Zum Tod von Mikis Theodorakis Ein freier Mann

Mikis Theodorakis (1925-2021)
Foto: Uncredited / picture alliance / ASSOCIATED PRESSDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
»Ich habe alles erlebt, was es gibt. Ich bin so glücklich mit all dem, es wäre unfair, länger zu leben« Bei einer Sache hatte Mikis Theodorakis recht in diesem Interview aus dem Jahre 2017: Er hat tatsächlich alles erlebt. Er wurde weltweit gefeiert für seine Musik, Kritiker und einfache Hörer schätzten sie gleichermaßen. Er lebte ein unbeständiges, beinahe romanhaftes Leben, das von Exil über Folterungen bis zu universeller Liebe und Wertschätzung alles enthielt.
Theodorakis mag bereit gewesen sein, die Welt zufrieden zu verlassen – was am Donnerstag auf friedliche Weise geschah, als er mit 96 Jahren in seinem Zuhause nahe der Akropolis einem Herzinfarkt erlag. Aber Griechenland und die Griechen waren nicht zufrieden.
»Heute haben wir einen Teil von Griechenlands Seele verloren. Mikis Theodorakis, Mikis, der Lehrer, der Intellektuelle, der Radikale, unser Mikis ist von uns gegangen«, sagte Kulturministerin Lina Mendoni. Griechenlands Präsidentin Aikaterini Sakellaropoulou unterbrach eine Rede, um den Todesfall anzusprechen. Premierminister Mitsotakis rief eine dreitägige Zeit der nationalen Trauer aus. Auch durch den griechischen Teil der sozialen Medien hallten Lob und Ehre.
»Mikis«, wie ihn hier jeder nannte, war eine innig geliebte Person. Ein Mann, dessen Musik noch immer überall zu hören war, im Fernsehen und im Radio, in Konzertsälen und an Flughafenschaltern. Möglicherweise war er in Griechenland so beliebt, weil er eine Vorbildfigur verkörperte für viele Griechen. Eine Figur wie Alexis Sorbas: unkonventionell und sich selbst stets treu bleibend. Einer, der die Freiheit liebt und ganz unverhohlen den Freuden des Lebens zugetan ist.

Der Sarg des Verstorbenen wird aus dem Haus getragen
Foto: Panayiotis Tzamaros / APAuf der Insel Chios geboren, erfasste Mikis Theodorakis schon in jungen Jahren eine Leidenschaft für die Musik. Mit 13 Jahren schuf er seine erste Komposition. Während der deutsch-italienischen Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg wurde er 1942 festgenommen, später auch gefoltert. Er kämpfte im griechischen Bürgerkrieg, der auf die Niederlage der Achsenmächte folgte – auf der Seite der Kommunisten gegen die Loyalisten. Mehrfach musste er wegen seiner linksgerichteten Ideologien ins Exil gehen.
Zwar komponierte der fleißige Künstler mehr als tausend Werke, doch am bekanntesten ist mit Sicherheit seine Filmmusik zu »Alexis Sorbas« (1964); man kann zweifeln, ob es jemanden gibt, der diese Melodie noch nie gehört oder dazu getanzt hat.
Weitere Filme, zu denen Theodorakis die Musik komponierte, waren »Z« (1969), Costa-Gavras' Politthriller über die griechische Militärjunta, und Sidney Lumets Polizeifilm »Serpico« (1973) mit Al Pacino. Doch er brillierte auch in zahlreichen anderen musikalischen Formen, von Orchesterwerken über Opern bis zu Symphonien.
Als Mikis Theodorakis nach der Machtübernahme der Militärs am 21. April 1967 im Exil war, gab er zahlreiche Konzerte in aller Welt, mit denen er auf den Tod der Demokratie aufmerksam machen wollte. Nach dem Sturz der Diktatur kehrte er 1974 nach Griechenland zurück. Seine linken Wurzeln hielten ihn aber nicht davon ab, in der konservativen Regierung von Konstantinos Mitsotakis, dem Vater des heutigen griechischen Premiers Kyriakos, ein Ministeramt zu übernehmen.
Glühend patriotisch
Als ich ihn zuletzt sah, nahm er im Februar 2018 an einer Demonstration teil, es ging gegen einen Vertrag mit Skopje über den Namen Mazedoniens. Sein robuster, 1,91 Meter großer Körper wirkte nun zerbrechlich, und er war an einen Rollstuhl gefesselt. Aber seine Rede war der Höhepunkt des Protestes: Sie war glühend patriotisch, eine weitere der vielen Antithesen, die dieser ehemals marxistische Künstler in sich vereinte.
Theodorakis war eben immer mehr als nur eine Legende. In einem Land, das unter tiefen gesellschaftlichen Spaltungen gelitten hat, unter scharfen politischen Auseinandersetzungen, brachte er die Menschen zusammen – mit seiner Musik, und nun mit seinem Tod.
Xeni Baloti
Die Melodien aus Theodorakis' Kompositionen sind jetzt im ganzen Land zu hören – sie schallten aus Fernsehbildschirmen, Radios, Lautsprechern. Menschen, denen man auf der Straße begegnete, waren wie betäubt, manche weinten. »Es fühlt sich an, als würden alle großen Griechen gehen, einer nach dem anderen. Wir sind zu Waisen geworden«, sagte Niki Vasilopoulou, 56, dem SPIEGEL, während sie im Café den Blick nicht von dem Bildschirm wenden konnte, auf dem die Meldung berichtet wurde. Freunde, Verwandte, Nachbarn, aber auch schlicht die Bevölkerung versammelten sich vor seinem Anwesen, um Mikis Theodorakis zu gedenken.
Xeni Baloti, an der Sorbonne ausgebildete Historikerin, enge Freundin von Theodorakis und Autorin einer Biografie des Komponisten, lernte ihn schon in jungen Jahren kennen. Ihre Mutter spielte ihr in der Zeit der Militärdiktatur die damals verbotenen Stücke vor. Dem SPIEGEL gegenüber sagte sie: »Ich habe ihn im Sommer 1974 kennengelernt, nach dem Sturz der Junta. Er fragte, ob ich helfen wolle, eine neue Welt zu erschaffen – keine ideale, aber eine kreative«. Und weiter: »Er war ein einfacher Mann, mit einem Sinn für Humor, er war höflich.«

Theodorakis bei der Demonstration 2018
Foto: Giorgos Georgiou / NurPhoto via Getty ImagesVielleicht kann man es so sagen: Der Balsam auf die ideologischen Wunden, den Theodorakis verteilte, war die passende Hinterlassenschaft eines großen Griechen für seine Landsleute – in diesen turbulenten, rauen, gespaltenen Zeiten für eine Nation, der Theodorakis stets zu dienen versuchte, und dabei Trennendes und Parteilinien ignorierte. Er selbst sagte mal: »Ich bin kein Kommunist oder Sozialdemokrat oder irgendwas anderes. Ich bin ein freier Mann.«