Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche
Ben Folds Five - "The Sound Of The Life Of The Mind"
(Legacy/Sony Music, bereits erschienen)
Ich schwöre, ich war wirklich Fan. Doch bei der "Rolling Stone Roadshow 1999" lief alles schief: Ich traf eine halbe Stunde zu spät ein und Anna, heute verschollen, meinte nur: "Sie haben schon alles gespielt: 'Magic', 'Army', 'Don't Change Your Plans', es war so toll." Ich verarbeitete den Reinfall zwei Jahre lang und kaufte dann Bens erste Solo-Platte "Rockin' The Suburbs" ("Fear Of Pop, Vol.1" nicht mitgerechnet), die angeblich noch mehr nach Supertramp klingen sollte, was mich auf der Stelle flashte. Nach "Songs For Silverman" (2005) verlor ich Folds aus den Augen, obgleich mir bei Billy-Joel-Konzerten, die ich manchmal im Fernsehen sah, immer noch verlässlich die Tränen kamen. Vor zwei Wochen öffnete ich in Victor-Meldrew-Laune meinen Postkasten und sah, dass mir jemand eine Vorab-Version der Ben-Folds-Five-Reunion-Platte geschickt hatte. Aha, dachte ich, das schwarze T-Shirt, Onkel Walter, der wütende Zwerg, die letzte Polka, das Krankenhauslied - da war doch was! Naja, und heute weiß ich: "The Sound Of The Life Of The Mind" ist ein Meisterstück, ein aus dem Ärmel geschüttelter Festakt, der die skandinavischen Hut-und-Hocker-Weichlinge links und rechts von der Straße spült, und eine subtile, geistreiche Studie über Elastizität und Zerbrechlichkeit von Gefühlen. "On Being Frank": Einer der rührendsten und großartigsten Songs, die der Mann am Klavier jemals verfasst hat. "The Sound Of The Life Of The Mind": A sort of homecoming, leichthändig, unverfroren, wehmütig, also so wie "Whatever And Ever Amen" oder Joe Jackson zwischen 1980 und 1982. "Draw A Crowd": Der größte Spaß seit "Superbad". "Hold That Thought": Reine Melancholie mit der preiswürdigen ersten Zeile "She broke down and cried at the strip mall acupuncture/ While the world went on outside." Dazu "Sky High", der geteilte Himmel, zieh' das Piano ab und es ist "Every Breath You Take". Zum Schluss ein letzter Seufzer, ein Nachtlied zu einem Satz, der niemals stimmt: "Thank You For Breaking My Heart": "Yeah, I want a different answer/ So I ask you once again/ But the truth's in the silence/ And this time I got it/ It's over." Die Literatur greift immer dem Leben vor. Lauf, wenn du kannst. (8.7) Jan Wigger
Mumford & Sons - "Babel"
(Island/Cooperative Music/Universal, 21. September)
Warum hat Robbie Williams es eigentlich nie geschafft, in den USA so richtig abzugehen? Ganz einfach: viel zu viel Selbstironie. Wer es in God's own country schaffen will, muss mit heiligem Ernst aufwarten und sich puritanisch zerquält geben: Immer schön an der eigenen Gier und Wollust leiden, dann klappt's auch mit der Erlösung. Mumford & Sons machen das schon richtig. Anfang August traten die Londoner zum ersten Mal nach dem Erfolg ihres Debüts "Sigh No More" in den USA auf - und wählten nicht etwas das nächstbeste Football-Stadion (was gemessen an ihrer Popularität durchaus drin gewesen wäre), sondern spielten in einem Park in Hoboken, der zuvor noch nie als Konzertbühne genutzt wurde. 15.000 kamen und konnten gemeinsam mit Sänger Marcus Mumford die Sonne untergehen sehen, was die Türme Manhattans (Babel!) am gegenüberliegenden Ufer in dramatisches Licht hüllte: Hach, diese apokalyptische Romantik! Und dann ging es weiter durch eine Handvoll kleinere Orte, von denen niemand je gehört hat - außer Politikern natürlich, die im Wahlkampf durch die Provinz tingeln. Kontakt zur Basis halten nennt man das. Die Stadiontour folgt dann irgendwann nächstes Jahr. Bis dahin sollte sich die Gefolgschaft der Band mit "Babel" vertraut gemacht haben. Nichts leichter als das, denn große Veränderungen gibt es auf dem zweiten Album nicht. Klar, da hört man plötzlich mal eine elektrisch verstärkte Gitarre ("Whispers In The Dark") und in "Lovers Of The Light" wird das herumhibbelnde Banjo mal durch ein Effektgerät gejagt - im Großen und Ganzen bleiben die Briten jedoch ihrem breitwandigen, sehr gefälligen Folkpop treu, der jetzt noch ein bisschen mehr nach keltisch infizierter Dave Matthews Band klingt. In den Texten geht es wiederum um die Suche nach spirituellem Halt und Redemption: "So give me hope in the darkness/ That I will see the light", fleht Mumford, der selbstbezichtigte "Hopeless Wanderer", in "Ghosts That We know" - Glaube, Liebe, Hoffnung. In "Holland Road" kommt die christliche Unterwerfungs-Thematik auch noch mal schön durch: "When I'm on my knees I still believe/ When I hit the ground/ Neither lost nor found/ If you believe in me, I still believe". Nun wäre es töricht, christliche Motive in moderner Popmusik zu verdammen, sonst könnte man zwischen Bob Dylan und U2 seine halbe Plattensammlung vernichten. Die lustfeindliche Frömmigkeit, mit der sich Mumford & Sons jedoch als demütige Latzhosen- und Strohhut-bewehrte Arbeiter im Weinberg Gottes inszenieren, nervt kolossal - endloses Banjo-Geklimper und pompöses Bläser-Getute inklusive. Was fehlt, ist hin und wieder ein Ausbruch wie im Refrain ihres größten Hits "Little Lion Man". But they really fucked it up this time. In Amerika, so viel ist sicher, werden sie größer als Coldplay. (3.5) Andreas Borcholte
Korrektur: In einer früheren Version dieser Rezension behaupteten wir, die Sonne ginge, von Hoboken, New Jersey aus betrachtet, über Manhattan unter. Vielmehr spiegelte sich die selbstverständlich im Westen untergehende Sonne in den Wolkenkratzerfassaden der City. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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Dinosaur Jr. - "I Bet On Sky"
(PIAS/Rough Trade, bereits erschienen)
Erst letzte Woche meinte meine Oma wieder: "Aber du hast doch schon alle Dinosaur-Jr.-Schallplatten, und alle klingen gleich, wieso denn jetzt schon wieder eine neue, Junge?" Meine Oma hat nach "Where You Been" aufgehört zu sammeln, und objektiv betrachtet tat sie gut daran, denn wie man über Bad Religion sagt, es gäbe nur den schnellen und den langsameren Song, so sagt man über den wie ein Fels ergrauten J Mascis, er würde jedes einzelne Dinosaur-Jr.-Album mit endlosen Neil-Young-Soli zugrunde gniedeln und dann nörgelig irgendetwas drübernuscheln. Und was soll ich sagen, Leute? "I Bet On Sky" ist ein solches Album, zwar ohne ein so epochales Stück wie "I Don't Wanna Go There" ("Farm", 2009), aber mit den typischen Keine-Ahnung-worum-es-hier-gerade-geht-Lyrics und Mascis' leierigem Quengeln, dem man wie immer zuhören könnte, bis in alle Ewigkeit. Manches ist kürzer, komprimierter als früher, Murphs drumming rumpelt wie am ersten Tag, und wie sich Js Gitarrensolo am Ende von "Watch The Corners" aus weiter Ferne ins Holz hineinfrisst, sollte man gehört haben. "Rude", ein Barlow-Track, verzehrt sich nach Team Dreschs "Personal Best", in "See It On Your Side" singt Mascis wieder genau so sehnsuchtsvoll und zerschludert wie in "Out There", damals, im Winter 1993. Man braucht alle Alben von Dinosaur Jr. oder man braucht gar keines. That's the way the cookie crumbles. (7.5) Jan Wigger
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Toy - "Toy"
(Heavenly/Cooperative Music, bereits erschienen)
Mist, wieder mal hat mein Klappziffer-Wecker von Universum versagt. Zu spät aus dem Bett, gerade geschafft, mich mit einer Schüssel Cornflakes und zwei Zigaretten in meinen Arnio-Ballchair zu flegeln und die A-Seite von "Tago Mago" auf meinem Braun-Plattenspieler (der von Dieter Rams designte) zu hören, als Einstimmung aufs Büro. Dann ab in den kaffeebraunen Citroen CX, der mal wieder nicht starten wollte, normal. Hydraulik auch hinüber. Unnötig zu erwähnen, dass ich Lederjacke und große, verspiegelte Pilotenbrille zur kunstvoll verlegenen Andreas-Baader-Gedächtnis-Frisur trug. Im Kassettendeck: die eigenhändig bespielte BASF-C60 mit dem Debüt-Album von Toy. Die Briten machten "Music for people with beards. And Germans, of course", schrieb der "NME" über diese neue Band. Also perfekt für mich: Trage sowohl Bart als auch deutschen Pass mit mir rum, selbst wenn Kollege Wigger mich bereits in Brooklyn oder Williamsburg wähnt. Die oben zu reinen Illustrationszwecken erwähnten Accessoires besitze ich natürlich nicht, wären viel zu kostspielig für mein mageres Gehalt. Zum wirklich wundervoll kuratierenden Rocksound von Toy passt ein derart stilisiertes, wärmendes Retro-Ambiente jedoch besser als der schnöde iPod-Digitalismus von heute, so genial gestrig klingt das alles. Ähnlich wie The Horrors, die eifrig Werbung für ihre Newcomer-Kumpel machen, pflegen die Londoner Krautrock-Einflüsse (im knapp zehnminütigen "Kopter" zum Beispiel), schön monotonen Spätneunziger-Postrock ("Dead And Gone"), Cure- und Wave-Zitate sowie bunt durcheinander gewürfelte Siebziger-Psychedlic-Referenzen. Mancher mag da die Moody Blues heraushören ("My Heart Skips A Beat"), mancher auch frühe Pink Floyd. Die brillante Single "Motoring" mit ihrem hochtönenden New-Order-Basslauf ist übrigens eine Mogelpackung: So eingängig ist der Rest des Albums bei weitem nicht. Macht aber gar nichts, im Gegenteil, man sollte das Album eh immer ganz durchhören, für maximalen Effekt. "Take you for a ride", singt Tom Dougall. Gerne. Aber warte mal, der CX, die Hydraulik… du weißt schon. (6.9) Andreas Borcholte
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Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)