Abgehört - neue Musik Her mit diesen Gorilla-Boots!
(Spaceship/Warner Music, seit 14. August)
Schon beim Anblick des Albumcovers ist klar: Selbst wenn man es zurzeit könnte, für den großen Sommerblockbuster muss man dieses Jahr nicht ins Kino gehen! Der nigerianische Musiker Damini Ebunoluwa Ogulu, einer wachsenden Fangemeinde inzwischen besser als Burna Boy bekannt, wirft sich für sein fünftes Album in Superheldenpose. Aus den antiken Kulissen seiner afrikanischen Herkunft kommend, hebt er überlebensgroß den Fuß, um einen tiefen Stapfen in der westlichen Popkultur zu hinterlassen – ein "Black Panther"-Actionheld, der kein utopisches Fantasiereich Wakanda braucht, um Afro-Futurismus oder -Optimismus zu propagieren, ihm reicht die Gegenwart seiner real existierenden Heimat. Seine Zeit, das will dieses Poster-Image sagen, ist jetzt: Mit der Sohle seines Stiefels hinterlässt er Abdrücke eines Gorillakopfs, Symbol für den Stolz und die Kraft seines Kontinents. Man möchte sofort losrennen und diese Boots kaufen. Merchandising please!
"African Giant" nannte sich Burna Boy bereits auf seinem sehr guten und international viel beachteten letzten Album. Er wirkte seitdem an Beyoncés Afrika-Feier "Black Is King" ebenso mit wie bei Lady Gagas Lockdown-Benefizkonzert, jetzt tritt er an, zu einem global gültigen afrikanischen Popstar moderner Prägung zu werden. Dafür, das ist sein Anspruch, reicht es noch nicht, ein Gigant zu sein, man muss doppelt so groß wirken, "twice as tall".
Für diese Mission buchte sich der 29-Jährige - der lange in London lebte, aber wieder zurück nach Lagos ging - erneut einige Stars der westlichen Popmusik als Gäste: Coldplay-Sänger Chris Martin, Grime-Rapper Stormzy, die Hip-Hop-Veteranen Naughty By Nature, die senegalesische Afropop-Ikone Youssou N'Dour. Co-produziert wurde "Twice As Tall" von P.Diddy, der sich ja mit Giganten auskennt ("Godzilla"-Soundtrack anyone?). Gegenüber der "New York Times" sagte der Rap-Mogul über Burna Boy, dass er ihn für einen Revolutionär halte: "His conviction is serious", der meint es also ernst. Und tatsächlich könnte der Black-Lives-Matter-Zeitgeist nicht idealer für einen Künstler wie Burna Boy sein. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Popmusiker vereint er die Suche vieler schwarzer Künstler nach ihren afrikanischen Wurzeln in sich. Er kennt beide Welten, den Ursprung wie die Diaspora - und versucht, so sagt er, "eine Brücke zu bauen, die jede schwarze Person auf der Welt zusammenführt."
Seine Rezeptur dafür nennt er selbst "Afro-Fusion", also die traditionellen, jüngst im Hip-Hop wieder allgegenwärtigen Afrobeat-Grooves und Funk-Rhythmen, erweitert um alle möglichen anderen Spiel- und Stilarten aktueller Popmusik. Allerdings bleibt das distinktiv Afrikanische seiner Musik zu jeder Zeit im Vordergrund, das beschränkt sich nicht nur auf die Texte, die Ogulu in einem für Nicht-Afrikaner schwer verständlichen Slang aus Englisch, Pidgin und Yoruba singt, sondern gilt auch für die Musik, die Trap-Rap, R&B oder Reggaeton lediglich zitiert. So ist auch der US-Import P.Diddy letztlich nur ein verkaufsförderndes Feature, die wahren Stars dieses Albums sind neben Burna selbst die zahlreichen Produzenten aus dem nigerianischen Spaceship Collective, dem Kreativzirkel rundum sein 2015 gegründetes eigenes Label, darunter der zu Beginn vieler Songs als "Funkula" ausgerufene Telz.
