
Zum Tod von Marie Fredriksson Diese saucoole Frau

Wenn man ehrlich ist, so richtig cool waren Roxette nicht. Damals, 1988, wurde "The Look" veröffentlicht, 1989 wurde die Single zum Hit. Wie Sänger Per Gessle da im Video das Kinn im Takt nach vorne schmiss, dass der Pony seiner antoupierten Frisur hochflog. Wie Marie Fredriksson den Kopf nach hinten legte, während sie Gitarre spielte. Überhaupt: Gitarrensolo! Und dann "Nanananana Nanananananana".
Wenn man jung ist, findet man Texte, die an Zeilen aus Kinderliedern erinnern, natürlich eher nicht so gut. Aber wenn man wiederum ehrlich ist: Viel mehr als Roxette ist ja gar nicht geblieben aus dieser Zeit, den Neunzigern. Dr. Alban tritt auf irgendwelchen Scheunenfesten auf, was mit Whigfield ist, weiß kein Mensch, Fools Garden haben mit ihrem "Lemon Tree" ungewollt an einer besonders abgelegenen Windung des Gehirns Wurzeln geschlagen - und Nirvana spielt ja in einer ganz anderen Liga. Klar, es gab noch die Cranberries und Alanis Morrisette. Da singt man noch mal ab und zu mit und denkt dabei an Steffen aus der 8b, der vor einen Baum gefahren ist, an Nele, die ein Café am Marktplatz aufgemacht hat. Oder an Ann-Kathrin, die heute mit einem 20 Jahre älteren Mann Pferde züchtet. Nur Roxette sind geblieben.
Mit dem Hören von "The Look" kommt auch dieses Gefühl zurück, das dieses Pop-Rockduo aus Schweden damals begleitete. Zwischen Gehen und Kommen. Weniger Sehnsucht, weniger Projektion, einfach nur ein Umspielen des Daseins, mitsamt den zugehörigen Empfindungen. Und davon gab es ja so viele.
Roxette waren immer zur Stelle, ganz egal, dass die Poster mit Gessle und Fredriksson in der "Bravo" nie so wirklich gut aussahen. Das lag natürlich eher an ihm als an ihr. Und an den Rocker-Outfits. Viel Leder. Blazer auch. Und dass man nicht so genau wusste, was dieses Schweden eigentlich sein soll. Nur, dass Saltkrokan da irgendwo sein musste. Die Poster wurden dann halt im Schrank aufgehängt - und die Lieder mindestens ironisch mitgeschmettert.
Aber die Musik klingt heute fast noch besser als früher. Denn sie ist unheimlich gut gealtert. Roxette waren eine Hitmaschine. Das "Nanananana" in "The Look", das Pfeifen in "Joyride", das Piano am Anfang von "Fading Like a Flower". Das dramatische "It Must Have Been Love" vom "Pretty Woman"-Soundtrack, als wir alle Julia Roberts sein wollten, die schöne Kleider und große Hüte geschenkt bekommt. Als wir noch wirklich gar keine Ahnung davon hatten, was da los ist, wenn die Liebe dann over ist. (Und auch nicht, was es heißt, Sexarbeiterin zu sein.)
Mann, was hatten wir gute Laune! "Hello, you fool, I love you!" Und wenn wir einmal schlecht drauf waren, weil Sarah mal wieder nicht ins Briefbuch zurückgeschrieben hatte, dann wurde eben "Listen To Your Heart" gebrunftet.
Alles, was an Roxette gut war, lag an dieser Frau. Diese saucoole Frau, mit dieser Liebe in der Stimme. Mit diesen aufgestellten, platinblonden Haaren, die es nicht verdienen, dass man Bürstenschnitt zu ihnen sagt. Mit diesen rausschauenden Kieferknochen, wenn sie den Mund weit zum Singen öffnete.
Diese sehr spezielle Frauenfigur, von der es so gar keine Zweite gab. Auch wenn Annie Lennox schon summte und Gianna Nannini schon tobte oder Mama Ina Deter hörte, war Marie Fredriksson doch viel greifbarer, weil weniger schrill. Androgyn, sexy, aber laut und oft auch leise. "Queen Of Rain": Ganz leicht. Nicht albern, nicht ernst, "Dressed for Success" eben.
