"Parsifal"-Premiere Bayreuth 2016 Jubel auch ohne roten Teppich

Kein roter Teppich, kein Staatsempfang danach: Wegen der Gewalttaten in Bayern war diesmal alles anders bei den Wagner-Festspielen. Dennoch erntete die religionskritische "Parsifal"-Premiere viel Applaus.
Klaus Florian Vogt als Parsifal

Klaus Florian Vogt als Parsifal

Foto: Enrico Nawrath

Gottvertrauen ist gut, Taschenkontrolle ist besser. Im Vorfeld ernteten die neuen Sicherheitsvorkehrungen bei den Bayreuther Festspielen 2016 viel Kritik, doch die Realität bescherte eher ein paar gesperrte Bezirke am Festspielhaus, normale Kartenkontrollen am Festivalzugang und Taschen-Checks durch Polizisten.

Wer ab und zu kulturelle Großveranstaltungen oder Spiele der Fußballbundesliga besucht, kennt das schon. Alles traurige Routine heute, und jetzt eben auch in Bayreuth. Dass die Festspielleitung nach Absagen der Politprominenz - aus Respekt vor den Anschlagsopfern von München und Ansbach - auf den sonst üblichen roten Teppich verzichtete und die Landesregierung ihrerseits auf den Staatsempfang, machte ebenfalls den Bewusstseinswechsel deutlich. Obwohl eventuell eine "Jetzt erst recht!"-Entscheidung kraftvoller gewesen wäre.

Eine Premiere gab es dennoch, und Richard Wagners Erlösungswerk "Parsifal" passte gar nicht schlecht zur aktuellen Lage. Gespickt mit religiösen Aspekten, geprägt von der Notwendigkeit eines Heilsbringers und ausgestattet mit einer Musik, die die Grenzen ihrer Zeit sprengen sollte, also die Oper zur Lage. Und obendrein ein Bericht zur ständigen Krisensituation auf dem Grünen Hügel, der ja doch immer noch das Zentrum der Richard-Wagner-Kultur sein will. Gleich vorweg: Die musikalische Seite triumphierte wieder einmal über die szenische.

Zerschossene Kirche im Nahen Osten

Regisseur Uwe Eric Laufenberg war vor zwei Jahren für den geschassten Jonathan Meese eingesprungen und hatte ein von ihm bisher nicht realisiertes "Parsifal"-Konzept aus der Schublade gezaubert, das 2016 gut in die Zeit zu passen schien. Religionskritisch ("Nicht islamkritisch!", wie der Regisseur beteuerte), leicht verständlich und vor allem sängerfreundlich: eigentlich die Zutaten für einen Publikumsrenner. Leider tappte die Regie allzu oft in die Fallen der eigenen Oberflächlichkeit, die sehr viel sinnlich erfahrbar machen will, aber immer wieder nur die eigenen Bilder erklärt.

Szenenbild aus "Parsifal": Zerstörte Kirche, die zum Flüchtlingslager wird

Szenenbild aus "Parsifal": Zerstörte Kirche, die zum Flüchtlingslager wird

Foto: Enrico Nawrath

Die Gralsritter der "Parsifal"-Geschichte verortet Laufenberg im Nahen Osten, der Wiege des Christentums in einer zerschossenen Kirche, wo der an einer scheinbar unheilbaren Wunde erkrankte Amfortas sich Erlösung und Tod vom heiligen Gral verspricht. Das Gefäß, das einst das Blut Christi am Kreuz aufnahm, soll ihm Linderung spenden, deshalb enthüllt er es vor seinen Rittern, die ihrerseits Kraft und Erneuerung daraus beziehen. Allein, die Wunde heilt nicht, nur ein Retter in sauberster Gesinnung, der vielbeschworene "reine Tor", ist der Rechte für die Problemlösung - eben Parsifal, der seine Mission nur sukzessive wahrnehmen kann. Denn ihm fehlt zunächst eben diese Erkenntnis seiner Aufgabe.

Die Reifung des jugendlichen Parsifal vom tumben Jäger (er tötet im Übermut einen heiligen Schwan) zum wissenden Heilsbringer im dritten Aufzug bebildert Laufenberg doppelt: Ein Kind stirbt für den aktuellen Bezug, der Schwan wird als Plüschfigur ironisch durchgereicht. Konsequent ist das nicht. Ein Leben ohne Religion, das wäre wünschenswert - die Sentenz des Dalai Lama aus dem Programmheft - ergibt sich aus der bunten Bilderreihung seiner Inszenierung, die sich eng ans vorgegebene "Parsifal"-Konzept Wagners anlehnt.