Sie verleihen "Twice As Tall" jenen unbeschwert sommerlichen Flow, der bereits auf "African Giant" begeisterte, nur halt doppelt so selbstgewiss und für die internationalen Charts optimiert. Die bereits vorab veröffentlichte, hymnenhafte Single "Wonderful" ist das qualitativ hochwertigere Pendant zum Sommerhit "Jersusalema", ein "Graceland" ohne kulturelle Aneignung durch westliche Stars. "Alarm Clock" leiste sich im Intro eine avantgardistische Jazz-Exkursion, gleich danach dominiert aber schon wieder der zwingend positive Pop-Flow, der das Album zu einem manchmal allzu slicken Update von "African Giant" werden lässt, auch wenn am Ende mit "Monsters We Made", "Wetin Day Sup" und "Real Life" auch noch die düsteren, problematischen Seiten des Alltags afrikanischer Jugendlicher beleuchtet werden. Vielleicht ein bisschen zu spät.
Gegen die demonstrative Sanftmut der Afro-Lichtgestalt Burna Boy lässt sich jedoch nur schwer protestieren. "I'm way too big to be fucking with you", postuliert er smart in "Way Too Big". "No Fit Vex" ist eine einzige Friedensbotschaft, mit niemandem Beef zu haben und anfangen zu wollen. Oluwaburna nennt sich Burna Boy gern in seinen Songs, was auf Yoruba so viel heißt wie: Burna, unser Gott. Und jetzt her mit diesen coolen Gorilla-Stiefeln. (8.0) Andreas Borcholte
(Island/Universal, ab 21. August)
Als die Rockmusik zu Beginn des neuen Jahrtausends klingen wollte wie ein besenreines CBGB's, breitete Brandon Flowers seine Arme aus, und alle liefen herbei: die Alten und die Jungen, die Väter aus dem Mittleren Westen, die an der Supermarktkasse von Las Vegas träumten, die Popper, die Rocker mit Campingstuhl und die Zehntklässlerinnen aus Zeulenroda, die sich auf Myspace fortan "Mrs. Brightside" nannten.
Seit fast zwei Jahrzehnten erzählt Flowers mit seiner Band The Killers den Witz von der größten Stadionband des Planeten, der für den disneyhaft sympathischen Sänger aus Nevada nie ein Witz war. In seinem Bestreben, Bruce Springsteen, Bono, Dave Gahan und Peter Gabriel gleichzeitig zu sein, erschuf Flowers sich selbst als mormonigen Rockstar-Leviathan, dessen Schuhe er in diesem Leben nicht mehr gefüllt kriegt.
Der Reiz der Killers liegt also im beständigen Vorbeischrammen am eigenen Anspruch, wobei man dieses Scheitern nie hämisch beobachtete, eher mit den wärmsten Gefühlen für ihren unerbittlich fleißigen Chef-Entertainer. Denn bei allem Hängen, Würgen und Wollen warfen The Killers immer wieder Songs ab, die dann eben doch waren, was sie unbedingt sein sollten: zeitlose Hits.
Nach fünf Alben könnte es sich nun eigentlich mal ausgescheitert haben, aber da rollt auch schon "Imploding The Mirage" an und explodiert - anders, als der Titel verspricht - vor den Augen aller Welt wie zehn Feuerwerke über der Prärie. Ohne ihren Gitarristen Dave Keuning, der temporär keine Lust mehr hatte, sollen die Killers einige Aufnahmen vergurkt haben, bevor sie alles in die Tonne warfen und mit einer Handvoll namhafter Kollaborateure - unter ihnen Jonathan Rado von Foxygen - noch mal neu anfingen. Die ironisierenden Anführungszeichen denken wir uns bei den letzten beiden Worten des vorherigen Satzes mal dazu.
Denn schon "When The Dreams Run Dry" klingt wie das, was passiert, wenn Millennials Totos "Africa" nicht mehr nur ironisch hören, in "Caution" erzählt Flowers die Geschichte einer "Featherweight Queen" in seiner bisschen naiven, immer um große amerikanische Erzählkunst bemühten Art - und klingt dabei, als hätten Alphaville Mark Knopfler als Sänger angeheuert. Zum Schluss knüppelt der leibhaftige Lindsey Buckingham noch ein Gitarrensolo drüber.
Die Sache ist: Wer die Arme zu lange und weit ausbreitet, sieht irgendwann aus wie ein Priester - und klingt auch so. Nach "My God" fühlt man sich, als wäre man von einem Paradewagen überfahren worden, auf dem Flowers in Gesellschaft eines ganzen Gemeindechors freidreht. Feature-Gast Weyes Blood singt dazu, als werde sie mit vorgehaltenem Gesangsbuch gezwungen, eine entrückte Discoqueen zu spielen.
Man kann dieses Spektakel lieben oder hassen, in jedem Fall aber irrelevant finden, wenn man die Gegenwart im Pop sucht: Bevor The Killers noch ein Album machen, das wegweisend ist oder auch nur zeitgeistig ist, friert die Hölle zu. So lange brennen halt die Herzen und die Gitarren. Die Welt brennt zwar auch, aber das beeindruckt den guten Hirten Flowers nicht merklich: Seine Arme sind wide open, und er kommt in Frieden. (5.2) Julia Lorenz
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(Merge/Cargo, ab 21. August)

Eva Moolchan hätte mit ihrer Musik schon vor 40 Jahren erfolglos sein können. Unter dem Namen Sneaks stellt die Künstlerin aus Baltimore ihre Synthesizer auf stumpf, sie produziert stur vorwärts trottende Beats und spielt dazu Bassfiguren, die nach Strichmännchen aussehen. Alles klingt wie nicht mehr rechtzeitig fertig geworden, immerzu rechnet man damit, dass Moolchan den gerade laufenden Song gleich abwürgt, und meistens passiert genau das nach spätestens 120 Sekunden. Wütende, traurige und ätzende Lieder singt sie im kaum variierten Computerstimmenton: Sneaks macht also Post-Punk, die große, brotlose Kunst der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre.
"Happy Birthday" heißt das vierte Album des Projekts, und man muss sich diesen Titel genauso hocherfreut vorstellen wie einst "The Flowers Of Romance", den Namen der dritten Platte von Public Image Ltd. "Tell me, do you wanna go out tonight?", fragt Moolchan gleich zum Auftakt mit einer Stimme, aus der mehr Resignation als Verheißung spricht: Heute noch Party? Breakbeat, Ambientfläche und ein nahezu unkenntlich gemachtes Eurodance-Klavier reihen sich ebenso widerwillig wie diese mehrfach wiederholten Worte aneinander. Eine Antwort auf die zentrale Frage von "Do You Want To Go Out Tonight" gibt Moolchan nicht, auf weitere Zeilen verzichtet sie.
Preisabfragezeitpunkt
09.03.2021 06.13 Uhr
Keine Gewähr
Die Künstlerin braucht nicht viele Sätze, weil sie die richtigen wählt. Immer wieder klingen ihre Songs über Sternzeichen, musikalische Schaffensprozesse, toxische Umfelder und die Pflege der eigenen Eitelkeit, als hätte Moolchan die zugehörigen Texte auf WG-Partys, Kunsthochschulvernissagen oder anderen Hochburgen der Selbstüberschätzung aufgeschnappt. Ist das also Sarkasmus, wenn sie mit toten Augen über dudelige Beats hinweg rantet? Ist es sogar schon Zynismus oder doch Ausdruck ihres rechtschaffenen Ärgers über ein Künstlerinnenleben, das nicht immer so erfüllend verläuft wie erhofft?
Eva Moolchan verweigert hierzu abermals die Antwort. Man braucht jedoch kein Post-Punk-Diplom, um sich auszumalen, dass "Happy Birthday" zu jenen Alben gehört, die auch mal zwei oder drei harte Wahrheiten gleichzeitig aushalten. (7.6) Daniel Gerhardt
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(Dead Oceans/Cargo, ab 21. August)

Um die Jahrtausendwende dachte man für einen Wimpernschlag lang, Omaha wäre das neue Seattle. Eine Vielzahl von Bands aus der Stadt in Nebraska veröffentlichte damals über das Label Saddle Creek größtenteils gute Alben, die alle in einem ähnlichen Klangraum lebten: linkerhand vom süffigen Folk der Nick-Drake-Schule, rechterhand von harscheren Klängen (mal Elektro, mal Post-HC) begrenzt. Der recht überschaubare Personenkreis dieser Szene sorgte für zahlreiche Überschneidungen im Arbeitsalltag; zwei zentrale Charaktere waren Mike Mogis und Conor Oberst, die wiederum auch für den Sound von Bright Eyes verantwortlich zeichneten. Die Band veröffentlichte einige Alben, die sich rasch in den Indie-Kanon einschrieben, was vor allem an Oberst lag, einem schmalen Teenager, der sein gepeinigtes Herz stets auf der Zunge trug und anderen gepeinigten Herzen aus der Seele sprach.
Dieses "Was bisher geschah" ist notwendig, um zu erklären, dass die Erwartungshaltung an ein neues Bright-Eyes-Album, dem ersten seit 2011, ziemlich groß ist: Oberst, der in den letzten Jahren keinesfalls untätig war, hat einen Markennamen zu bespielen. Andererseits war diese Marke schon immer eine, die verschiedenste Produkte herstellte; gern erinnert man sich an die störrischen Electronica-Sounds auf "Digital Ash In A Digital Urn" (2005).
Vor allem war die Marke Bright Eyes immer eine der Kollaborationen. Die Idee einer Band als exklusiver Personenzirkel erschien Oberst samt seinen Kollegen Mike Mogis und Nate Walcott offenbar doch zu langweilig. So hört man auf "Down In The Weeds…" eine ganze Riege hochdekorierter Kollegen: Flea von den Red Hot Chili Peppers bedient auf einigen Songs den Bass, auf einem erledigt das Jenny Lee Lindberg von Warpaint. Jon Theodore (Queens Of The Stone Age, The Mars Volta) sitzt am Schlagzeug, und ob sich hinter dem Perkussionisten Kip Skitter Zack de La Rocha von Rage Against The Machine verbirgt, wird aktuell noch in den einschlägigen Reddit-Threads ausdiskutiert. Dazu kommen alte Freunde wie Macey Taylor und Andy LeMaster, außerdem Streicher, Bläser, Chöre und, in "Persona Non Grata", Dudelsäcke.
Preisabfragezeitpunkt
09.03.2021 06.13 Uhr
Keine Gewähr
Letztere sorgen für köstliche Irritation. Der Rest des Albums ist immer solide, oft hervorragend: "Dance And Sing" stolpert schwelgerisch vergnügt über die eigenen Füße; zwar spielt das Orchester auf, aber stets weiß es, wo es sich einzuordnen hat, nämlich hinter Sänger Oberst, der mit zitternder Halbbrüllstimme einen Chor anleitet. An anderer Stelle, in "Mariana Trench" oder "One And Done", wehen dem Hörer broken beats und Synthies um die Nase, Ersteres wird zudem herzhaft von Bläsern zerrülpst. Der schönste Song ist der, der sich am kleinsten macht: In "Hot Car In The Sun" lädt Oberst in seinen Sommer ein. Beinahe wie auf den frühen Alben, ist man plötzlich allein mit ihm: "Made my bed and I brushed my teeth, didn't think about dying. Got up to face another day", singt er, um sich anschließend mit einem Hund zu vergleichen, der im sonnenheißen Chevrolet verreckt.
Der Schmerz der frühen Tage ist also geblieben. Der Hang zur Nabelschau ebenfalls. Mehrfach springen uns auf dieser Platte Sätze an, die man als junger Mensch je nach Mut und Renitenz auf eigene Unterarme, fremde Unterarme oder Rathauswände geschmiert hätte: "All I can do is just dance on through" oder: "There's no way to turn back the clock. It's going to run until it stops".
Man mag diese Liebe zum Slogan als Kalenderspruchhaftigkeit wahrnehmen; sie war aber immer schon Kern des oberst'schen Wirkprinzips. Ebenso wie deren amüsante Brechung: In "Hot Car In The Sun" neben allem Drama auch die Zubereitung einer Selleriesuppe geschildert. Man kauft ihm all das gern ab, ganz so, wie man sich auch diese wendige, wunderbar instrumentierte Platte gern anhört. (6.7) Jochen Overbeck
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Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)