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Metal-Sänger Udo Dirkschneider Der Volksmusiker

Berühmt wie die Scorpions hätte er mit seiner Band Accept werden können, Konzerte vor 100.000 Leuten gab er. Dann meinte es das Schicksal nicht gut mit ihm - aber auch nie wirklich schlecht. Udo Dirkschneider macht seit bald 40 Jahren Metal made in Germany. Und kann's einfach nicht lassen.

Vielleicht ist das wahrhaftigste Kompliment, das man dem Rockstar Udo Dirkschneider machen kann, dieses: Er ist wie seine Fans; ein bisschen spießig, nur mit mehr Kohle.

Um zu begreifen, was das heißt, muss man Udo Dirkschneider treffen, in Hamburg etwa steigt er seit 1981 im Monopol auf der Reeperbahn ab, "ein Rock'n'Roll-Hotel", wie er sagt. Metal-Kollegin Doro Pesch hat hier genächtigt, die Leningrad Cowboys, allerdings auch Peter Kraus, egal, er habe schließlich ein Lieblingszimmer hier. Dann setzt sich der kleine, breite, grauhaarige Mann auf eine Wandbank in der Lobby, bestellt Weißwein und erzählt erst mal, wie das früher so war, in Europas berühmtestem Rotlichtbezirk. In erster Linie: überteuert.

"Naja, wir waren natürlich mal in einschlägigen Lokalitäten, aber irgendwann wird das langweilig. Das ist ja auch Nepp: ein Bier zwomarkfünfzig, dann ein Korn, plötzlich macht das zwölffünfzig." Nach Sex, Drugs and Rock'n'Roll klingt das nicht, aber, nun ja, Partytiere seien er und seine Band Accept nie gewesen. Mönche auch nicht, beeilt er sich zu betonen. Doch selbst in Amerika, als die Band "so ihre Phase" gehabt hätte, "mit Groupies und so, bis auf Drogen hat das Normalklischee da schon stattgefunden" - er formuliert das tatsächlich so - hätte seine Band "nach einer Show erst mal diskutiert, wie wir besser werden können, während die Ami-Bands mit dicken Party-Limousinen rumkutschierten".

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Udo Dirkschneider: Stahl aus Solingen

Foto: Thorsten Dörting

Accept fanden Anfang, Mitte der achtziger Jahre statt, ein Exportschlager aus Solingen, wo die weltbekannten Stahlklingen herkommen, was für ein Omen für eine Metal-Band. Man spielte in den USA und in Europa auf Festivals vor bis zu 100.000 Leuten, die Hits hießen "Breaker", "Princess of the Dawn", "Fast as a Shark" - effiziente Dampframmen aus Deutschland.

Es hätte nach ganz oben gehen können, wenn Accept genau das nicht so verkrampft gewollt hätten, sie deshalb softrockiger werden wollten, ungefähr Richtung Scorpions, Reibeisenorgan Udo dazu nicht passte, er und die Band sich also trennten, unter bis heute nicht eindeutig geklärten Umständen, 1987. Accept scheiterten ohne ihn, wiedervereinigten sich Mitte der Neunziger mal kurz mit Udo, lösten sich wieder auf - und brachten letztes Jahr ohne Udo ein sehr erfolgreiches Album heraus. Doch Udo hat seinen Frieden gemacht, das sagt sein Mund. Obwohl man Frieden nicht immer freiwillig schließt, das sagen seine Mundwinkel.

Nach seinem Ausstieg vor fast 25 Jahren gründete er seine eigene Band, nannte sie praktischerweise U.D.O., da weiß der Fan sofort, was er hat, nämlich den vorderen Teil des "most metal name of all time", wie der US-Rocksänger Sebastian Bach einmal sagte. "Judo Dörksnieder", das klingt auf English wie eine Metallsäge bei der Arbeit, so wie Udos Stimme halt. In Deutschland denkt man bei dem Vornamen Udo ja eher an einen Kegelbruder aus Wanne-Eickel oder einen Schützenkönig aus Hannover, eventuell an Lindenberg oder Jürgens. Stars wie Slash, ehedem Gitarrist bei Guns N' Roses, Metallica-Drummer Lars Ulrich und Tommy Lee, die trommelnde Fickmaschine von Mötley Crüe - sie alle dürften weder das hiesige Kegel- und Schützenwesen kennen, noch Lindenberg oder Jürgens. Aber die frühen Accept mit Udo, die verehren sie. Und der US-Filmregisseur Darren Aronofsky hat kürzlich für den Soundtrack seiner großen Männer- und Sportlerballade "The Wrestler" mit Mickey Rourke in der Hauptrolle unter anderem Accepts "Balls to the Wall" mit Udo am Mikrofon ausgewählt. Eine Ehre. Punkt.

"Schon irre", sagt Udo, seufzt und guckt leicht verschämt in seinen Wein statt in die Augen seines Gegenübers, ordert dann nach - den dritten oder doch schon vierten? - und fährt fort: "Da was Einflussreiches geschaffen zu haben, das macht schon stolz". Er sagt das ohne Groll, den er durchaus empfinden könnte: Mit U.D.O. knüpfte Udo nie an seine frühen Erfolge an.

