Abgehört - neue Musik Sorgenvoll, aber noch nicht hoffnungslos
(Reprise/Warner, ab 19. Juni)
"And I try to wash my hands/ And I try to make amends/ And I try to count my friends", singt Neil Young in der schön gemächlichen, vorab veröffentlichten Single "Try" seines Albums "Homegrown". Und man denkt: Wow, da hat der gute, inzwischen 74-jährige Young auf seine alten, ökobewegten Tage noch mal eine punktgenau auf den Zeitgeist getexteten Awareness-Walzer für die Corona-Ära geschrieben. Hände waschen, sich um Wiedergutmachung bemühen, die engsten Freunde auswählen… das sind Dinge, die uns in diesen Zeiten der Zwangsisolation begleiten.
Allein "Try" ist ein Ausweis für die immer wieder verblüffende Universalität der Musik von Neil Young. Der Song ist mindestens 45 Jahre alt. Ebenso wie die anderen Stücke auf "Homegrown", ein Album, das Young zu Beginn der Siebzigerjahre inmitten der wohl kreativsten und produktivsten Zeit seiner Karriere schrieb, dann aber nie veröffentlichte. Seit Jahrzehnten geistert es als Mythos durch die Fanzirkel des kanadischen Songwriters und Gitarristen, aber anders als andere verschollene Werke Youngs ("Chrome Dreams") wurde es nie als Bootleg veröffentlicht. Jetzt bringt er selbst es endlich in restaurierter Fassung heraus. Es ist das Verbindungsstück zwischen Youngs Countryrock-Klassiker "Harvest" (1972) und den depressiven, von Tod und Alkoholrausch geprägten Alben "On The Beach" und "Tonight's The Night" (1974/75).
"Homegrown", schreibt Young in einem Statement zu seiner Archiv-Veröffentlichung, sei die traurige Seite einer Liebesbeziehung. Die Liebe zu der oscarnominierten Schauspielerin Carrie Snodgress, die er auf "Harvest" noch mit zärtlichen Songs wie "Words" gefeiert hatte, war zerbrochen. "I won't apologize", gibt sich Young im ersten Song "Separate Ways" noch trotzig, dann folgt "Try", doch schon in "Mexico" herrscht tiefe Verzweiflung: "Oh, the feeling's gone/ Why is it so hard to hang on to your love?", fleht er mit hoher, hohler Stimme.
Während "Tonight's The Night" den Drogentod von Crazy-Horse-Gitarrist Danny Whitten und Youngs Freund und Roadie Bruce Berry mit kaustischen Versen bedachte, offenbarte Young auf "Homegrown" so intim wie nie eine klaffende Wunde im Herzen. Es war ihm zu viel: "Der angerichtete Schaden. Der Liebeskummer. Ich konnte es mir einfach nicht anhören", schreibt er heute. "Ich wollte es hinter mir lassen. Also behielt ich es für mich, tief in den Kellergewölben, im obersten Regalfach, im Hinterstübchen meines Kopfes... aber ich hätte es teilen sollen. Es ist tatsächlich großartig, darum nahm ich es ja überhaupt auf."
Was für ein Luxus, ein komplettes, tatsächlich hervorragendes Album einfach liegenzulassen, um zwei weitere mit ebenso guten Songs zu veröffentlichen. Nebenbei schrieb Young bereits mit Crazy Horse zusammen an "Zuma", das auch 1975 erschien und ewige Live-Standards wie "Cortez The Killer" enthielt.
Zu solchem Ruhm und ähnlicher Verklärung wird es "Homegrown" eher nicht bringen, die Siebziger sind vorbei, der Pop hat sich weitergedreht, es ist eher ein Schatz für Archivare. Aber nicht zwingend für Nostalgiker. Das im The Band-Stil schunkelnde Titelstück zelebriert die Rückkehr zur Natur und könnte auch ein moderner Soundtrack für den Urban-Gardener (oder privaten Hanfzüchter) sein.
"Kansas" erhebt sich sehnsuchtsvoll in die Weiten des Americana-Himmels und zitiert ganz sachte "The Needle And The Damage Done". "We Don't Smoke It" ist ein grandios bedröhnter Blues-Jam, der noch nicht von der Paranoia und dem Zynismus des späteren "Vampire Blues" durchwirkt ist. "Vacancy" setzt dem Fingerpicking und dem Harmonika- und Hippie-Flair der meisten anderen Songs ein heavy rockendes "When You Dance…"-Gepolter entgegen. Das bemerkenswerteste Stück ist "Florida", ein seltsam morbider Spoken-Word-Track, der delirierend einen Familientrip Youngs von 1952 in ein Provinznest im Süden der USA nacherzählt, als der kleine Neil sich gerade von einer Polio-Erkrankung erholte.
Brüchiges und Selbstgewisses, Rückschau und Ausblick ins Ungewisse halten sich auf "Homegrown" spannungsvoll die Waage. Die Grundstimmung ist sorgenvoll, aber noch nicht hoffnungslos. Am Horizont, über den abgeernteten Weizenfeldern, glimmt noch ein wenig die untergehende Sonne unter den heraufziehenden Gewitterwolken. Alt, aber kein bisschen gestrig. (9.0) Andreas Borcholte
(Dead Oceans/Cargo, ab 19. Juni)
Am Anfang des neuen Albums von Phoebe Bridgers stirbt ein Skinhead. Die Songwriterin belässt es bei Andeutungen zu seinem Schicksal, aber man kann sich die Geschichte ihres "Garden Song" selbst zusammenreimen. Die Protagonistin ist wohl verantwortlich für den toten Skinhead, sie vergräbt ihn neben seinem Haus, und dann bringt sie den Garten in Ordnung. Begleitet von zwei Gitarren und verschwommenen Synthie-Effekten singt Bridgers darüber, wie Menschen Wurzeln schlagen und was das für die sprichwörtlichen und tatsächlichen Leichen in ihrer Vergangenheit und unter ihrem Rollrasen bedeutet. Am Ende ist sie vorsichtig optimistisch, schließlich muss ja niemand wissen, dass es spukt im neuen Garten ihrer Protagonistin.