Zum Tod von Meat Loaf Der Klops und die Hölle

Übergewichtig, hochemotional, stimmgewaltig: Mit dem Operettenrock der »Bat Out Of Hell«-Alben wurde Meat Loaf zum unwahrscheinlichsten Weltstar der Popgeschichte. Noch dramatischer als seine Musik war sein Leben.
Ein Nachruf von Andreas Borcholte
Musiker Meat Loaf (2010): »Wenn du mich verärgerst, wirst du es merken«

Musiker Meat Loaf (2010): »Wenn du mich verärgerst, wirst du es merken«

Foto: SERGIO DIONISIO / EPA

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Eine seiner besten Performances lieferte Meat Loaf erst spät in seiner Karriere. Aber nicht auf der großen Konzertbühne, wo er über Jahrzehnte hinweg Tausende begeisterte, sondern im Fernsehen, ausgerechnet in einer Show von Donald Trump.

Als Kandidat der US-Sendung »Celebrity Apprentice« sollte der damals 63-Jährige 2011 zusammen mit anderen Stars Kunstwerke malen, die später zu wohltätigen Zwecken versteigert werden sollten. Aber es kam zum Streit mit dem Schauspieler Gary Busey darüber, wer bestimmte Farben besorgt habe. Meat Loaf rastete aus , spektakulär und hochdramatisch: »Look into my eyes«, fauchte er den verdutzten Busey an, »I am the last person in the world you wanna fuck with. EVERRRRR«. Sein Gesicht war zu einer Fratze verzerrt, die an das vom Teufel besessene Kind im Hollywoodschocker »Der Exorzist« erinnerte; es hätte nur noch gefehlt, dass er grüne Galle spuckt.

Hochemotional, stimmgewaltig, ein heiß brodelnder Menschenvulkan, der jederzeit ausbrechen konnte, sei der Anlass auch noch so nichtig: Meat Loaf, 1947 als Marvin Lee Aday in Dallas, Texas geboren, war roh im besten Sinne des Wortes, »raw« wie eine offene Wunde; ein übergewichtiger Klops, der nach außen unbehauen wirkte, in Wahrheit aber innerlich ganz zart und verletzlich war.

Sein Leben lang musste er sich gegen heftigste Widerstände und Demütigungen behaupten, doch sein Talent als Sänger und Performer setze sich durch, vielleicht am Ende auch einfach sein Dickkopf. Der größte Kampf, den er in seiner Karriere bewältigen musste, sagte er einmal, sei es gewesen, von der Musikindustrie nicht ernst genommen zu werden. Man habe ihn behandelt wie einen Zirkusclown.

Herzblutender Teenager-Antiheld

Eine Rolle, ob freiwillig gewählt oder nicht, die ihn zu einem der erfolgreichsten – und unwahrscheinlichsten Rockstars der Geschichte machte. 1977 veröffentlichte er zusammen mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Songwriter Jim Steinman ein so hoffnungslos überblasenes, prätentiöses und operettenhaft komisches Album, über das sich Kritiker bis heute die Haare raufen.

Steinman wollte Wagner, Bruce Springsteens »Born To Run«-Pathos und den »Wall of Sound« von Phil Spector in ein Rockalbum verwandeln, basierend auf einer Musical-Version von Peter Pan, die er Mitte der Siebziger mit viel Doo-Wop-Nostalgie und Biker-Romantik im Sinn entworfen hatte. Im bis dato glücklosen Schauspieler und Sänger Meat Loaf, der damals als zombiehafter Elvis-Wiedergänger Eddie in der »Rocky Horror Picture Show« aufgetreten war und einige erfolglose Platten veröffentlicht hatte, fand er den perfekten Protagonisten, einen monströs scheinenden »Misfit«, der sich als herzblutender Teenager-Antiheld aus der Hölle erhebt.

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Meat Loaf - ein unvergleichliches Leben

Foto: Michael Ochs Archives / Getty Images

Seine Musik balanciere auf einem schmalen Grat zwischen »thrilling and silly« – spannend und albern, sagte Steinman einmal. Manierierte, luxuriös ausgedehnte, donnernde Songs wie »You Took The Words Right Out Of My Mouth« oder »Paradise By The Dashboard Light«, die zu Welthits wurden, nahmen den heroischen Retrogeist der kommenden Achtziger in einem Jahr vorweg, in dem das politisch verkaterte Jahrzehnt der Siebziger eigentlich im zynischen Nihilismus und Minimalismus angekommen war.

Ausgerechnet in dem Jahr, als Punk populär wurde, war »Bat Out Of Hell« das erfolgreichste Album in den USA. Mit über 40 Millionen verkauften Exemplaren wurde es zum Meilenstein der Musikhistorie – und Meat Loaf ein auf der Bühne schwitzendes, augenrollendes, theatralisch saftiges Gegenbild zu den ausgezehrten Punkrockern. 1993, nachdem sie sich im Streit getrennt und wieder versöhnt hatten, wiederholten Steinman und Meat Loaf ihren Millionenerfolg noch einmal mit »Bat Out Of Hell II: Back Into Hell«, auf dem sich auch die Ballade »I’d Do Anything For Love (But I Won’t Do That)« befand – Nummer eins in 28 Ländern.

Ein Leben wie ein »Fight Club«

Für ein bisschen Liebe hätte Marvin Lee Aday, der seinen Vornamen später in Michael ändern ließ, wohl wirklich fast alles getan. Sein Vater war ein alkoholsüchtiger, zu Hause gewalttätiger Polizist, der angeblich wenige Tage nach dessen Geburt über seinen Sohn gesagt habe, er sehe aus wie ein Stück rohes Fleisch: »Meat«. Der Name, ergänzt durch »Loaf«, also Hackbraten oder Fleischklops, blieb vor allem durch seine hänselnden Mitschüler hängen, auch weil Marvin Süßes in sich hineinstopfte gegen die Bitternis daheim.

