Album der Woche mit Miley Cyrus So glamourös wie Whisky-Cola

Album der Woche:
Was in den letzten Jahren in ihrem Leben passiert ist, bezeichnete Miley Cyrus diese Woche in einem Interview mit Apple-Music-DJ Zane Lowe als »Cocktail of Chaos«. Das ist natürlich ein treffendes Bild für einen Popstar, dessen wohl notorischster Auftritt es war, sich nackt auf eine Abrissbirne zu setzen und laut zu postulieren: »I came in like a wrecking ball«.
Was war passiert? 2018 fiel ihr Haus in Malibu den kalifornischen Waldbränden zum Opfer, im Sommer 2019 reichte Langzeit-Lover Liam Hemsworth nach nur acht Monaten Ehe die Scheidung ein. Das ehemalige Teenie-Idol Cyrus, das als Sängerin in der TV-Serie »Hannah Montana« berühmt wurde und sich das Image des braven Disney-Girls seitdem mit demonstrativer Rock'n'Roll-Attitüde auszutreiben versucht, schien die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren.
Doch Cyrus, sich selbst offenbar Ikonen-Status zutrauend, wollte nicht wie Jimi Hendrix, Kurt Cobain oder Amy Winehouse dem berüchtigten »27 Club« früh gestrauchelter und verstorbener Popstars beitreten, auch das sagte sie in dem Interview. Im Juni hatte sie stolz verkündet, sie habe seit sechs Monaten keinen Alkohol mehr angerührt. Bald darauf meldete sie zwar einen Rückfall im Corona-Lockdown, kündigte aber auch ihr neues Album »Plastic Hearts« an, das nun, wenige Tage nach ihrem 28. Geburtstag, erschienen ist.
Cyrus inszeniert sich für ihr Comeback als überlebenswilliger Pop-Profi, der sich mit Vokuhila-Frisur und schamlosen Achtzigerjahre-Zitaten dem aktuellen Hitparaden-Trend anpasst. Andere, wie Duettpartnerin Dua Lipa, reiten noch auf der aktuellen Disco-Vogue, Cyrus antizipiert nach Hip-Hop-Tourismus (»Bangerz«, 2013) und Country-Partie (»Younger Now«, 2017) bereits ein Revival des nietenfunkelnden Designertrash-Glampops. Als Gäste auf ihrem Album treten passenderweise die Rock-Veteranen Joan Jett und Billy Idol auf. Cyrus selbst klingt mit ihrer inzwischen aufgerauten und gereiften Stimme manchmal wie Bonnie Tyler, das ist ganz lustig.
Spät geborenen Miley-Minions wird's herzlich egal sein, ältere Pop-Konsumenten werden jedoch vor lauter Cringe darüber verzweifeln, dass Cyrus und ihr aktueller Songwriter-Pool nicht davor Halt machten, sich für das Intro der Powerballade »Angels Like You« stumpf bei »In My Life« von den Beatles zu bedienen. Im Refrain von »Midnight Sky« werden Laura Branigans »Self Control« und das momentan wieder allgegenwärtige »In The Air Tonight« motivisch zu maximaler Verohrwurmung verdichtet, »Prisoner«, die Dua-Lipa-Kollabo, klaut sich die Hook von Olivia Newton-Johns »Physical«. Das hätte wahrscheinlich noch nicht mal The Weeknd gewagt.
Die Produktion, unter anderem von Mark Ronson und Louis Bell, ist einerseits aseptisch, andererseits so kompetent auf Vollrausch programmiert, dass Cyrus über eine ganze Reihe neuer Radiohits verfügen dürfte. Ihre Songtexte schwanken zwischen verkatertem Selbstmitleid (»WTF Do I Know«, »High«) und trotziger Heroisierung der eigenen Abgefucktheit (»Hate Me«, »Bad Karma«). Kann man machen, da ist Cyrus nicht die Erste.
Ungenießbar ist jedoch der letzte Song, kokett »Golden G-String« betitelt, in dem sich Miley zum Opfer des Patriarchats stilisiert (»The old boys hold all the cards, and they ain't playing gin«), das sie als verrückt-frivole Skandalnudel diffamiert, dabei hat sie doch alles nur getan, um geliebt zu werden: »I did it all to make you love me and to feel alive«. Dazu klimpert ein überzuckerter Walzer, wie es sich für eine vom eigenen Drama beschwipste Hymne am Ende einer epischen Party gehört. Das alles ist ungefähr so glamourös wie Whisky-Cola. Aber irgendwie auch sympathisch. (6.5)
Kurz abgehört:
Ducks on Drugs – »Stabil labil«
Schade, dass Schnipo Schranke Geschichte sind, aber die neue Band von Sängerin Daniela Reis mit ihrem Mann Ente Schulz ist auch toll: Es geht, zu Neo-NDW-Elektro und Billo-Geschrammel, um Mowgli und Balu, um die Ekstase der Pärchenscheiße – so süß und schmerzhaft, so entwaffnend und ungeschminkt wie bei den Audiolith-Kollegen von Sorry 3000. »Gib mir Gefühle« ist der Hit dieser Herbstdepression. (8.5)
Shygirl – »Alias«
»She came to fuck«, konstatiert im glitschigen Track »Slime« eine der vier Cartoon-Avatare, die Blane Muise für ihre multipel feministische Pop-Persona Shygirl erfunden hat. Die Londonerin, deren erste EP mit düsterer Club-Musik fasziniert, kommt aus dem Umfeld des Nuxxe-Labels, wo alles »post-« ist: Post-Grime, Post-Trap, Post-Gender. Aber nicht Post-Sex! Die Berghain-Variante von »Wap«. (7.8)
Tom Liwa – »Der, den mein Freund kannte«
Der große Duisburger Songwriter Tom Liwa, einst Kopf der Flowerpornoes, wollte schon oft hinschmeißen, genervt von der Musikindustrie. Zum Glück hat Liwa, jetzt 59, immer weitergemacht, im Alleingang »ganz normale Songs« zu schreiben. Sein 27. Album enthält einige der traurigsten und schönsten: Sie handeln eigentlich vom Sterben, sind aber so warm wie eine Umarmung von Freunden. (8.0) (via Bandcamp)
The Smashing Pumpkins – »Cyr«
Neuer Synthie-Sound trotz Comeback von Gitarrist James Iha: 25 Jahre nach ihrer Rock-Relevanz bleiben die Pumpkins flexibel. So konzise klang die Band um Glatzendämon Billy Corgan lange nicht: »Ramona« ist einer von überraschend vielen Pop-Hits, »Wyttch« krankt jedoch am alten Schwurbelbombast, auf die Texte hört man besser nicht – und natürlich sind 20 Songs mal wieder Overkill. (6.0)
Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)
Mittwochs um 23 Uhr gibt es beim Hamburger Web-Radio ByteFM ein Abgehört-Mixtape mit vielen Songs aus den besprochenen Platten und Highlights aus der persönlichen Playlist von Andreas Borcholte.