Als Paar waren Marie Fredriksson und Per Gessle vollkommen unsexuell. Das war so herrlich befreiend. Auch, weil man ihn immer etwas doof fand. Ihm konnte man die Schuld geben, für die man ja in der Jugend immer jemanden brauchte. Und sie machte ihn erträglich, ihn und die Schuld.
Ohne Marie Fredriksson wäre die Frau von heute, die den Mann überhaupt erträglich macht, indem sie seine Art, sich viel zu ernst zu nehmen, gönnend überstrahlt, wohl gar nicht denkbar. Und wie sie da im Video zu "The Look" durch die Bruchbude spaziert! Auf dem Klo sitzend oder auf dem Bett stehend Gitarre spielt. Die Bühne: ihre. Das Studio: ihrs. Die Musik: ihre natürlich - "Crash! Boom! Bang!"
Das Roxette-Album mit diesem Titel erschien 1994, fünf Jahre nach dem Durchbruch mit "The Look" und "Listen To Your Heart", da waren sie immer noch erfolgreich. Zehn Alben haben sie als Roxette aufgenommen, 2016 das letzte. Mehr als 75 Millionen Tonträger haben die beiden verkauft. Ganz oben.
An Eskapaden oder Tratsch kann man sich in all dieser Zeit nicht erinnern. Nur an diese eine, komische Geschichte: Ohne einen US-amerikanischen Austauschstudenten hätten wir Marie Fredriksson nämlich vielleicht nie nicht kennen gelernt. 1984 nahm sie ihr erstes Album als Solokünstlerin auf. Sie sang auf Schwedisch und gründete nebenbei mit Gessle, einem alten Kumpel aus ihrer Punkband Strul, Roxette. Die beiden hatten zusammen ein paar Hits in ihrer Heimat. Aber es war jener US-Student, der das zweite Roxette-Album "Look Sharp!" mit nach Hause nahm und einem Radiosender gab. So gelangte das schwedische Duo in die Billboard-Charts und schließlich in die ganze Welt. Klar scheint heute, dass auch künftig noch viele Studenten ihre Musik weitergeben werden. Wenn auch auf einem anderen Medium und mit anderen Gefühlen.
2002 wurde bei Marie Fredriksson ein Hirntumor diagnostiziert. 2016 verkündete sie ihren Rückzug aus der Musik. Sie überlebte bis 2019. "But it's over now." Fredriksson starb im Alter von 61 Jahren an ihrer Krebserkrankung. Es bleiben unheimliche Hits, die diese wunderbare Stimme sang.
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Marie Fredriksson bei einem Roxette-Konzert in Australien 2012. Die Sängerin ist nach langer Krankheit im Alter von 61 Jahren gestorben.
Per Gessle und Marie Fredriksson bei einem Roxette-Auftritt in Südafrika 2011. Seit Abba war keine schwedische Band weltweit so bekannt.
Sowohl Gessle (mit der Gruppe Gyllene Tider) als auch Fredriksson (bei der Band MaMas Barn) hatten ein musikalisches Vorleben. Deswegen waren sie in Schweden auch vom Start 1986 an erfolgreich.
Doch der internationale Aufstieg von Roxette begann Ende der Achtzigerjahre - "The Look" war 1989 ein internationaler Nummer-eins-Hit.
Mit "Listen to Your Heart" legten sie direkt nach; der Song wurde 1989 ihr zweiter US-Nummer-eins-Hit. Und dann wurde ihre drei Jahre alte Ballade "It Must Have Been Love" im Soundtrack von "Pretty Woman" verwendet.
Roxette 1994, nachdem die erste Hälfte der Neunzigerjahre sie zu Superstars gemacht hatte. Songs wie "Joyride" oder "How Do You Do" kannte jeder MTV-Zuschauer.
2001 zogen sich Roxette in eine längere Pause zurück. Schon 2002 war bei Marie Fredriksson ein Hirntumor diagnostiziert worden. 2009 gab das Duo dann aber sein Comeback bekannt.
Mit dem Comebackalbum "Charm School" schafften es Roxette zumindest in Schweden und im deutschsprachigen Raum direkt wieder an die Spitze der Charts.
2016 rieten die behandelnden Ärzte Marie Fredriksson von weiteren Konzerten dringend ab. Eine geplante Tournee musste abgesagt werden.
Marie Fredriksson bei einem Konzert in der Londoner Wembley Arena 1991: Die Sängerin starb am 9. Dezember an den Folgen ihrer langjährigen Krebserkrankung.
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