
Star-Regisseur Haneke: Untreue, Verführung und Eifersucht
Michael Haneke inszeniert Mozart So machen sie's alle!
Wie interviewt man einen spröden und zurückhaltenden Künstler wie Michael Haneke? Der Kulturmanager und langjährige Chef der Wiener Staatsoper, Ioan Holender, wickelt Haneke bei seinem DVD-Interview in eine wohlig-wattige Respekt-Decke, die sowohl dem österreichischen Oscar-Regisseur schmeichelt als auch Holender selbst. Haneke parliert locker lächelnd über Theater-Erfahrungen, sein Verhältnis zu Mozart und auch über seine Arbeitsweise. Termindruck bei Opernproduktionen ist für Michael Haneke ("Das weiße Band", "Liebe") kein Problem, auch wenn er zwischendurch mal zu einer Preisverleihung von Madrid nach Hollywood jetten muss.
Der Intensität seiner "Così fan tutte"-Inszenierung im Februar 2013 am Teatro Real in der spanischen Hauptstadt schadete der Trip jedenfalls nicht. Die Produktion erntete fast einhellige Zustimmung bei Kritikern und Publikum. Ein Grund dafür: Hanekes Liebes-Horror kam in diesem Fall auf leisen Sohlen.
Das Spiel mit der Eifersucht und der Verführung, der Täuschung und der bitteren Erkenntnis in "Così fan tutte" gehört zum Subtilsten, was sich Wolfgang Amadeus Mozart jemals einfallen ließ. Nicht zuletzt dank der analytischen Schärfe und der Pointen in den Texten von Lorenzo da Ponte brennt ein Feuerwerk ab, das einen Menschenforscher wie Haneke einfach interessieren musste. Zuvor hatte er schon mit seiner Pariser "Don Giovanni"-Inszenierung (2006) Mozart- und Opern-Erfahrungen gesammelt.
Doch "Figaro" und "Zauberflöte" interessierten ihn nicht, wie er auch in dem Holender-Interview auf der zweiten DVD erzählt. Dafür tauchte er in die "Così" umso tiefer ein und modelte den Intrigenmeister Don Alfonso und Despina zu einem Paar um, womit Haneke gleich noch eine Beziehungsebene inklusive Kampfplatz einzog. Dadurch verschiebt er die Gewichte und spitzt das soziale Spiel über Bande noch einmal zu.
Der britische Bariton William Shimell singt diesen zynisch-unromantischen Strippenzieher Alfonso mit unterkühlter Eleganz, sein melancholischer Ernst kontrastiert wundervoll mit Kerstin Avemos zerbrechlich-vielschichtiger Despina, die ihren Kerl auswendig kennt und vor der Alfonso nichts verheimlichen kann: Ein Vorgriff auf die desillusionierte Zukunft, die den beiden anderen Paaren noch bevorsteht.
Kampfplatz der Beziehungen
Und wie Michael Haneke die bekannten Liebesleiden und Untreue-Abenteuer der beiden Damen Fiordiligi und Dorabella choreografiert, das raubt stellenweise den Atem. Dank subtiler und sehr beweglicher Kamera- und Tontechnik rückt der DVD-Zuschauer den Akteuren dermaßen dicht auf die Pelle, dass man meint, jeden Gesichtsmuskel, jedes Atmen, jeden Schauer zu spüren. Auch dies wiederum wirkt nur so sinnvoll und spannend, weil das vokale Personal dieser "Così"-Version perfekt gecastet wurde. Stimmen und schauspielerische Potenz der Beteiligten korrespondieren perfekt in dieser psychologisch sezierenden Darbietung.
Die beiden jungen Männer Ferrando (Juan Francisco Gatell) und Guglielmo (Andreas Wolf) agieren so konzentriert, dass man ihnen die Charakterwechsel im Rahmen ihrer Verführungsscharade mühelos abnimmt. Die Damen Fiordiligi (Anett Fritsch) und Dorabella (Paola Gardina) stehen ihnen mit ihrem ungekünstelten Girl-next-door-Charme in nichts nach: Von sehr sexy realisierten Passagen bis zu bissigen Eifersuchtsausbrüchen fächern beide eine beachtliche Bandbreite an Emotionen auf - und immer geht die Kamera auf Tuchfühlung.
Hanekes Detailversessenheit kann man hier besser als jeder Opernbesucher besichtigen. Das alles war nicht immer einfach zu realisieren, wie die Sopranistin Anett Fritsch im Interview gesteht - das Ergebnis ist es allemal wert.
Hanekes Entscheidung, die Kostüme bunt durch die Zeiten zu gestalten - verfremdetes Rokoko paart sich mit zeitgenössischem Styling - setzt sich im Bühnenaufbau einer großbürgerlichen Villa mit Meerseite fort. Zeitlos heißt das Zauberwort, und allgemeingültig und logisch führen die Zwischenmenschlichkeiten dieser "Così" in den Hafen der leicht resignativen Erkenntnis, wie verführbar und unvollkommen der Mensch doch ist.
Nein, wie alle anderen ("Così fan tutte!") haben Sie es nicht gemacht, Herr Haneke! Schade, dass Sie laut Interview keine Lust mehr auf weitere Opern haben. Aber Meinungen kann man ja ändern. Machen ja alle.
Mozart: Così fan tutte. 2 DVDs. Anett Fritsch, Paola Gardina, Kerstin Avemo, Juan Francisco Gatell, Andreas Wolf, William Shimell; Chor und Orchester des Teatro Real de Madrid. Ltg. Sylvain Cambreling. CMajor/Naxos; 42,65 Euro.