Abgehört - neue Musik Ein Leonard Cohen für die Generation X
(Dead Oceans/Cargo, ab 31. Januar)
Angehörige der sogenannten Generation X hatten ja immer schon das Problem, besonders "lost" zu sein: Als man aufwuchs, wurde einem bewusst, dass die Revolutionen des 20. Jahrhunderts bereits von den Älteren unternommen und erledigt wurden. Alles bewegt, alles gesagt. Die Geschichte schien mit dem Zusammenbruch der Ideologien beendet worden zu sein, der Kapitalismus machte uns erst ratlos, dann ironisch und schließlich mürbe. Für den Paradigmenwechsel nach 9/11 waren wir bereits zu lethargisch, zu zynisch oder zu abgefuckt – oder damit beschäftigt, doch noch späte Karriere zu machen. Über unsere Minderwertigkeitskomplexe und das Grübeln über das große Projekt unserer Generation wurden wir älter. Man nennt uns die "vergessene" Generation, aber auch nur, weil der Name "Lost Generation" schon für eine millionenfach gefallene Alterskohorte im Ersten Weltkrieg verwendet wurde. There we go again…
Man ahnt also, wie sich der Gen-Xer Dan Bejar alias Destroyer, 47, gefühlt haben muss, als er sich im vergangenen Jahr in seiner Heimatstadt Vancouver inmitten einer "Fridays-for-Future"-Demo wiederfand: "Creepy middle-aged guy at giant teenage protest", beschrieb er sich selbst einem Kollegen des US-Magazins "Pitchfork". Ein komischer, befremdet wirkender Kerl mittleren Alters, bärtig und mit Wuschelkopf, berufsjugendlich, aber nicht wirklich dazugehörig. Ein Zuschauer der Geschichte, wobei das englische Wort "Bystander" hier treffsicherer ist.
Eine Nebenfigur der Popgeschichte ist Bejar allemal, aber das macht ihn nicht weniger interessant. Die Neunzigerjahre verbrachte er in diversen Indie-Bands und gründete 1996 sein eigenes Projekt Destroyer, zeitweise spielte er ab 2001 bei den New Pornographers mit, für die er auch Songs schrieb. Ein auch kommerzieller Mini-Durchbruch erfolgte 2011 mit dem Album "Kaputt" , das bis heute seinen besonderen Stil prägt: Bejar sprechsingt seine misanthropischen Alltagsgeschichten zumeist wortreich, aber lakonisch-distanziert über beschwingte, wenn nicht frohsinnige Elektro-Pop- oder Lounge-Sounds.
Inzwischen, nach den hervorragenden Alben "Poison Season" und "Ken", hört sich dieser undurchdringliche Neon-Dämon an, als hätte man Bob Dylan von den Pet Shop Boys remixen lassen oder nutze 10ccs Softrock-Klassiker "I’m Not In Love" als Soundtrack für einen koreanischen Horrorfilm. Angeblich sei Bejar auf die Idee für sein Midi- und Minimal-Pop-Ambiente gekommen, als er sich überlegte, welche Musik wohl am wenigsten bei Cocktailempfängen oder anderen Stehrumchen stören würde. Ein letztlich also subversiver Pop-Akt.