Mafia-Biograf Sbano "Was ich mache, ist saugefährlich"

Auftragsmorde, Tarngeschäfte, Drogenhandel: In der Mafiosi-Autobiografie "Die Ehre des Schweigens" packt der Boss Giuliano Belfiore über die Methoden seiner Organisation aus. Sein Ghostwriter Francesco Sbano berichtet im Interview über deutsche Mafia-Geschäfte und sein ganz persönliches Risiko.
Autor Francesco Sbano: Keine Namen, keine Orte

Autor Francesco Sbano: Keine Namen, keine Orte

Foto: Mazza Films

SPIEGEL ONLINE: Herr Sbano, seit der Jahrtausendwende geben Sie CDs mit der Musik der kalabresischen Mafia, der 'Ndrangheta, heraus. Anti-Mafia-Aktivisten werfen Ihnen vor, dass Sie damit eine Verbrecherorganisation zum Kulturgut erklären.

Sbano: Das ist Quatsch. Natürlich, es sind verklärende Lieder. Die Musik schockiert, weil sie so authentisch ist - und deshalb ist sie auch gefährlich. Ich weiß von Fällen, bei denen sich junge Mafiosi vor einem Mord damit aufgeputscht haben. Aber ich habe sie publiziert, um eine Diskussion über die 'Ndrangheta anzuregen. Und das ist ja auch gelungen.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie den Mafiaboss kennengelernt, der Ihnen unter dem Decknamen Giovanni Belfiore seine Lebensgeschichte erzählt hat?

Sbano: Er hat mir angeboten, über sein Leben zu schreiben. Das war vor etwa zehn Jahren, ich hatte schon einige Reportagen über die 'Ndhrangeta mitproduziert, man kannte mich also.

SPIEGEL ONLINE: Belfiore hat Dutzende von Auftragsmorden auf dem Gewissen. Sie geben ihm in Ihrem Buch Gelegenheit, sich als mutig, beherzt, clever und weitsichtig darzustellen - als guter Liebhaber, treusorgender Vater, als Gourmet und Patriot.

Sbano: Nun, er ist stolz und eitel, und es gefällt ihm, sein Leben in einem Buch geschildert zu sehen. Er hält sich eben für nicht weniger interessant als ein berühmter Politiker oder Industrieller, der von seinem Leben berichtet.

SPIEGEL ONLINE: In der 'Ndrangheta gilt das Gesetz der "falschen Politik", wie Sie selbst schreiben. Die Mafia-Mitglieder sollen die Öffentlichkeit und die Ermittler auf falsche Fährten lenken. Ist Ihr Buch nicht einfach ein Teil dieser Desinformationsstrategie?

Sbano: Wir hatten die Abmachung, dass ich das Projekt abbreche, wenn er mich in die Irre führt. Ich habe viel recherchiert - und was dort steht, hat sich bestätigt oder könnte zumindest stattgefunden haben. Es sind unglaubliche Geschichten dabei. Als mir Belfiore etwa seine Version des Mordes an dem Richter Giovanni Falcone im Mai 1992 erzählt hat, habe ich gedacht: Jetzt fängt er an zu spinnen!

SPIEGEL ONLINE: Ein italienischer Wirtschaftsberater Michail Gorbatschows - Giancarlo Pallavicini - hat angeblich für die russische Oligarchie sowjetische Staatsgelder beiseitegeschafft - mit Hilfe italienischer Banken. Als die Richter Falcone und Borsellino dem auf die Spur kommen - so die Version in Ihrem Buch - seien sie von der sizilianischen Abteilung des Geheimdienstes SISDE ermordet worden. Klingt nach einem wilden Konstrukt, das die Mafia entlasten soll.

Sbano: Ich habe mich auch gefragt, wer das glauben soll. Aber mein Anwalt hat mir bestätigt, dass genau diese Version in Juristenkreisen Italiens kursiert - so wie es Belfiore geschildert hat.

SPIEGEL ONLINE: 'Weise ist der Mann, der wenig spricht' lautet eines der sieben Mafia-Gesetze, die Sie in dem Buch anführen. Verletzt Belfiore nicht massiv die Omertá, das Schweigegelübde, wenn er sich ein ganzes Buch lang über die Verbrechen, Rituale und Beziehungen der 'Ndrangheta ausbreitet?

Sbano: Ich halte mich bei meiner Recherche in Mafiakreisen streng an gewisse Grundregeln. Eine davon lautet: Nenne nie die Namen der Orte, zu denen man uns führt, und nicht die der Personen, mit denen wir sprechen. Und ich weiß auch, dass es Konsequenzen haben wird, wenn in einem Artikel der ein oder andere Name steht. Meine Kritiker glauben, es sei ungefährlich, was ich mache - in Wahrheit ist es saugefährlich.

"In Deutschland werden bald Mafia-Geschäfte auffliegen"

SPIEGEL ONLINE: Ist es nicht schädlich für Belfiores Geschäft, wenn er über Geldwäschemethoden in Deutschland oder beispielsweise die Bestechung des Zolls im Hamburger Hafen auspackt?

Sbano: Ach, die Ermittler in Deutschland wissen doch, dass das meiste Kokain über den Hamburger Hafen kommt, und dass die Spediteure den Zöllnern Geld zahlen, das von der 'Ndrangheta kommt. Wenn sie mal etwas finden, dann weil die Mafia nicht genug bezahlt hat. Oder weil es unglaubwürdig wird, wenn man lange Zeit nichts findet. Nehmen wir den Hafen von Gioia Tauro in Kalabrien: Über den importiert die 'Ndrangheta etwa eine Tonne Kokain pro Monat nach Europa. Im November 2010 ist dort mal eine Lieferung aufgeflogen. Die Mafiosi haben mir erzählt, wie der Zöllner das ihnen gegenüber gerechtfertigt hat: "Ich muss das jetzt machen, sonst bin ich meinen Posten los!"

