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Mulatu Astatke: Mann am Vibraphon

Foto: Stephan Pflug

Jazzlegende Mulatu Astatke Utopien aus Äthiopien

Von Addis Abeba bis Havanna, von Duke Ellington bis Jim Jarmusch: Mulatu Astatke, der Vater des Ethio-Jazz, gab ein Konzert in Hamburg - am Ende war nur pures Glück.

Wer auf ein reiches Leben zurückblickt, muss bündeln, verketten, verdichten. Er kommt ja sonst nicht hinterher. So wie der große äthiopische Jazzmusiker Mulatu Astatke, der am Sonntag im Hamburger Mojo Club in der Mitte seines Konzerts die Quintessenz seines gut 50-jährigen, unermesslichen Schaffens in einem Medley kombiniert, das er dem Publikum grinsend als "Chica Chica Suite" verkauft.

Der Mann hinter dem Vibraphon lächelt stets sanft, nie will er große Worte machen. Dabei ist in dem "Chica Chica"-Mega-Stück alles drin, was seine Kunst ausmacht: der flirrende afrikanische Funk der Siebziger, der satte US-Swing der frühen Tage, die archaische pentatonische Harmonik seiner äthiopischen Heimat. Bringt kein anderer so zusammen wie er.

Vater des Ethio-Jazz nennen sie Astatke. Das ist ein würdevoller Titel - der doch ein bisschen zu kurz greift. Seine Musik ist ja viel mehr als einfach nur Jazz aus Äthiopien, sie ist eine Verdichtung aus afrikanischer Musik von mindestens drei Kontinenten, die der 74-Jährige in seiner Laufbahn bereist hat. Eine Sammlung von Rhythmen, Melodien, Lauten, die er in England, den USA und Kuba eingefangen und mit der Fünf-Ton-Musik seiner Heimat kombiniert hat.

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Mulatu Astatke: Mann am Vibraphon

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1959 wurde Astatke von seiner Familie zum Studieren nach London geschickt. Statt zu lernen, wie man Flugzeuge baut, lernte er, wie man Jazz spielt. Ab 1963 dann sogar ganz offiziell, auf dem renommierten Bostoner Berklee College. 1969 ging er dann zurück nach Äthiopien, wo er den Jazz in das Nachtleben der Hauptstadt brachte, das so berauschend gewesen sein muss, dass es Zeitgenossen mal Swinging Addis Abeba genannt haben. Zeitgleich studierte Astatke alte äthiopische Musik, so entstanden seine ersten eigenen mirakulösen Kompositionen.

Jazz als Propagandamittel, wirklich wahr!

Es war die Zeit von Haile Selassie, der Äthiopien als absolutistischer Herrscher regierte, unterstützt von den USA. Ein politisches Arrangement, aus dem Astatke Nutzen schlug: Anfang der Siebziger subventionierte das US-State Department eine Tour von seinem Helden Duke Ellington durch Äthiopien und Sambia, weil man Jazz damals tatsächlich als Propagandamittel gegen den Kommunismus hielt, der sich in Afrika auszubreiten drohte. Astatke ging im Vorprogramm von Ellington auf Anti-Sowjet-Tour.

Der Kommunismus kam 1974 allem Jazz-Sponsoring zum Trotz dann doch, aber im Gegensatz zu vielen anderen privilegierten Landsleuten blieb Astatke im Land. Was ihm die Möglichkeit brachte, in Äthiopiens neuem Bruderland Kuba aus nächster Nähe den geliebten Latin-Jazz zu studieren. Astatkes Musik, so könnte man sagen, ist entstanden aus optimalen Chancen unter schlechtesten Bedingungen.

Dazu gehört auch die Pointe, dass seine aufregende, entgrenzte Musik 2005 ausgerechnet durch den langweiligen, humoristisch begrenzten Jim-Jarmusch-Film "Broken Flowers" einem größeren Publikum bekannt wurde.

Ein Umstand, dem Astatke im Hamburger Mojo Club höflich lächelnd gleich am Anfang des Konzerts Rechnung trug: Schon als zweites Stück spielte er das aus dem Film bekannte "Yèkèrmo Sèw" in einer wahrlich entfesselten Version, in der sich seine junge Begleitband als Virtuosen des Grooves bewiesen.

Von der Komposition schwirren ja etliche Versionen im Netz - verschnörkelte, verspielte, zerspielte. In Hamburg aber wird mit der 15-Minuten-Variante von "Yèkèrmo Sèw" der Takt für einen sensationellen Abend vorgegeben, bei der die Verknüpfung von afrokubanischen Rhythmen, Bigband-Swing und Fünftonmusik wie die natürlichste Sache der Welt wirkte. Nicht wie Ethno-Dancefloor-Tracks für die jeweilige Saison, als die die Musik von Astatke ja auch immer mal wieder offeriert wurde, sondern wie Utopien aus Äthiopien.

Als Zugabe für Hamburg gibt es schließlich "Yekatit", dieses unverwüstliche Stück aus Astatkes Frühzeit, durch das man alle Fronten einer Party, die zu zerfallen droht, versöhnen kann. Zu versöhnen gab es an diesem Abend natürlich gar nichts. Am Ende nach einer ins Rhapsodische erweiterten Version des Klassikers, am Ende seines Orte, Zeiten und Menschen überbrückenden Konzertes in Hamburg ist nur Glück.

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