Metal-Mythos Wacken Ballermann für Headbanger
Herman the German schnauft, greift in das Gesicht seines Gegners und drückt ihn schließlich mit seinem ganzen Körper zu Boden. Die Bretterbühne scheppert unter dem Gewicht der beiden langhaarigen Hünen. Hermans halbnackter Gegner im Wikingerkostüm steht nicht mehr auf. Profi-Wrestler Ulf Herman reißt die Arme in die Luft: Kampf gewonnen.
Die Zuschauer, fast ausnahmslos in schwarzen T-Shirts, jubeln. Noch während die Wrestler ihre Muskelmassen von der Bühne wuchten, stürmt eine dralle Blondine im Stringtanga in den Ring. Gibt's hier ein paar Mädels, die Lust auf einen Wet-T-Shirt-Contest haben? Aber sicher doch. Die nicht weniger drallen Teilnehmerinnen, nicht alle sind volljährig, veranstalten eine kleine Stripshow.
Heavy-Metal gegen Heavy-Rahmenprogramm
Erst balgen, dann blankziehen: In dem kleinen Dorf Wacken in Schleswig-Holstein ist Jahrmarkt, und nebenbei feiern 75.000 Menschen das größte Heavy-Metal-Festival der Welt, die Tickets sind bereits Monate vor dem Event restlos ausverkauft. Und spätestens seit dem Dokumentarfilm "Full Metal Village" aus dem Jahr 2006 gilt Wacken als Mythos, Journalisten stürzen sich alljährlich auf das schwarz-bunte Treiben, der Auftritt der Feuerwehrkapelle des Ortes ist moderne Medien-Folklore. Auch dank des Hypes ist in Wacken brachiale Musik längst nicht mehr alles: Aufgepumpte Männer in knappen Shorts und zeigefreudige Mädchen gehören mittlerweile genauso dazu wie ein Mittelaltermarkt, Highland-Games und bayerische Fressstände.

Vor 21 Jahren, zum ersten Wacken Open Air, kamen noch 800 Metal-Fans auf einem kleinen Feld zusammen, die Bands röhrten von einer Lkw-Bühne: Ein paar Freunde hatten eine etwas zu groß geratene Gartenparty organisiert. Mittlerweile lässt eine bekannte Schnapsmarke Besucher an einem Kran 25 Meter über dem Gelände schweben und gibt Shots aus. An den allgegenwärtigen Bierständen kostet ein Pils 3,50 Euro. Ohne Pfand.
Dieses Wochenende spielt nicht nur Rocklegende Alice Cooper, der in einer aufwendigen Bühnenshow geköpft und erhängt wird. Iron Maiden, die emblematische Mainstream-Metal-Truppe schlechthin, die mit fünf riesigen Trucks angereist ist, müssen gegen den Rummel anschreien. Als würde es nicht reichen, dass mitten im Nirgendwo zwischen Heide und Itzehoe Slayer, Anvil, Cannibal Corpse und mehr als 100 weitere Bands auftreten.
Wrestling, T-Shirt-Nassmachen, Öl-Catchen
Allein das ins Festival integrierte Wikinger-Dorf "Wackinger" misst fast 20.000 Quadratmeter. Die Auswahl auf dem Mittelaltermarkt ist respektabel, von Trinkhörnern über Lederbekleidung bis hin zu vollwertigen Rüstungen. Neben Metal-Fans in klassischer Kutten-Kluft schlendern wild bemalte Wikinger mit Umhang und Streitaxt an den Ständen vorbei. Sie treffen auf Jungs mit Stahlhelm und Fliegerbrille, auf blasse Mädchen in Korsett und Netzstrümpfen mit pink gefärbten Haaren, auf Latex-Fans mit Gasmaske am Gürtel - so ziemlich jeder Stilmix findet sich hier. Sie alle treffen sich auf einen Becher Met, dem alkoholschweren Honigwein, und spätestens am Abend vor einer der großen Bühnen.
Bis es so weit ist, bespaßt ein Gaukler die Festival-Besucher, mehrere hundert Rollenspieler schwingen Schwerter und vergleichen ihre angeklebten Elfenohren. Wer nicht im Zirkuszelt verschwindet, um Wrestling, T-Shirt-Nassmachen oder Öl-Catchen zu frönen, kann bei den schottischen Highland-Games Baumstämme durch die Luft wirbeln.
Was das alles noch mit Heavy-Metal zu tun hat? Auf der Wacken-Web-Seite gibt es erboste Besucher, die ihre über hundert Euro Eintrittsgeld veruntreut sehen und über infantile Ballermann-Stimmung lästern. Der Chef sieht's gelassen. "Einige mögen es. Einige Puristen, Metal-Fundamentalisten, sag ich mal, finden das vielleicht zu viel", sagt Thomas Jensen, der das Wacken-Festival mit ein paar Kumpels gegründet hat.
"Geile Party"
Ganz so streng sieht er es nicht. "Wir passen aber auf, dass unser Beiprogramm noch mit Metal zu tun haben", sagt Jensen. Viele Fans hätten einfach eine Affinität zum Mittelalter, zu Rollenspielen und Wikingern. Über die Goth-Metal-Szene kämen dann Fesselshows auf das Wacken Open Air. Wrestling und nasse T-Shirts seien eben "Gaudi". Nehmen die Besucher die Gaudi an, geht es im nächsten Jahr damit weiter.
Beides stimmt also: In der norddeutschen Tiefebene kommt entlang der Bier- und Essenstände ausgelassene Volksfest-Stimmung auf - und für viele Fans der harten Metal-Musik passt das offenbar gut zusammen. Vor dem Zirkuszelt hat sich eine lange Menschenschlange gebildet, geduldig warten die Metal-Fans auf Einlass, während drinnen Hunderte den Mädels in den so knappen wie durchsichtigen T-Shirts zujohlen.
Jensen findet nichts dabei: "Wir haben alle nur ein Ziel: dass das 'ne geile Party wird."