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Schon zu Schulzeiten wog er bis zu 240 Pfund, wollte aber unbedingt Footballprofi werden. 19 Gehirnerschütterungen soll er in seinem Leben erlitten haben, die meisten davon auf dem Feld. Nachdem er beim Kugelstoßen eine sechs Kilo schwere Kugel aus nächster Nähe an den Kopf geballert bekommen hatte, entdeckte er sein Gesangstalent, das in besten Zeiten drei Oktaven umfasste. Aus Schmerz geboren, so geht die Legende.

1966 starb seine Mutter an Krebs, wenig später stürmte sein betrunkener Vater mit einem Messer in sein Schlafzimmer und versuchte, ihn umzubringen. Er brach seinem Vater die Nase und sich selbst drei Rippen – und entkam schließlich nach Los Angeles, wo er in Bands spielte und Schauspiel lernte.

Zu seinen signifikantesten Auftritten abseits der Musik gehört der Selbsthilfegruppenteilnehmer Bob Paulson in David Finchers Kinofilm »Fight Club« (1999), ein alternder, krebskranker Bodybuilder, der für seine »Bitch tits« aufgezogen wird. In der berührenden Nebenrolle verdichtete Meat Loaf fast sein gesamtes Leben: die Krankheit der Mutter, das geprügelte Selbstbewusstsein, die Gewalt und die Sucht nach Zugehörigkeit.

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1968 ergatterte er eine Rolle im Ensemble der Broadway-Produktion von »Hair«, 1971 nahm er für Motown mit seiner Musical-Partnerin Shaun Murphy das Album »Stoney & Meat Loaf« auf, allerdings ohne große Resonanz. Wenig später traf er Jim Steinman und begann, zusammen mit Produzent Todd Rundgren an »Bat Out Of Hell« zu arbeiten, der das Ganze für eine urkomische Springsteen-Parodie hielt, aber Feuer und Flamme war.

In seiner Karriere nahm Meat Loaf gut zwei Dutzend Alben auf, mit wechselnden Songwritern und musikalischen Partnern, aber keines war annähernd so erfolgreich wie das, was Steinman für ihn schrieb. 2006 erschien ein drittes »Bat«-Album, und selbst auf Meat Loafs letzter Platte, dem 2016 veröffentlichten »Braver Than We Are«, fanden sich Steinman-Kompositionen aus früheren Jahrzehnten.

»Er war das Herzstück meines Lebens«, sagte Meat Loaf letztes Jahr über seinen verstorbenen Partner. »Ich weiß, dass es da draußen Leute gibt, die denken, ich sei das Frankenstein-Monster zu Jims Dr. Frankenstein«, sagte er 2019 der »New York Times« , »aber so war es überhaupt nicht. Ich mache nie etwas so, wie der Autor es beabsichtigt hat. Jim hat es geschrieben, aber es wurde mein Song.«

Der Sexgott und die Quietscheentchen

Als ihn das »Rolling Stone«-Magazin 2018 auf seinem Anwesen in der Nähe von Austin besuchte , litt Meat Loaf schwer an einem chronischen Rückenleiden und anderen Gebrechen und schien verbittert. Er gab kleinlaut zu, bei der Präsidentschaftswahl für Trump gestimmt zu haben und regte sich fürchterlich auf über Leute, die sich auf Facebook darüber mokierten, dass er angeblich nicht mehr alle Töne treffe, das hohe C in »Bat Out Of Hell« zum Beispiel, oder generell zu schwach für Konzerte sei. Mehrfach hatte er in den Jahren zuvor Auftritte abbrechen müssen, weil ihm die Stimme unter anderem wegen einer Stimmbandzyste versagte, manchmal fiel er auf offener Bühne einfach um.

Aber das sei immer nur gespielt gewesen, ein dramatisierender Akt, sagte er einmal in einem Interview, und mit Drogen, wie vielfach gemutmaßt, habe er sein ganzes Leben lang keinen Missbrauch betrieben. Auch im Alter, nach all den Erfolgen, all der treuen Liebe eines Millionenpublikums, brachten ihn Zweifel an seinem Können oder gefühlte Ungerechtigkeiten wie bei »Celebrity Apprentice« noch aus der Fassung. »I’m not an internal guy«, sagte er dem »Rolling Stone«, vielleicht auch ein wenig selbst von seiner extrovertierten Art erschöpft, »Wenn du mich verärgerst, wirst du es merken.«

Zu seinen kostbarsten Besitztümern gehörte eine über Jahre hinweg zusammengetragene Kollektion von Quietscheentchen, erzählte er 2016 dem »Mojo«-Magazin. »Ich habe etwa 100 davon. Die Fans bringen sie für mich zu den Shows mit«. Auch eine der Rocky-Horror-Picture-Show-Figur Frank-N-Furter sei dabei. »Sie liegen bei jeder Show oben auf meinem Roadcase in der Garderobe.«

Ganz schön kindisch für einen überlebensgroßen Rockstar? »Schauen Sie«, sagte er dem »Rolling Stone«, »ich bin ein Sexgott. Aber ich bin kein Rockstar. Wenn die Leute mich eine Legende nennen, sage ich: Nennt mich nicht so, ich bin keine Legende: Ich gebe nicht vor, eine zu sein. Ich will einfach ein normaler Mensch sein.«

Meat Loaf, zuletzt schwer herzkrank, starb am Donnerstag im Beisein seiner Ehefrau Deborah. Auch seine beiden Töchter Pearl und Amanda sowie einige enge Freunde hätten sich noch von ihm verabschieden können, berichteten US-Medien. Er wurde 74 Jahre alt.

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