SPIEGEL ONLINE: Für Kalabrien mag das vorstellbar sein - in einer Region, die massiv von der Mafia infiltriert ist. Aber dass in Deutschland nicht ein ehrgeiziger Staatsanwalt oder Ermittler die Korruption rund um den Kokainschmuggel aushebt, ist kaum vorstellbar.

Sbano: Es ist zu viel Geld im Spiel. Eine Tonne Kokain sind ungefähr 30 Millionen Euro - der Zoll bekommt davon ungefähr 35 Prozent und verteilt das Geld dann weiter. Natürlich gibt es immer mal Staatsanwälte, die Mafiosi festnehmen lassen - aber erfahrungsgemäß bleibt keiner der Bosse länger als fünf Jahre im Gefängnis.

SPIEGEL ONLINE: Belfiore macht sich in Ihrem Buch über sinnlose öffentliche Bauprojekte lustig. Die Mafia müsse Geld ausgeben, erklärt er, also müssten die Politiker Großprojekte beschließen. Auch das ist eine ziemlich gewagte Verschwörungstheorie - dass die Mafia-Milliarden letztlich mit Hilfe der öffentlichen Hand gewaschen werden.

Sbano: Auf den Konten der italienischen Telekom hat die Staatsanwaltschaft 20 Milliarden Euro der 'Ndrangheta gefunden. Und die ganze Autobahnstrecke von Salerno bis Reggio Calabria ist mit Mafia-Geldern finanziert worden. In Deutschland sind solche Geschäfte im großen Stil noch nicht aufgeflogen, aber das wird in naher Zukunft passieren.

SPIEGEL ONLINE: Er berichtet sehr detailliert von grausamen Morden und Bestrafungen. Hatten Sie den Eindruck, dass er sich mit seiner Härte brüstet?

Sbano: Nein, er hat das gemacht, weil es der Preis dafür war, in der Organisation aufzusteigen. Er versucht auch gar nicht, es zu rechtfertigen. Er hält die Mafia für eine verbrecherische Organisation, wie jeder Mafioso - alle sagen mir: Die Mafia ist böse.

SPIEGEL ONLINE: Aber die 'Ndranghetisti haben doch sehr klare Vorstellungen von Ehre und Moral. Sie sehen sich als Hüter eines gesellschaftlichen Zusammenhaltes, den der Staat Italien nicht bietet.

Sbano: Die 'Ndrangheta kommt aus der Bauerngesellschaft. Ein kalabrischer Bauer, der kein Mafioso ist, zählt fast nichts. Der steht am Rande der Gesellschaft. Nur durch die 'Ndrangheta kommen diese Menschen in eine gesellschaftliche Position.

"Die 'Ndrangheta sorgt für Ruhe"

SPIEGEL ONLINE: Sie wollen mit dem Buch auch "die inakzeptable soziale Lage" anprangern, in der sich Kalabrien befindet und werfen dem italienischen Staat vor, Kalabrien auszubeuten. Aber sind es nicht auch und vor allem die Mafiabosse, die die Region ausbeuten?

Sbano: Absolut. Die 'Ndrangheta ist die Organisation, die für Ruhe sorgt - weil sie mit Morden und Erpressungen alle einschüchtert. Es gibt keine sozialen Proteste, es geht in Kalabrien niemand auf den Platz und ruft: "Ich habe es satt!" Die einzigen Demonstrationen, die wir dort haben, sind die Anti-Mafia-Demos - weil Rom die liebt. In Kalabrien haben alle Schiss, dass man sie in die Nähe der 'Ndrangheta rückt - deshalb sagen dort alle Politiker von morgens bis abends, dass sie damit nichts zu tun haben. Du wirst keinen Kalabrier finden, der öffentlich zugibt, einen Mafioso zu kennen!

SPIEGEL ONLINE: Zum Ende des Buches erzählt Belfiore von seinem Vorschlag an die anderen Bosse, die kriminellen Machenschaften aufzugeben und legale Geschäfte zu machen, um so "den Wohlstand ganz Kalabriens" zu fördern. Ist das ernst gemeint?

Sbano: Er glaubt, die einzige Organisation, die Kalabrien helfen kann, ist die Mafia, weil sie der größte Arbeitgeber ist. Er will aus seiner Welt heraus - die Omertá, die Gewalt, die Morde. Sein Leben ist ja eine Tragödie, und er möchte dieser Tragödie entkommen.

SPIEGEL ONLINE: Aber eine Organisation, die Hunderte von Auftragsmorden zu verantworten hat, kann ja nicht einfach so zur legalen politischen Kraft werden. Die italienische Gesellschaft müsste das akzeptieren.

Sbano: Das ist eine moralische Aufgabe, in der Tat. Aber es gibt in Kalabrien Historiker und Politologen, die der Meinung sind, dass die Mafia verschwindet, wenn der italienische Staat damit aufhört, den Süden des Landes wie eine Kolonie zu behandeln. Die italienischen Politiker sind natürlich dagegen und warnen vor einem Mafia-Staat. Aber so wie es derzeit ist, kann es auch nicht weitergehen.

Das Interview führte Christoph Twickel
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten