Michael Jackson Peter Pan macht den Abflug

Früher verzauberte er mit dem Moonwalk, zuletzt verfolgte die Welt seinen Canossa-Gang: Michael Jackson absolvierte seine letzte große Show im Gerichtssaal. Doch das Justizdrama passt perfekt zum King of Pop: Wie soll man über jemand urteilen, der nicht von dieser Welt ist?
Von Uh-Young Kim

Gerade, als Michael Jackson komplett am Ende schien, entfaltete sich die mysteriöse Aura des Popstars wieder mit voller Wirkung. Bei der Urteilsverkündung waren Kameras nicht erlaubt; die Nachrichtenstationen griffen auf eine Tonschaltung zurück, um die Geschehnisse im Gerichtssaal live zu übertragen. Man hörte, wie Jackson Punkt für Punkt freigesprochen wurde - die Bilder zum letzten Akt im Prozess gegen den König des Pop mussten in den Köpfen der Zuschauer entstehen. Besser hätte die Rückkehr von Michael Jackson als Projektionsfläche nicht ablaufen können.

Vor dem Freispruch wurde der Reiz des Unsichtbaren dramaturgisch aufgebaut. Die Show begann vor den Mauern der Neverland-Ranch und führte bis zur Türschwelle des Gerichtssaals; dazwischen sah man abgedunkelte Jeeps auf dem Weg nach Santa Maria. Die Vogelperspektive der Real-Crime-Shows rief die Bilder der nachgestellten Gerichtsszenen in Erinnerung, die den Prozess seit Januar begleitet haben. Als schließlich der Jackson-Clan geschlossen das Gebäude betrat, war die Mischung aus Verbrecherjagd, Gerichtsdrama und MTV perfekt. Seit O.J. Simpson haben sich "Celebrity Trials" als eigenes Unterhaltungsgenre in den U.S.A. etabliert: Medienwirksam locken sie mit einem Cocktail aus Ruhm, Sex, Gewalt und Tragödie.

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Michael Jackson: Im Bild und aus der Welt

Foto: DPA

Der Showdown von Jacksons Prozess spielte sich jedoch hinter verschlossenen Türen ab - programmatisch für den selbsternannten Peter Pan, dessen Phantasiemaschinerie auf solchen Verrätselungen basiert. Durch und durch mystifiziert schwebt der Exzentriker als prototypische Diva gottgleich über den Verhältnissen - gleichzeitig befindet sich seine fragile Persönlichkeit ständig am Rande des Zusammenbruchs. Innerhalb der blinden Flecken dieser Existenz kreuzen sich zentrale Konfliktlinien der Popkultur: Sexualität, Authentizität und nicht zuletzt ethnische Fragen können wunderbar angesichts des androgynen, bleichen Cyborgs aus dem Niemandsland verhandelt werden.

Die Fron der Projektion

Dass die Leerstellen sich letztlich nicht füllen lassen, hat einen einfachen Grund: Michael Jackson hat nie ein wahres Leben gehabt. Von Kindheit an hat er in den Kunstwelten von Konzerten und später in den Hyperrealitäten seiner Videos gelebt, seine Ich-Identität verflüssigte sich parallel in immer neuen körperlichen Verwandlungen. Ironischerweise kamen die Missbrauchsvorwürfe auf, als sich Jackson Anfang 2003 in einer Fernsehdokumentation als normaler Privatmensch präsentieren wollte. Dabei erzählte er dem Reporter freimütig, dass er mit Kindern im selben Bett schlafe.

Aber selbst, als seine Intimsphäre samt Pornosammlung öffentlich bekannt wurde, heizte das nur Phantasien über die tatsächlichen Vorgänge im Schlafzimmer an: Je weniger man sieht, desto mehr möchte man wissen. Von Beginn an haben die Jacksons diese Formel der Aufmerksamkeitsmaximierung in ihrer Arbeit umgesetzt. Seit der Kranfahrer Joseph Jackson seine Kinder 1963 zur archetypischen Boygroup machte, drang wenig von ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit. Es bestand der Legende nach aus Auftritten, Proben und Strafen.