Kasper mit Kreuz

Allzeit hart am Gral, immer entlang des Plots: Das erscheint anfangs ehrenwert, bringt aber zum Beispiel bei der Gestalt Klingsors (Gerd Grochowski), Held des zweiten Aufzugs und Herrscher über seinen Zaubergarten, wenig. Den verstoßenen Gralsritter, der sich einst wegen starker Lüste entmannte, präsentiert der Regisseur als Sammler von Kruzifixen, selbstquälerischen Flagellanten und Ersatzhändler, der mit einem zum Penis gekrümmten Kreuz vor seiner Dienerin Kundry masturbiert: Dieser Klingsor ist kein düsteres Faszinosum, sondern ein Kasper, der kindhaft unbeholfen mit religiösen Symbolen hantiert.

Gerd Grochowski als Kreuze sammelnder Klingsor

Gerd Grochowski als Kreuze sammelnder Klingsor

Foto: Enrico Nawrath

Die berühmte Szene, in der er den magischen, den gesuchten Speer auf Parsifal schleudert, verkommt denn auch zum unfreiwilligen Slapstick. Wo der Speer in Wagners Libretto in der Luft zum Stehen kommt, da windet hier der junge Recke dem alten Zauberer die Waffe aus der Hand und zerbricht sie. Nur ein Beispiel für die allzu geradlinige Regie, die nicht immer zwischen Ironie und Plattheit zu unterscheiden weiß.

Klaus Florian Vogt, der mit geschmeidig sicherer Tenorstimme und wirkungsvoller Darstellung den erwartbar fabelhaften Parsifal gab, fand in dieser unsicheren Klingsor-Welt seine Bestform, nachdem er im ersten Aufzug noch etwas blass blieb. Auch die international erfahrene Elena Pankratova als zwielichtige Kundry benötigte etwas Anlaufzeit, bevor sie in dieser Zauberwelt des zweiten Aufzugs glänzende Höhen und klares Ausdrucksprofil fand.

Ab in den Sarg mit den Symbolen

Dass Klingsors Reich als Harem gestaltet war - baugleich mit der christlichen Kirche der Gralsritterschaft - gehörte wiederum zu den beinahe erwartbaren Regiekontrasten. Die Zaubermädchen als Haremsdamen verfrachten Parsifal ins Tauchbecken erotischer Verführungen, natürlich ohne Erfolg, doch erst durch Oberharemsdame Kundrys Kussversuch erkennt er seine Mission - er muss der Verführung widerstehen, um folglich ein Held zu werden.

Im letzten Aufzug fügt Regisseur Laufenberg die Teile in der weiter zerstörten Kirche der christlichen Gralsritter zusammen: Nach Jahren kehrt Parsifal, jetzt als erfahrener Kämpfer in Ninja-Montur, als heilender Held mit dem zum Kreuz geformten heiligen Speer zurück. Amfortas darf sterben, und wieder bemüht die Regie ein Sammelsurium an religiösen Symbolen, die gleich mit in Amfortas' Sarg wandern: Juden, Christen, Muslime, sogar Buddhisten steuern Symbole ihrer Überzeugungen bei, um sie zu beerdigen. Dann wandern alle gemeinsam in einen Bühnennebel der Ungewissheit. Das wiederum gelang als bedrückend aktueller Bezug unaufdringlich, aber packend.

Parsifal inmitten der Verlockungen des Harems

Parsifal inmitten der Verlockungen des Harems

Foto: Enrico Nawrath

Großes leisteten an diesem zwiespältigen Abend neben Klaus Florian Vogt vor allem Dirigent Hartmut Haenchen und Gurnemanz-Darsteller Georg Zeppenfeld. Der tiefgründige Bassist lotete die Rolle mit wunderbar klarer Artikulation, sensationell geführter Stimme und schauspielerisch perfekter Anpassung aus, seine Leistung wurde vom Publikum zu Recht mit Begeisterung quittiert.

Ähnlich gut kam der Wagner-erfahrene Kapellmeister Hartmut Haenchen an, der kurzfristig für Andris Nelsons eingesprungen war. Haenchen bewies sich als alles andere als ein Lückenbüßer. Er dirigierte von den ersten Takten des Vorspiels an durchgängig mit solcher Durchsichtigkeit und Kontrolle, feingliedrigem Klangsinn und dramaturgischer Logik, dass er stets als treibende, aber nicht alleinherrschende Kraft die Aufführung steuerte. Rauschender Beifall, völlig verständlich, auch für ihn. Unter denkbar ungünstigen Bayreuth-Bedingungen, innen wie außen, wurde es zum Schluss dann doch eine solide Premiere.

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