Marc Anthony "Keine Fotos mit Sombrero"
Dass ihn keiner falsch verstehe, sagt Marc Anthony. Grundsätzlich sei es ja toll, dass nun so viele lateinamerikanische Künstler groß rauskämen und die ganze Welt beginnt, sich für unsere wunderbare Kultur zu interessieren. Aber, so der 31-jährige New Yorker mit puertorikanischen Eltern, "deshalb muss man mich noch lange nicht mit Sombrero ablichten wollen. Neulich kam ein Fotograf, der mich vor einer zwei Meter breiten Puerto-Rico-Flagge fotografieren wollte. Was soll denn das, ich bin doch nicht Rocky".
Und noch was muss er loswerden. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen Ricky, Jennifer Lopez und mir ist, dass wir Puertorikaner sind. Aber ist 'La Vida Loca' lateinamerikanisch? Ist 'If You Had My Love' lateinamerikanisch? Ist meine Single 'I Need To Know' lateinamerikanisch? Nein, Mann. Wir machen Pop. Pop mit lateinamerikanischen Einflüssen." So. Jetzt geht es ihm besser.
Tatsächlich unterscheidet sich sein Album "Marc Anthony" ganz erheblich von den Outputs der Kollegen wie Ricky Martin oder Enrique Iglesias. Marc Anthony, Sohn eines Krankenhaus-Kochs und Vater einer fünfjährigen Tochter, setzt weder auf das wilde Leben noch auf den schnellen Kick von der Tanzfläche, Marc mag Gefühle. Drüben vergleichen sie ihn auch schon mal mit Frank Sinatra, "was wohl an den hohen Wangenknochen liegen muss", wie er meint. Singen kann er wirklich phantastisch, der Mann, der sich vor seinem ersten englischsprachigen Album bereits das Prädikat "Salsa-König von New York" gesichert hat und unlängst zum dritten Mal den "Madison Square Garden" im Alleingang ausverkaufte.
Zu gut zwei Dritteln setzt sich "Marc Anthony" aus Balladen zusammen. Der Performer, der seit einer Hauptrolle in Paul Simons Broadway-Musical "The Capeman" weiß, was es heißt, von der Kritik geschlachtet zu werden, kokettiert vorzugsweise mit der Verletzlichkeit des Mannes als solchem. Deshalb bekommt er überdurchschnittlich viel Post von Jungs mit gebrochenem Herzen, die sich bei ihm ausheulen und ihn um Rat anfragen.
Bald ist Marc Anthony auch auf der Leinwand zu sehen: Im Martin-Scorcese-Film "Bringing out the Dead". Auch nicht übel, eine düstere Komödie oder ein heiteres Drama, ganz wie man will, mit Nicolas Cage in der Hauptrolle. Anthony spielt einen Obdachlosen namens Noel, Deutschlandstart ist im Mai.
Anthony kultiviert die weichen Werte. "Dieses 'Latin-Macho'-Ding geht mir furchtbar auf den Geist. Ich will erst gar nicht versuchen, diesem dummen Klischee zu entsprechen. Nur weil in unserer Kultur der Mann traditionell die Verantwortung für die Familie hat und alles tun wird, um den Stolz seiner Mutter, Schwestern und Töchter zu schützen, ist er noch lange kein gefühlskaltes Wesen. Wenn mein Vater heute mit seinen Freunden am Küchentisch sitzt, dann singen sie, umarmen sich und heulen sich die Augen aus... Okay, allerdings erst nach dem sechsten Bier."