In den späten Sechzigern profitierten die Jackson 5 von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Integration der Afroamerikaner; unter der Fuchtel des nächsten Patriarchen - Berry Gordy von Motown - feierten sie 1970 ihre größten Erfolge. Während die Black Panthers die Bürgerrechtsbewegung militarisierten, zelebrierten die Jacksons den Status quo mit ihrem hedonistisch-heiteren Sound. Michael verkörperte dabei, was von ihm verlangt wurde, und schmachtete als Zehnjähriger Geliebte an, die er nie gehabt haben konnte. Doch gerade durch diese Verwandlung des Widerspruchs von Künstlichkeit und Authentizität in unmittelbare Begeisterung hat Jackson Popmusik definiert und fortan Geschichte geschrieben.

Ein Thriller in Schwarzweiß

Als Solokünstler perfektionierte er die Kunst der Anpassung. Auf seinem zweiten Solo-Album "Off The Wall" überflügelte er 1979 in einer Mischung aus Soul, Disco und Rock kulturelle Schranken und emanzipierte sich als schwarzer Popheld vom Ruf des Kinderstars. Mehr noch als alle anderen vor und nach ihm hat er weiße Käuferschichten für die Musik des schwarzen Amerikas gewonnen.

Die Musikvideos zum "Thriller"-Album gelten zudem als Blaupausen heutiger Clip-Ästhetik. Wurden schwarze Musiker in den Siebzigern in der Regel ausgebeutet, stellte sich Jackson finanziell auf eigene Beine. Mit seinem Pepsi-Werbevertrag legte er den Grundstein für alle folgenden Kooperationen zwischen Popstars und Konzernen. Jacksons Popularität hatte 1983 übernatürliche Ausmaße erreicht - sein Körper sollte folgen.

Die Verleugnung von Hautfarbe und Geschlecht wurde mit der Zeit immer sichtbarer. Nach zig Millionen verkauften Alben verstand er sich nicht mehr als schwarzer, sondern als universeller Star. Die Afrofrisur verschwand mit ersten Korrekturen an der Nase; 1987 präsentierte Jackson den synthetischen Sound des "Bad"-Albums in einem künstlichen Körper. Der Junge ohne Stimmbruch war zum Phantasiewesen geworden, dessen Hautfarbe und Geschlecht nicht mehr eindeutig zu bestimmen waren.

Gesichtsverlust eines Idols

In den Neunzigern fand Jackson musikalisch keinen Anschluss. Während sich in den Subkulturen der Dance Music aufregende Republiken gründeten, fiel das Reich des King of Pop in Ermangelung eines dominanten Stils auseinander. Zu guter Letzt lehnte er noch die Beats der Hit-Produzenten Neptunes ab, mit denen später Justin Timberlake erfolgreich seine Nachfolge antreten sollte. Je mediokrer die Musik daherkam, desto absurder wurden seine Allüren und lächerlicher die Skandale. Nachdem ihm 1993 der erste Prozess wegen Kindesmisshandlung drohte, ging es steil bergab.

Das Gesicht, das einst für die Wandelbarkeit des Popstars stand, ist heute Zeichen des Freaks - verhöhnt von Boulevardpresse und Rappern wie Eminem. Michael Jackson wollte auf eine Weise universell sein, die ihm den Weg zu sich selbst konsequent verbaute. Nur in seinem desexualisierten, schwerelosen Tanz blitzte noch die pure Freude und die Befreiung aus den Ketten der Identität auf, die früher seine Anziehungskraft ausgemacht hatten. Als Jackson am Montag aus dem Gerichtssaal trat, war seine Leichtigkeit zur Gebrechlichkeit geworden.

Heute haben Achtziger-Jahre-Ikonen wie Michael Jackson, sein gelehriger Schüler Prince oder Madonna einen schweren Stand. Jackson steht als letzter Dinosaurier für den Untergang des Starsystems des 20. Jahrhunderts, während sich die öffentliche Aufmerksamkeit in inhaltsleere Promispektakel und unzählige Mikrouniversen aufsplittet. Auch wenn die Marke Michael Jackson demontiert sein mag, durch den Prozess ist sie präsenter denn je - und um eine Leidensgeschichte und ein Geheimnis reicher. Zumindest seine Fans haben schon einen einprägsamen Titel fürs nächste Album parat: "Innocent". Wenn er nur mal wieder gute Musik machen würde.

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