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Opernpremiere: York Höllers "Der Meister und Margarita" neu inszeniert in Hamburg

Foto: Jörg Landsberg

Opernpremiere Der Teufel macht das mit links

Wer York Höllers Oper "Der Meister und Margarita" nach dem Jahrhundertroman von Michail Bulgakow auf die Bühne bringen will, braucht Mut und viele gute Interpreten. Die Hamburger Staatsoper tischte für diese Premiere groß auf und räumte viel Beifall ab.

Hell erleuchtet, klinisch weiß, blitzsauber und aufgeräumt, dass es schmerzt: Auch so kann man Menschen foltern. Manche merken es nicht einmal.

Der Dichter in der Irrenanstalt weiß um seine Situation, die gegängelten Intellektuellen in scheinbar freier Debatte spüren davon weniger. Beide Leben im Käfig der Unterdrückung. Mit einem suggestiven Bühnenbild wie eine große Mausefalle, entworfen von Johannes Leiacker, springt York Höllers Literaturoper "Der Meister und Margarita" das Publikum förmlich an. Was eben noch Gefängnis war, wird schnell zum Büro. Wer eben noch befehligte, wird bald sterben. Der Diskurs beginnt ab der ersten Note, denn es gibt viel zu verhandeln in den nächsten drei Stunden: Liebe, Freiheit, Gott und Teufel. Der Roman, der die Stones zu ihrem Song "Sympathy For The Devil" inspirierte, lieferte auch York Höller die Vorlage für einen künstlerischen Ritt von irdischer Hölle zu himmlischer Erlösung.

Doch der Faustschlag des ansatzlosen Einstiegs ist nötig. York Höllers Musik zum Romanstoff von Michail Bulgakow (1891-1940) fordert das Publikum in jeder Minute zu größter Aufmerksamkeit. Fast nur rezitativische Gesangspartien, eingespielte Elektronik, die sich mit der komplizierten und polyrhythmischen Orchesterpartitur ergänzt, dazu Klang-Collagen und musikalische Zitate: Der Komponist wollte der ebenso komplexen wie spannenden Romanvorlage gerecht werden. Der Musik York Höllers, geboren 1944, merkt man ebenso die Einflüsse seines Lehrers Bernd Alois Zimmermann ("Die Soldaten") an wie auch seine Verehrung Karlheinz Stockhausens, für den er 1970/71 im Kölner WDR-Elektronikstudio arbeitete. Auch Pierre Boulez schätzt Höller sehr, arbeitete ebenso mit ihm und führte seine Werke auf.

Simone Young holte den "Meister" heim

Ursprünglich war das Werk ein Auftrag der Hamburger Oper, hatte dann aber 1989 in Paris (Regie: Hans Neuenfels) Premiere. Jetzt holte Intendantin Simone Young den "Meister" heim.

Sie holte auch die immense Menge von Sängern, Darstellern und Komparsen, um Bulgakows Geschichte vom verfemten Dichter, um dessen Roman über Pontius Pilatus und seine Liebe zur selbstlosen Margarita effektvoll abrollen zu lassen. Die Vielschichtigkeit des literarischen Werkes, das russische Realitäten und Unterdrückungen der Stalin-Ära mit dem Jesus-Stoff und der Figur des Pilatus zu einem politisch-soziologischen Weltpanorama verwebt, greift Höller mit opernhaften und bildstarken Mitteln auf, wobei allerdings der Sound von Orchester und quadrophonisch eingespielter Elektronik die Gesangsparts häufig dominieren. Dennoch waren es die enorm motivierten Interpreten, die sowohl stimmlich wie darstellerisch die Charaktere glaubhaft und plastisch ausarbeiteten. Die Regie Jochen Biganzolis (er lernte bei Jürgen Gosch und Peter Konwitschny) arbeitet mit sauber choreografierten Ensembles und pointiert gezeichneten Charakteren.

Wunderbar erotische "Margarita"

Der Bariton Dietrich Henschel hatte als "Meister" und gleichzeitig in der Jesus-Rolle über die gesamte Distanz Schwerstarbeit zu verrichten, die er überzeugend und bis zur Erschöpfung bewältigte. Demgegenüber leuchtete Derek Welton als Teufel (in der Gestalt des geheimnisvollen Voland) mit souveräner Leichtigkeit, dämonischem Spiel und stimmlicher Baritonfülle: ganz der sympathische, verführerische Mephisto. Mit so einem lässt man sich als verzweifelte Geliebte (wunderbar erotisch: Cristina Damian) gern ein: Margaritas Pakt mit Voland, um ihren weggesperrten Meister zu befreien, wird dann auch ein rauschender Höhepunkt der Inszenierung. Der Ball, bei dem sie dem Teufel und seinem Gefolge zu Willen sein muss, braust orchestral und theatralisch mitreißend über die Rampe. Nicht nur, weil York Höller kleine Parts aus dem "Devil"-Song der Stones als Zitat verwendet.

Wohlfeile Lacher für Corny Littmann

Kurz vor der Pause, als es musikalisch ganz hart zur Sache ging, gab's zur komischen Erleichterung inmitten der Intrigen und Foltern ein Gastspiel des Hamburger Theatermachers Corny Littmann, der in glitzerblauem Zirkusanzug die ganze Welt zum Variete erklärte, fröhlich extemporierte, die wohlhabenden Theaterhamburger als "Pfeffersäcke" anfrotzelte, den aktuellen HSV-Torstand in Dortmund durchgab und mit dem unvermeidlichen Reizwort "Elbphilharmonie" wohlfeile Lacher abholte. Dafür wurde er auf der Bühne geköpft und anschließend wiederbelebt: Der Teufel war ja da, der macht so etwas mit links.

Der größte Hexenmeister des Abend allerdings war der Dirigent Marcus Bosch, der die irren Tempi-Wechsel, die fein verdrechselten Klangschichten, das Zusammenspiel von Bühne und Orchestergraben so perfekt leitete, dass er am Schluss zu recht den meisten Beifall erhielt. Überhaupt durfte man staunen: Trotz der kontroversen, anstrengenden Musik und der eigenwilligen Regie, die burleske Grenzen nicht scheute, war zum Schluss kein Buh zu hören. Nicht gerade die Regel in Hamburg. Es geht also auch mit sperrigen Werken wie Höllers "Meister", wenn man die Sache meisterlich und entschlossen anpackt.

Weitere Aufführungen: 18.09. / 21.09. / 26.09. / 28.09. / 04.10., Hamburgische Staatsoper

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