Berufsblondinen und Berserker

In den Neunzigern war Heavy Metal ohnehin fast weltweit klinisch tot. Nur das ausgehungerte Publikum in Osteuropa habe ihn über die eine oder andere Sinnkrise gerettet, sagt er - zum Beispiel dieser junge IT-Neureiche aus der ehemaligen Sowjetunion, der ihn zu seinem Geburtstag einlud, als Entertainer; die Gäste vergnügten sich mit riesigen Pulverschneebergen, Drogen, genau. Und zum Paartanz spielte Udo auf. Mehr will er nicht verraten, aber phantasieren ist ja viel schöner: Vollgekokste, wodkatrunkene Russen, die zu deutschen Metal-Stampfern mit ihren Berufsblondinen auf den Tischen herumberserkern - wer wollte so ein Fest nicht einmal erleben?

Seit ein paar Jahren hört auch der Rest der Welt wieder mehr Metal und damit U.D.O; vielleicht brauchen die Menschen in Zeiten, in denen in unserer Virtual-Ökonomie täglich Milliardenwerte einfach entschwinden, in der Musik etwas Reelles. "Metal ist Handarbeit", sagt jedenfalls Udo. Das klingt wie "Handwerk hat goldenen Boden", was insofern nicht stimmt, weil ein junger Rockmusiker heute kaum von seinem Handwerk leben kann. Sein Sohn, Schlagzeuger, gerade volljährig, machte erst mal seine Lehre, hat Udo ja auch, zwei sogar, eine als Werkzeugmacher, er sollte den elterlichen Betrieb übernehmen.

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Udo Dirkschneider: Stahl aus Solingen

Foto: Thorsten Dörting

Musste er nicht. Heute spülen die Erfolge von vorgestern noch immer Geld rein, genug für Ibiza jedenfalls. Seit knapp drei Jahren lebt er dort, er komme da auch szenemäßig viel rum, nein, nicht in die Techno-Tempel, aber es wohnten ja viele Rockmusiker auf der Party-Insel. Wobei: Party? "Man unterhält sich doch eher über die Kinder oder die Rosen im Garten. Eigentlich bin ich ein Langweiler, so im privaten Leben. Ich mähe Rasen, gehe einkaufen im Supermarkt. Oder spazieren am Strand, aber etwas lockerer angezogen."

Was nun aber an seiner Kleiderwahl an diesem Tag auf der Hamburger Reeperbahn unlocker sein soll, erschließt sich nicht sofort: schwarze Turnschuhe, schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, aufgeknöpftes Lederhemd darüber, ebenfalls schwarz, ein paar silbern-schwarze Ringe an den Fingern.

Mit denen nestelt er jetzt ein wenig peinlich berührt an seinem Hemdknöpfen, seit bald drei Stunden sitzt man zusammen, ein paar Wein, da rutsche so was schon mal raus. Udo erklärt: Daheim auf Ibiza trage er halt leichtere Sachen, nicht so düster, nicht so schwer, Blue Jeans, helles T-Shirt, fertig. Aber er sei auf Promotour, da gehöre dieses Outift dazu, schwarz, Leder, Silberringe - Heavy Metal eben. Eine PR-Uniform für Journalisten trägt er also gewissermaßen, aus berufsethischen Gründen, aus Pflichtgefühl; so wie Udo auf der Bühne oft eine Uniform trägt, in Tarnfarben, sein Markenzeichen, "Heavy-Metal-Fans sind ja sehr konservativ". Sie erwarten es, er gibt es ihnen: "Wir machen ja schließlich Entertainment." Verlässlich und erwartbar, da erinnert der Volksmusiker Udo an den Volkswagen Golf.

Im Sommer hat Udo das 23. Studioalbum seiner Karriere herausgebracht. "Rev-Raptor" wirkt gerade mit seinem Willen, den klassischen Heavy Metal unbedingt modernisieren zu wollen, aus der Zeit gefallen, stilvoller Retrosound gilt vielen in der Szene gerade als der heiße Scheiß. Aber vermutlich ist das Album nicht so wichtig; früher bewarb eine Tournee eine Platte, heute sei das umgekehrt. Und jetzt tourt er in Deutschland, live spielt er auch Accept-Hits, viele treue alte Fans werden da sein, einige junge. Rund 2000 Shows habe er seit 1971 gegeben - ja, genau! - vor 40 Jahren ging das los mit Accept. Nun kommen noch einige Auftritte dazu, in Hamburg und in Berlin, aber auch in der Provinz, gerade in der Provinz: in Burglengenfeld im VAZ Pfarrheim etwa oder in der Stadthalle zu Memmingen.

Udo wird nächstes Jahr 60, beim Wacken Open Air 2012 werden sie eine Party für ihn schmeißen, er schmunzelt jetzt schon bei dem Gedanken - ob Lemmy wohl komme? Herrje, sagt Udo dann, "wo sind die 40 Jahre eigentlich geblieben?" Wenn er doch noch zehn Jahre singen und auftreten könne, "das wäre schon schön." Und bestellt jetzt keinen Weißwein mehr, sondern leistet sich mal eine Bloody Mary, zur Feier des Tages.


U.D.O. live in Deutschland: 25. 11. in Pirmasens, 26. 11. in Hamburg, 27. 11. in Berlin, 1. 12. in Recklinghausen, 2. 12. in Burglengenfeld, 3. 12. in Leipzig, 4. 12. in Köln, 6. 12. in Langen, 9. 12. in Balingen, 10. 12. in Memmingen, 29. 12. in Crailsheim.

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