von "Killers Who Are Partying". "I'll be Africa/ If Africa ist shot down", singt Madonna darin, "I'll be poor/ If the poor are humiliated" oder "I'll be Israel/ If they are incarcerated". Was soll es bedeuten? Vielleicht nicht viel mehr als das banale "Wild is the world", das im Refrain auf Spanisch gesungen wird, damit es mondäner klingt. Souverän wirkt Madonna 2019 nur noch im Selbstzitat, im nostalgischen "Vogue"-House von "I Don't Search I Find".
"I know what I am/ And I know what I'm not", singt Madonna an einer Stelle immer wieder. Das klingt wie die Anerkennung ihres beinahe tragischen Dilemmas: Wer soll "Madame X" eigentlich kaufen? Die Millennials, die Beyoncé, Rihanna oder Ariana Grande lieben und die deren Wegbereiterin Madonna nur aus den Erzählungen ihrer Eltern kennen?
Aber auch ihren alten Fans wird sie kein X für ein U vormachen können: Sie würden inzwischen vermutlich eher das stille Singer/Songwriter-Album bevorzugen. Aber Madonnas Spiel war nie das Authentische, sondern immer die artifizielle Zeichenverblendung. Sie kann nichts anderes. Sie kann sich nicht auf ein Musikhandwerk oder den Blues besinnen, sie kann keinen Solo-Abend am Piano geben und kein Gospelkonzert in der Kirche. Ihre Techniken waren immer nur die kulturimperialistischen des westlichen Pop, ihr performatives Kapital war immer auch ihr Körper - beides wirkt nun erschöpft.
So tanzt Madonna vor den Trümmern ihres Throns einsam ihr düsteres Ballett. Und die jungen Fürstinnen feiern in den früheren Kolonien. Für sie hat dieses Märchen ein Happy End. Für die Königin? Wer weiß.